Leitsatz (amtlich)
Ist ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zugunsten eines Steuerpflichtigen berücksichtigt worden, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen, so ist der fehlerhafte Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, wenn die Verursachung der Unrichtigkeit allein oder überwiegend auf seiten des Steuerpflichtigen liegt.
Normenkette
AO 1977 § 174 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Inhaber eines Transportunternehmens. Seine Einkünfte ermittelt er gemäß § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Im Jahre 1971 erhielt der Kläger eine Rechnung für die Reparatur eines LKW in Höhe von 12 643 DM, die er noch im Jahre 1971 beglich. Im Jahre 1972 erfaßte der Kläger diesen Rechnungsbetrag (vermutlich aufgrund eines nachgeforderten Rechnungsduplikats) in seinen Büchern nochmals; er aktivierte den Betrag und schrieb ihn - entsprechend der Restnutzungsdauer des LKW - in den Jahren 1972 und 1973 ab. Auf dieser Grundlage wurden die Kläger für die Jahre 1971 und 1972 zur Einkommensteuer veranlagt.
Nach Aufdeckung des Fehlers teilte der Kläger dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) in einem Schreiben vom 28. November 1974 mit, daß Aufwendungen in Höhe von 12 643 DM bereits bei seiner Veranlagung zur Einkommensteuer 1971 und dann nochmals in den Jahren 1972 und 1973 gewinnmindernd angesetzt worden seien. Das FA berichtigte daraufhin zunächst den Bescheid über die Einkommensteuer 1972 durch Änderungsbescheid vom 5. Februar 1975.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1973, die noch vor der Abfassung des Schreibens vom 28. November 1974 von dem Bevollmächtigten des Klägers abschließend bearbeitet worden war und die - nach Unterzeichnung durch den Kläger - am 2. Januar 1975 beim FA einging, war ein Hinweis auf den gewinnerhöhenden Wegfall eines Teils der geltend gemachten Aufwendungen nicht enthalten.
Das FA veranlagte die Kläger mit Bescheid vom 27. Februar 1975 zur Einkommensteuer 1973, wobei es die Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß den Angaben in der Einkommensteuererklärung zugrunde legte. Der Einkommensteuerbescheid 1973 wurde bestandskräftig.
Im Anschluß an eine im Jahre 1977 durchgeführte Betriebsprüfung erließ das FA für das Streitjahr 1973 einen Änderungsbescheid, den es auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) stützte. In diesem Bescheid wurden die durch Korrektur der unrichtigen Buchungen entstandenen Gewinnerhöhungen berücksichtigt.
Gegen den Änderungsbescheid erhoben die Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage. Sie machten geltend, daß kein Sachverhalt vorliege, der die Änderung eines bestandskräftigen Bescheids rechtfertige.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Zur Begründung seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 64 veröffentlichten Entscheidung führt das FG aus, eine Berichtigung der ursprünglichen Veranlagung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sei nicht zulässig gewesen, da die der Berichtigung zugrunde gelegten Tatsachen dem FA vor Durchführung der Erstveranlagung bekanntgewesen seien. Die Berichtigung könne auch nicht auf § 174 Abs. 2 AO 1977 gestützt werden. Zwar liege eine widerstreitende Steuerfestsetzung im Sinne dieser Vorschrift insofern vor, als Aufwendungen in Höhe von 6 804 DM sowohl im Jahre 1971 als auch im Streitjahr 1973 gewinnmindernd bei den Einkünften des Klägers berücksichtigt worden seien. Eine Berichtigung komme aber dennoch nicht in Frage, da die doppelte Erfassung dieses Betrags zum weitaus überwiegenden Teil vom FA verursacht worden sei und eine Mitverursachung des Klägers demgegenüber in den Hintergrund trete.
Mit seiner - vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen - Revision rügt das FA die Verletzung des § 174 Abs. 2 AO 1977. Nach § 174 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 dürfe der fehlerhafte Steuerbescheid geändert werden, wenn die mehrfache Berücksichtigung eines Sachverhalts auf einen Antrag oder eine Erklärung des Steuerpflichtigen zurückzuführen sei. Für die Anwendung des § 174 Abs. 2 AO 1977 genüge es, wenn das, was der Steuerpflichtige erklärt habe, objektiv unrichtig gewesen sei. Die gegenteilige Auffassung des FG finde im Gesetz keine Stütze.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Dem FA ist darin beizupflichten, daß eine Änderung des ursprünglichen Bescheids zum Nachteil der Kläger nach § 174 Abs. 2 AO 1977 gerechtfertigt war.
Ist ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zugunsten eines Steuerpflichtigen berücksichtigt worden, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen, so ist der fehlerhafte Steuerbescheid von Amts wegen aufzuheben oder zu ändern, wenn die mehrfache Berücksichtigung des Sachverhalts auf einen Antrag oder eine Erklärung des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist (§ 174 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).
Sinn und Zweck der in § 174 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 enthaltenen Beschränkung der Änderungsmöglichkeit ist es, dem durch widerstreitende Steuerfestsetzungen begünstigten Steuerpflichtigen den Steuervorteil dann zu nehmen, wenn er ihn durch eine objektiv falsche Darstellung des Sachverhalts veranlaßt hat; in diesem Fall verdient er im Hinblick auf die Bestandskraft des Steuerbescheids keinen Vertrauensschutz (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Oktober 1980 VIII R 186/78, BFHE 132, 182, BStBl II 1981, 388).
Allerdings ist die Änderung des unrichtigen Bescheids nach § 174 Abs. 2 AO 1977 nicht nur dann möglich, wenn die Verursachung der Unrichtigkeit allein auf seiten des Steuerpflichtigen liegt. Einer Änderung gemäß § 174 Abs. 2 AO 1977 steht es nicht entgegen, wenn das FA bei der Steuerfestsetzung seine Ermittlungspflicht verletzt und damit die unrichtige Steuerfestsetzung mitverursacht hat; Voraussetzung für die Änderungsbefugnis in derartigen Fällen ist dann aber, daß der Mitverursachung durch das FA nur ein geringeres Gewicht beizumessen ist (Woerner/Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten [AO 1977], 7. Aufl., S. 106; Frotscher in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 174 Rdnr. 7 a; vgl. auch Urteil des FG Baden-Württemberg vom 10. September 1981, EFG 1982, 56).
Bei der Frage, wann trotz Mitverursachung der Unrichtigkeit durch das FA die Änderungsbefugnis unberührt bleibt, ist vor allem zu berücksichtigen, daß ein Steuerpflichtiger, der eine unrichtige Steuererklärung abgegeben hat, sich auf Ermittlungsfehler des FA regelmäßig nicht berufen kann. Es ist in erster Linie Sache des Steuerpflichtigen, den für die Besteuerung erheblichen Sachverhalt eindeutig, vollständig und richtig zu schildern (vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1965 IV 305/63 U, BFHE 84, 577, BStBl III 1966, 209). Unklarheiten, die zur Irreführung der Finanzbehörden geeignet sind, gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen.
Im Streitfall hat der Steuerpflichtige für das Streitjahr 1973 eine unrichtige Steuererklärung abgegeben. Er hat bei der Abgabe der Steuererklärung versäumt, darauf hinzuweisen, daß in seinen Erklärungsunterlagen gewisse Aufwendungen bereits in einem früheren Veranlagungszeitraum geltend gemacht wurden. Diese Unklarheit war zur Irreführung des FA geeignet. Das FA konnte der Auffassung sein, daß die Mitteilung im Schreiben vom 28. November 1974, nach der ein Betrag von 6 804 DM schon in einem anderen Veranlagungszeitraum als Aufwand berücksichtigt wurde, bereits in die Steuererklärung eingearbeitet wurde. Im Vergleich dazu stellt sich die Mitverursachung des FA am Zustandekommen des unrichtigen Erstbescheids als weniger gewichtig dar. Daß das FA bei der Veranlagung der Kläger für das Streitjahr das ihm bereits vorher zugänglich gemachte Schreiben vom 28. November 1974 nicht berücksichtigte und angesichts der ihm vorliegenden Steuererklärung keine Veranlassung sah, die Angaben in dieser Erklärung zu bezweifeln und beim Kläger nachzufragen, kann gegenüber der Mitverursachung durch den Kläger nur als eine Unterlassung von geringerem Gewicht angesehen werden.
Bei dieser Sachlage waren die Voraussetzungen für eine Änderungsbefugnis des FA nach § 174 Abs. 2 AO 1977 gegeben. Der angefochtene Änderungsbescheid ist somit zu Recht ergangen. Da das FG von einer anderen Auffassung ausgegangen ist, ist seine Entscheidung aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1984, 510 |
BFHE 1984, 347 |