Beitragserstattung aufgrund der Änderung des Versicherungsstatus
Ein verbleibender Erstattungsüberhang der sich bei den Aufwendungen der Basis-Kranken- und Pflegeversicherung und der Kirchensteuer ergibt, ist dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen.
Behandlung von erstatteten Sonderausgaben
Mit Einfügung des § 10 Abs. 4b EStG wurde die Behandlung von erstatteten Sonderausgaben mit Wirkung ab dem 1.1.2012 erstmals gesetzlich geregelt. Zweck der Neuregelung ist, die Wiederaufrollung der Steuerfestsetzungen der Vorjahre zu vermeiden, so dass der Steuerpflichtige keine Änderungen für zurückliegende Veranlagungszeiträume mehr nachvollziehen muss. Daher sind die sich bei den Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG ergebenden Erstattungsüberhänge gem. § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen.
Die Erstattung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen führt zu einem Erstattungsüberhang, wenn keine (vollständige) Verrechnungsmöglichkeit mit in demselben Veranlagungszeitraum gezahlten (Basis-)Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen zur Verfügung steht. Inwieweit sich die als Erstattungsüberhang anzusetzenden Beträge in den Veranlagungszeiträumen der jeweiligen Zahlung steuermindernd ausgewirkt hat, ist unerheblich (BFH, Urteil v. 12.3.2019, IX R 34/17). Die Vorschrift enthält eine zulässige Typisierung; sie dient der Vereinfachung des Steuervollzugs.
Revisionsverfahren zur Kirchensteuer
Beim BFH ist aktuell ein Verfahren wegen der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Erstattungsüberhang" offen (Az beim BFH X R 1/20). Hier hat das FG Düsseldorf die Auffassung vertreten (Urteil v. 5.12.2019, 14 K 3341/15 E), dass es für die Annahme eines Erstattungsüberhangs nicht erforderlich ist, dass der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum der Kirchensteuer-Erstattung zugleich eine Kirchensteuer-Zahlung erbracht hat. Ein Überhang liegt auch dann vor, wenn der Zahlungsbetrag im Erstattungsjahr mit null Euro zu beziffern ist.
Neues Revisionsverfahren: Änderung des Versicherungsstatus
Beim FG Rheinland-Pfalz wurde aktuell folgender Fall entschieden (Urteil v. 16.9.2021, 4 K 1565/19): Die Klägerin erhielt in 2017 aufgrund eines sozialgerichtlichen Rechtsstreits zu Unrecht gezahlte freiwillige Krankenversicherungsbeiträge für die Jahre 2003 bis 2016 zurück, da sie zur Pflichtversicherung heranzuziehen war. Nach der Verrechnung ergab sich ein Erstattungsüberhang von über 30.000 EUR, welchen das Finanzamt dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzurechnete.
Der Kläger war der Auffassung, dass es sich vorliegend um eine Beitragserstattung aufgrund der Änderung des Versicherungsstatus gehandelt habe, auf welche § 10 Abs. 4b EStG, der sich auf Beitragsrückerstattungen nach Nichtinanspruchnahme von Versicherungsleistungen, Bonuszahlungen etc. erstrecke und nicht den "Charakter" der streitgegenständlichen Erstattung treffe, nicht anwendbar sei. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Vorschrift erst ab dem Veranlagungszeitraum 2012 gelte, während vorliegend auch Beiträge aus der Zeit von 2003 bis 2011 erstattet und dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzugerechnet worden seien.
Das Finanzamt erwiderte, dass es keine Einschränkungen hinsichtlich des Grundes der Erstattungen gäbe und es daher ohne Bedeutung sei, ob die Erstattungen aus einer Systemumstellung folgten oder sich aus Bonuszahlungen oder Beitragsrückerstattungen ergäben.
FG: Zufluss entscheidend ohne Beurteilung des Grundes
Das FG Rheinland-Pfalz schloss sich der Auffassung des Finanzamts an. Für die Frage, ob die Neuregelung auf eine konkrete Erstattung anzuwenden ist, kommt es insofern auf den Zufluss (§ 11 EStG) der Erstattung an (so auch BFH, Urteil v. 12.3.2019, IX R 34/17), d.h. darauf, ob die Erstattung dem Steuerpflichtigen ab dem 1.1.2012 zugeflossen ist.
Ein Erstattungsüberhang könne sich auch nicht nur aus Beitragsrückerstattungen ergeben. Erhalte der Steuerpflichtige beispielsweise steuerfreie Zuschüsse zu den Aufwendungen i. S. d. § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG, so sei er ebenfalls nicht wirtschaftlich mit den Aufwendungen belastet. Demnach mindern auch steuerfreie Zuschüsse die Aufwendungen. Weicht das Jahr der Beitragszahlung von dem Zuflussjahr des steuerfreien Zuschusses ab, so sei der steuerfreie Zuschuss gleichfalls wie bei einer Beitragsrückerstattung mit gleichartigen Aufwendungen im Zuflussjahr zu verrechnen. Im Urteilsfall sei identisch zu verfahren.
Revisionsverfahren zugelassen
Da das FG u. a. der Frage der Auslegung von § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG, insbesondere hinsichtlich des Begriffs "Erstattungsüberhang", der nach Auffassung des FG nicht nach dem Grund oder Anlass der Erstattung differenziert und keine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung für Steuerpflichtige begründet, grundsätzliche Bedeutung beimisst, hat es die Revision zugelassen. Die Entscheidung des BFH bleibt abzuwarten (Az beim BFH X R 27/21).
Aktualisierung vom 25.11.2022: Revisionsverfahren zur Kirchensteuer mittlerweile entschieden
Bezüglich des Revisionsverfahrens zur Kirchensteuer hat der BFH mittlerweile entschieden (Urteil v. 29.6.2022, X R 1/20). Danach erfordert ein Erstattungsüberhang i. S. des § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG lediglich ein "Übersteigen" der erstatteten Aufwendungen über die im Erstattungsjahr geleisteten Aufwendungen, die auch 0 EUR betragen können.
Ein Kirchensteuer-Erstattungsüberhang liegt damit auch dann vor, wenn der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum der Kirchensteuererstattung keine Kirchensteuer gezahlt hat. Der BFH entnimmt dem Gesetzeswortlaut, dass lediglich ein "Übersteigen" gefordert wird und ein "Verrechnen" von gezahlter Kirchensteuer nicht Bestandteil der Legaldefinition des Erstattungsüberhangs ist.
Auch wäre es mit dem Vereinfachungszweck des Gesetzes nicht zu vereinbaren, wenn die Erstattung bei Aufwendungen von 0 EUR durch rückwirkende Änderung der Steuerfestsetzung des Abflussjahres zu erfassen wäre, obwohl andererseits bei einer Kirchensteuerzahlung in nur geringfügiger Höhe (z. B. 1 EUR) der Erstattungsüberhang ohne Weiteres nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzugerechnet werden müsste.
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