Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Kirchensteuer als rückwirkendes Ereignis
Leitsatz (NV)
Erstattete Kirchensteuer ist mit der im Zahlungsjahr geleisteten zu verrechnen, soweit sie nicht mit gezahlter Kirchensteuer im Jahr der Erstattung verrechnet werden kann.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hatte am 9. Januar 1998 für die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) einen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1996 erlassen und darin gezahlte Kirchensteuer in Höhe von 31 735 DM abzüglich erstatteter Kirchensteuer in Höhe von 226 DM als Sonderausgaben berücksichtigt. Aufgrund dieses Einkommensteuerbescheides wurde den Klägern im Jahr 1998 Kirchensteuer in Höhe von 16 283,36 DM erstattet.
Da diese Erstattung die im Jahr 1998 gezahlte Kirchensteuer überstieg, erließ das FA am 26. November 2002 einen gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid für 1996, in dem es nur noch Kirchensteuer in Höhe von insgesamt 16 754 DM als Sonderausgaben abzog.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hob das Finanzgericht (FG) den geänderten Einkommensteuerbescheid für 1996 auf (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2003, 1793).
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 und § 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das Urteil des FG widerspreche höchstrichterlichen Rechtsgrundsätzen. Aufgrund der Erstattung von Kirchensteuer für 1996 seien die Kläger nicht endgültig in Höhe der bisher anerkannten gezahlten Kirchensteuer belastet gewesen. Da die Erstattung nicht in vollem Umfang bei der Veranlagung 1998 berücksichtigt werden könne, liege materiell-rechtlich ein Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 vor. Im Übrigen belege die vom FG herangezogene Kommentarstelle (Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl., § 10 Rdnrn. 7, 8) allenfalls die rechtssystematische Bedenklichkeit der Verrechnung von erstatteten Sonderausgaben im Jahr der Erstattung.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es könne dahingestellt bleiben, ob den Ausführungen des FA zur Erstattung von Sonderausgaben zu folgen sei. Keinesfalls lägen die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 vor. Weder der Einkommensteuerbescheid für 1996 vom 9. Januar 1998 noch der Einkommensteuerbescheid für 1998 vom 15. Februar 2001 noch der "Erstattungsüberhang" seien rückwirkende Ereignisse. Letzterer sei zudem nur ein rechnerisches Ergebnis. Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 seien nur sachverhaltsändernde Geschehnisse, so z.B. wenn nachträglich die Rechtsgrundlage für die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen, Kirchensteuer oder die Festsetzung von Zinsen entfalle. Im Übrigen biete die AO 1977 ausreichend andere Möglichkeiten, eine Veranlagung wegen einer möglichen späteren Kirchensteuererstattung offen zu halten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Auffassung des FG ist die Erstattung von Kirchensteuer, soweit sie im Jahr der Erstattung nicht mit Kirchensteuerzahlungen verrechnet werden kann, ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977. Die im Jahr der Erstattung nicht verrechenbaren Rückzahlungen mindern die im Jahr der Zahlung bisher anerkannten Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG.
1. Der Einkommensteuerbescheid 1996 war zu ändern. Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis; § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977).
a) Die Erstattung von Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist ein solches rückwirkendes Ereignis. Aus der Verwendung des Begriffs "Aufwendungen" in § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist (vgl. BFH-Urteile vom 26. Juni 1996 X R 73/94, BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646; vom 28. Mai 1998 X R 7/96, BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, m.w.N.; vom 24. April 2002 XI R 40/01, BFHE 199, 167, BStBl II 2002, 569). An einer endgültigen Belastung fehlt es, wenn Sonderausgaben erstattet werden. Das gilt auch, wenn erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums geklärt wird, ob Sonderausgaben erstattet werden (BFH in BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646).
Bei jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben wie z.B. der Kirchensteuer hat der BFH zwar aus Gründen der Praktikabilität und Rechtskontinuität eine Verrechnung erstatteter Sonderausgaben mit gleichartigen Sonderausgaben im Jahr der Erstattung im Grundsatz zugelassen. Die Verrechnung erstatteter mit gezahlten Sonderausgaben ist aber im Jahr der Zahlung insoweit geboten, als andernfalls nicht mehr zu rechtfertigende Steuervorteile eintreten würden. Das ist beispielsweise der Fall, wenn im Erstattungsjahr keine gleichartigen Sonderausgaben angefallen sind (BFH in BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646). Dasselbe gilt, wenn im Erstattungsjahr die gezahlten (gleichartigen) Sonderausgaben niedriger sind als die Erstattung. Auch in diesen Fällen fehlt es an einer endgültigen wirtschaftlichen Belastung im Zahlungsjahr. Das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 11. Juli 2002 IV C 4 -S 2221- 191/02 (BStBl I 2002, 667) enthält insoweit eine zutreffende Gesetzesinterpretation (ebenso Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 10 Rdnr. B 57; Fischer in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, KompaktKommentar, § 10 Rdnr. 4). Soweit in der Literatur eine andere Auffassung vertreten wird (vgl. z.B. Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 10 EStG Rdnr. 22a), ist diese durch neuere Rechtsprechung überholt. Zudem wird übersehen, dass die zur Begründung herangezogenen Entscheidungen (z.B. BFH-Urteil vom 22. November 1974 VI R 138/72, BFHE 114, 346, BStBl II 1975, 350, m.w.N.) zwar die Verrechnung im Jahr der Erstattung zugelassen, aber nicht zur Behandlung von Erstattungsüberhängen Stellung genommen haben.
b) Entgegen der Auffassung der Kläger ist die Erstattung von Kirchensteuer auch ein Ereignis, das --im Sinne der Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. Beschluss des Großen Senats vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897)-- nach der Festsetzung der Einkommensteuer 1996 eingetreten ist. Zwar hat im Streitfall die Festsetzung der Einkommensteuer für 1996 im Bescheid vom 9. Januar 1998 zur Festsetzung einer Kirchensteuer für 1996 geführt, die unter der bisher gezahlten lag. Dies ändert aber nichts daran, dass die Kirchensteuererstattung für 1996 der Festsetzung der Einkommensteuer für 1996 systematisch (vgl. auch § 51a Abs. 2 EStG) und zeitlich nachfolgt.
2. Die Auffassung des FG lässt sich auch nicht auf die Urteile des BFH in BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646 und in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95 stützen. Zwar lagen diesen Entscheidungen Fälle zugrunde, in denen Sonderausgaben mangels Kirchensteuer- bzw. Sozialversicherungspflicht erstattet wurden. Für die hier allein entscheidende Rechtsfrage, ob "Aufwendungen" i.S. des § 10 EStG vorliegen, ist der Rechtsgrund für die Erstattung aber unerheblich. Der Steuerpflichtige ist in Höhe der Erstattung nicht endgültig wirtschaftlich belastet, unabhängig davon, ob Kirchensteuer mangels Kirchensteuerpflicht oder aufgrund einer Herabsetzung von Einkommensteuer erstattet wird. Auch bei der Verrechnung gezahlter und erstatteter Versicherungsbeiträge im selben Steuerabschnitt wird nicht danach unterschieden, ob die Erstattung ihren Rechtsgrund in der fehlenden Beitragspflicht oder in einer Beitragsermäßigung hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20. Februar 1970 VI R 11/68, BFHE 98, 357, BStBl II 1970, 314; vom 27. Februar 1970 VI R 314/67, BFHE 98, 412, BStBl II 1970, 422).
3. Entgegen der Auffassung des FG steht auch § 11 EStG einer Verrechnung von erstatteter und im Jahr der Erstattung nicht verrechenbarer Kirchensteuer mit der bisher im Jahr der Zahlung berücksichtigten Kirchensteuer nicht entgegen. Diese Vorschrift betrifft grundsätzlich nur die zeitliche Zuordnung steuerbarer Einnahmen bzw. steuerlich abzugsfähiger Aufwendungen (vgl. z.B. Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 11 Rdnr. 3). Die Erstattung von Sonderausgaben fällt nicht unter die steuerbaren Einnahmen. Soweit Schmidt/Heinicke (a.a.O., § 10 Rdnr. 8) rechtssystematische Bedenken geltend machen, beziehen sich diese auf die Verrechnung der Erstattung im Erstattungsjahr.
Fundstellen
Haufe-Index 1366200 |
BFH/NV 2005, 1304 |