Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine offenbare Unrichtigkeit eines GewStMeßbescheids, wenn in der Erklärung ein Hinweis auf Verlustvortrag unterblieb
Leitsatz (NV)
Wird in einem GewStMeßbescheid mangels Hinweises in der Steuererklärung ein an sich abzuziehender Verlustvortrag nicht berücksichtigt, so handelt es sich nicht um eine offenbare Unrichtigkeit i. S. des § 129 AO.
Normenkette
AO 1977 §§ 88, 129
Tatbestand
Streitig ist, ob ein bestandskräftiger Gewerbesteuermeßbescheid nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) geändert werden kann, wenn in der Gewerbesteuererklärung kein Verlustvortrag erklärt wurde.
1. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erlitt im Jahre 1982 einen Verlust in Höhe von . . . DM. In der Gewerbesteuererklärung 1983 füllte die steuerlich beratene Klägerin die Zeilen 42-46 (Gewerbeverlust aus früheren Erhebungszeiträumen) nicht aus. Im bestandskräftigen Gewerbesteuermeßbescheid 1983 vom 18. Juni 1985 wurde kein Verlust aus den Vorjahren berücksichtigt.
Am 29. Oktober 1986 beantragte die Klägerin, den Gewerbesteuermeßbescheid 1983 zu berichtigen und den Gewerbeertrag um den Fehlbetrag des Erhebungszeitraums 1982 zu kürzen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte diesen Antrag mit Verfügung vom 4. November 1986 ab.
Nach einer Außenprüfung im Jahre 1987 ergab sich ein auf . . . DM erhöhter Gewerbeertrag des Erhebungszeitraums 1983. Das FA erließ jedoch keinen geänderten Gewerbesteuermeßbescheid.
2. Das Finanzgericht (FG) hob nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Ablehnungsverfügung vom 4. November 1986 und die Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete das FA, den Gewerbesteuermeßbescheid 1983 zu ändern und den Gewerbesteuermeßbetrag unter Berücksichtigung des Verlustvortrags auf . . . DM festzusetzen.
3. Das FA stützt seine Revision auf Verletzung der §§ 129, 88 AO 1977.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Vorentscheidung beruht auf einer unzutreffenden Auslegung des § 129 AO 1977.
1. Nach § 129 AO 1977 kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. ,,Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" in diesem Sinne müssen einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich sein, d. h., es muß sich um mechanische Versehen handeln, die ebenso mechanisch, d. h. ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden können (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 31. Juli 1990 I R 116/88, BStBl II 1991, 22, m. w. N.).
2. Der Gewerbesteuermeßbescheid 1983 kann nicht aufgrund § 129 AO 1977 berichtigt werden.
a) Der Bescheid war zwar ,,unrichtig" i. S. des § 129 AO 1977, da er die nach § 10 a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) zwingend und von Amts wegen vorzunehmende Kürzung um den Fehlbetrag des Erhebungszeitraums 1982 nicht enthielt.
Der Fehlerhaftigkeit steht nicht entgegen, daß der Bescheid den unrichtigen Steuererklärungen der Klägerin entsprach, die irrigerweise in die vorgesehenen Zeilen des Erklärungsvordrucks keine Vorjahresverluste eingetragen hatte. Eine ,,beim Erlaß des Verwaltungsakts unterlaufene Unrichtigkeit" muß zwar grundsätzlich in der Sphäre der den Bescheid erlassenden Behörde entstanden sein (BFH-Urteile vom 1. Juli 1954 IV 444/53 U, BFHE 59, 146, BStBl III 1954, 265, und vom 24. Juli 1984 VIII R 304/81, BFHE 141, 485, 486, BStBl II 1984, 785). Eine offenbare Unrichtigkeit kann jedoch auch vorliegen, wenn das FA eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare, d. h. für das FA erkennbare Unrichtigkeit, als eigene übernimmt (BFH-Urteile vom 25. Februar 1972 VIII R 141/71, BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550; in BStBl II 1991, 22).
b) Der Bescheid enthält jedoch keine ,,beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufene" offenbare Unrichtigkeit.
Das FA hat die in der Gewerbesteuererklärung der Klägerin enthaltene Unrichtigkeit nicht als ,,eigene" übernommen. Die Unrichtigkeit der Erklärung der Klägerin wäre für den zuständigen Sachbearbeiter des FA nur erkennbar gewesen, wenn er die Steuererklärung des Jahres 1982 bei der Veranlagung des Streitjahres hinzugezogen hätte. Soweit das FA auf Vorakten zurückgreifen muß, liegt grundsätzlich keine offenbare Unrichtigkeit vor. Eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung ist kein mechanisches Versehen. In solchen Fällen hat das FA zwar möglicherweise seine Amtsermittlungspflicht verletzt. Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht zuungunsten des Steuerpflichtigen ist aber nicht mit einer offenbaren Unrichtigkeit gleichzusetzen (BFH in BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550). Sie schließt vielmehr in der Regel eine offenbare Unrichtigkeit aus (BFH-Urteil vom 18. April 1986 VI R 4/83, BFHE 146, 350, 355, BStBl II 1986, 541, 544).
c) Der Senat weicht mit dieser Auffassung nicht von den Urteilen des BFH in BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550, 552; BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785, 786, und in BFHE 146, 350, 355, BStBl II 1986, 541, 544 ab. In diesen Entscheidungen hat der BFH eine offenbare Unrichtigkeit des auf unrichtigen Angaben des Steuerpflichtigen beruhenden Bescheides bejaht, wenn der Fehler zwar nicht aus der Steuererklärung selbst, wohl aber aus den der Steuererklärung beigefügten Unterlagen (z. B. Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen) oder aus einer das Veranlagungsjahr betreffenden Kontrollmitteilung erkennbar war. In sämtlichen Fällen handelte es sich aber um Unterlagen, die das Veranlagungsjahr selbst betrafen, also bei der Veranlagung mit zu prüfen waren.
3. Auf die Frage eines im Streitfall nicht erkennbaren und eine offenbare Unrichtigkeit ebenfalls ausschließenden Rechtsirrtums des FA (vgl. BFH-Urteile vom 2. August 1974 VI R 137/71, BFHE 113, 169, BStBl II 1974, 727; vom 22. November 1974 VI R 138/72, BFHE 114, 346, BStBl II 1975, 350, 352; vom 24. Mai 1977 IV R 44/74, BFHE 122, 393, BStBl II 1977, 853, 854, und vom 10. September 1987 V R 69/84, BFHE 150, 509, BStBl II 1987, 834; Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 129 AO 1977 Tz. 2; Klein / Orlopp, Abgabenordnung, § 129 Anm. 2) kommt es nicht an, da eine offenbare Unrichtigkeit bereits nach den Ausführungen in Abschn. II Nr. 2 ausscheidet.
4. Nach den Feststellungen des FG hätte sich grundsätzlich eine Änderungsmöglichkeit für den angefochtenen Bescheid aufgrund des durch die Außenprüfung ermittelten höheren Gewerbegewinns 1983 ergeben (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977). Bei einer auf § 173 AO 1977 beruhenden Änderung mußte jedoch auch der rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigte Fehlbetrag aus dem Erhebungszeitraum 1982 berücksichtigt werden (§ 177 Abs. 1 AO 1977). Im Ergebnis war der Bescheid nicht zu ändern, da der Fehlbetrag nur bis zur Höhe der Änderung, d. h. bis zur Höhe des erhöhten Gewerbeertrags, berücksichtigt werden konnte (§ 177 Abs. 1 AO 1977). Auch unter Berücksichtigung der Änderungsmöglichkeiten der §§ 173 ff. AO 1977 ist die Klage somit unbegründet.
Fundstellen