Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung des Folgebescheids nach einem Grundlagenbescheid, der bei Erlaß des Folgebescheids bereits vorhanden war
Leitsatz (NV)
Eine Änderung eines Folgebescheids aufgrund eines Grundlagenbescheids ist unabhängig davon vorzunehmen, ob der Grundlagenbescheid bei Erlaß des Folgebescheids bereits vorlag und dies vom FA nur übersehen wurde.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 21a
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Grundstück des Kl. war von einem Mietwohngrundstück in ein Einfamilienhaus umgestaltet und dementsprechend eine Artfortschreibung vom 1. 1. 1974 durchgeführt worden. Der Kl. erklärte weiterhin die Vermietungseinkünfte aus dem eigengenutzten Einfamilienhaus mit dem Überschuß der Werbungskosten über den niedrigeren Mietwert. Das FA folgte den Steuererklärungen und bemerkte erst nach der Mitteilung einer Wertfortschreibung auf den 1. 1. 1976, daß es die geänderte Artfeststellung bereits bei drei Veranlagungen hätte zugrunde legen müssen. Es berichtigte nun die ESt-Bescheide 1974 bis 1976 unter Bezugnahme auf § 129 AO 1977. Dabei setzte es die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 21a EStG mit jeweils null DM an.
Das FG gab der Klage statt und hob die berichtigten ESt-Bescheide auf, weil weder eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 noch eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gerechtfertigt gewesen sei.
Das FA rügte in seiner Revision die Verletzung der genannten Vorschriften. Der Kl. trat dem entgegen und meinte außerdem, Treu und Glauben ließen eine auf Jahre zurückliegende Berichtigung bestandskräftiger Steuerbescheide nicht zu.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Klage ist unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
Mit den angefochtenen Einkommensteuerbescheiden hat das FA die früheren Bescheide im Ergebnis ohne Rechtsverstoß geändert. Die Vorentscheidung verletzt daher § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977.
Nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 war das FA verpflichtet, aus dem Einheitswertbescheid mit der Artfeststellung des Grundstücks als Einfamilienhaus die Folgerung für die Einkommensteuerfestsetzungen zu ziehen (BFH-Urteil vom 5. Mai 1981 VIII R 103/78, BFHE 134, 210, BStBl II 1982, 99). Der Einheitswertbescheid ist hinsichtlich der Feststellung der Grundstücksart und der Höhe des Einheitswerts für die Ermittlung der Einkünfte aus einem eigengenutzten Haus bindend (§ 21a Abs. 1 EStG). Im Streitfall mußten daher die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für das Grundstück nach den Vorschriften für eigengenutzte Einfamilienhäuser ermittelt werden, wie es in den angefochtenen Bescheiden zutreffend geschehen ist (vgl. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1982 VIII R 153/81, BFHE 138, 180, BStBl II 1983, 627).
Entgegen der Auffassung des FG kann ein Steuerbescheid auch noch dann geändert werden, wenn der Grundlagenbescheid bereits bei Erlaß eines früheren Steuerbescheids hätte berücksichtigt werden können (BFH-Urteil vom 9. August 1983 VIII R 55/82, BFHE 139, 341, BStBl II 1984, 87). Der Wortlaut des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sieht - anders als der des § 173 AO 1977 - eine Einschränkung der Änderungsmöglichkeit nicht vor. Er durchbricht vielmehr den Grundsatz der Rechtssicherheit und gibt dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung den Vorrang (vgl. BFHE 134, 210, BStBl II 1982, 99). Das rechtfertigt es, eine Änderung eines Folgebescheids nach dieser Vorschrift unabhängig davon vorzunehmen, ob die Möglichkeit hierin bei Erlaß des Folgebescheids bereits vorhanden war. Für den Steuerpflichtigen tritt insofern auch kein Rechtsnachteil ein; denn er erhielt Kenntnis von dem Grundlagenbescheid und mußte daher mit einem angepaßten Folgebescheid rechnen.
Danach konnte das FA die angegriffenen Einkommensteuerbescheide erlassen, obwohl es den Art- und Wertfortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 1974 schon bei dem erstmaligen Erlaß der Einkommensteuerbescheide 1974 bis 1976 hätte berücksichtigen können. Der Kläger seinerseits hatte unbestritten den Art- und Wertfortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 1974 lange zuvor erhalten, so daß ihm seitdem die Artfeststellung als Einfamilienhaus wirksam bekannt gemacht worden war.
Eine treuwidrige Verhaltensweise des FA außerhalb des hier behandelten Änderungssachverhalts ist nicht ersichtlich.
Auf Berichtigungsmöglichkeiten nach § 129 AO 1977 ist in der revisionsrechtlichen Prüfung bei dieser Rechtslage nicht weiter einzugehen.
Fundstellen