Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohnsitz im Inland als Voraussetzung der erbschaftsteuerrechtlichen Inländereigenschaft
Leitsatz (NV)
1. Nach ständiger Rechtsprechung des RFH und des BFH sind die Voraussetzungen des für die Inländereigenschaft u.a. maßgebenden Wohnsitzes im Inland (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 und Satz 2 Buchst. a ErbStG 1974 i.V.m. § 8 AO 1977) ausschließlich nach tatsächlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen.
2. Im Gegensatz zum bürgerlichen Recht (§§ 7 f. BGB) kommt im Steuerrecht der Willensrichtung nur sekundäre Bedeutung zu. Die Willensrichtung ist unbeachtlich, solange und soweit sie im Widerspruch zur tatsächlichen Gestaltung steht.
Normenkette
AO 1977 § 8; BGB § 7f; ErbStG 1974 § 2 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klin. ist die alleinige Erbin des im Januar 1979 in A (Bundesrepublik Deutschland - Bundesrepublik -) verstorbenen B (Erblasser). Dieser hatte 1960 seinen Wohnsitz von der Bundesrepublik nach Liechtenstein verlegt. Die Klin., die den Erblasser schon länger kannte, ist 1960 zu dem Erblasser in seine Wohnung nach Liechtenstein gezogen. Sie war polizeilich dort bis zum Tod des Erblassers nicht gemeldet, weil sie nicht nach Liechtenstein zuziehen durfte, doch hat der Erblasser nach den Angaben der Klin. eine erhöhte Steuerpauschale dafür entrichtet, daß sie dort verbleiben durfte. Ursprünglich hatte die Klin. in C gewohnt und dort ein Geschäft gehabt, das sie 1959 aufgab. Sie hatte sich dann nach A unangemeldet und schließlich dort mit ihrer Schwester im Jahre 1974 ein Doppelhaus errichtet, dessen eine Hälfte ihrer Schwester und dessen andere Hälfte der Klin. gehört. In dem Haus der Klin. ist der Erblasser auch verstorben. Bis zu einer schweren Erkrankung des Erblassers ist das Haus in A nach den Angaben der Klin. stets als Ferienwohnung angesehen worden, war aber nicht vermietet. Das Haus wurde im Zuge der schweren Erkrankung des Erblassers vom Mai 1978 bis zum Todestag genutzt, weil eine Rückkehr nach Liechtenstein wegen des schlechten Gesundheitszustands des Erblassers nicht in Betracht kam.
Im Jahre 1973 hatte der Erblasser der Klin. ein Haus in D geschenkt. Die Klin. hat sich dort mit erstem Wohnsitz angemeldet, A aber als zweiten Wohnsitz beibehalten.
Das FA war der Auffassung, die Klin. habe in A einen Wohnsitz gehabt und setzte deshalb gegen die Klin. - unter Anrechnung von in Liechtenstein gezahlter ErbSt - . . . DM ErbSt fest (Bescheid vom 13. Februar 1980). Der gegen diesen Steuerbescheid gerichtete Einspruch blieb erfolglos. Mit der Klage begehrt die Klin. die Aufhebung der Steuerfestsetzung. Sie ist der Auffassung, sie sei nicht als Inländerin i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 anzusehen, denn sie habe weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik, sondern ihren ständigen Wohnsitz in Liechtenstein gehabt. Der Aufenthalt in A vom Mai 1978 bis zum Todestag des Erblassers sei nur vorübergehender Natur gewesen.Das FG hat der Klage stattgegeben. Es ist der Auffassung, daß ein Wohnsitz nur bei einem freiwilligen Entschluß des Wohnungsinhabers begründet werden könne. Die Umstände, die zum Verbleib der Klin. in der Zeit ab Mai 1978 bis zum Todestag in A geführt hätten, zeigten, daß die Klin. aus freiem Willen zu keiner Zeit ihren Wohnsitz im Inland begründen wollte. Mit der Revision beantragt das FA, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen. Es rügt Verletzung von § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 i.V.m. § 8 AO 1977.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 tritt beim Erwerb von Todes wegen Steuerpflicht hinsichtlich des gesamten Vermögensanfalls dann ein, wenn der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer - hier gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 im Zeitpunkt des Todes des Erblassers - Inländer ist. Als Inländer gilt nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG 1974 eine natürliche Person dann, wenn sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Seinen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen will (§ 8 AO 1977).
Das FG hat sich darauf beschränkt zu prüfen, ob die Klin. anläßlich ihres Aufenthaltes in A in der Zeit ab Mai 1978 bis zum Todestag des Erblassers in A einen Wohnsitz begründet hat, und hat dies verneint. Es hat aber ungeprüft gelassen, ob die Klin. jemals ihren Wohnsitz im Inland aufgegeben hat oder ob die Klin. nach einer etwa erfolgten Wohnsitzaufgabe erneut einen Wohnsitz im Inland mit dem Bau des Hauses in A begründet hat. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben.
1. Die Sache ist nicht spruchreif. Ob die Voraussetzungen des § 8 AO 1977 (wortgleich mit dem ehemaligen § 13 StAnpG) erfüllt sind, ist nach der ständigen Rechtsprechung des RFH und des BFH ausschließlich nach tatsächlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil vom 14. November 1969 III R 95/68, BFHE 97, 425, BStBl II 1970, 153 m.w.N.). Im Gegensatz zum bürgerlichen Recht, nach dem Begründung, Beibehaltung und Aufgabe des Wohnsitzes rechtsgeschäftliche Willenserklärungen darstellen (§§ 7, 8 BGB), kommt der Willensrichtung für den steuerrechtlichen Wohnsitzbegriff nur sekundäre Bedeutung zu: solange und soweit sie zu der tatsächlichen Gestaltung in Widerspruch steht, ist sie steuerrechtlich unbeachtlich.
a) Neben dem Innehaben einer Wohnung (wozu das FG als zwischen den Beteiligten unstreitig festgestellt hat, daß die Klin. in dem Haus in A eine Wohnung besaß) setzt der Wohnsitzbegriff des § 8 AO 1977 zusätzliche Umstände voraus, die darauf schließen lassen, daß diese Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche auch künftig genutzt werden soll. Damit besteht das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne darin, daß objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz. Davon geht auch das BFH-Urteil vom 6. März 1968 I 38/65 (BFHE 92, 5, BStBl II 1968, 439) aus, wenn dort ausgesprochen wird, daß eine Wohnung, die zu Erholungszwecken gehalten werde, keinen Wohnsitz begründe, weil sie dem Wohnungsinhaber nicht zur dauernden Bleibe dienen sollte. Andererseits setzt der steuerliche Wohnsitzbegriff nicht voraus, daß die Wohnung dauernd durch ihren Inhaber genutzt wird, er sich dort ständig oder während einer Mindestzeit aufhält. Deshalb geht auch das Steuerrecht - und damit das ErbSt-Recht - nicht davon aus, daß eine natürliche Person jeweils nur einen Wohnsitz haben könne (vgl. BFH-Urteil vom 4. Juni 1964 IV 29/64, BFHE 80, 169, BStBl III 1964, 535). Der Inländereigenschaft i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 steht deshalb das Vorhandensein eines weiteren Wohnsitzes im Ausland nicht entgegen (vgl. Urteil des BFH vom 13. Oktober 1965 I 410/61 U, BFHE 83, 655, BStBl III 1965, 738).
b) Ob die Doppelhaushälfte der Klin. in A nur als eine Ferienwohnung anzusprechen ist, die nicht zur dauernden Bleibe dienen sollte, läßt sich aus den tatsächlichen Feststellungen des FG nicht abschließend beantworten.
aa) In objektiver Hinsicht spricht dagegen, daß das Haus nicht in einem Feriengebiet im allgemein verstandenen Sinne liegt und die Belegenheit dieser Wohnung durch den Umstand begründet sein dürfte, daß die Verwandten der Klin. auf dem Nachbargrundstück leben. Auch ist das Haus, wie es für typische Ferienwohnungen nicht üblich ist, zum dauernden Bewohnen ohne Einschränkung der üblichen Lebensführung geeignet. Dies schließt der Senat daraus, daß die Klin. mit ihrem schwer erkrankten Lebensgefährten bis zu dessen Tod immerhin sieben Monate in dieser Wohnung verbrachte, ohne einen Wechsel der Unterbringung in Betracht zu ziehen.
bb) In subjektiver Hinsicht kann für die Entscheidung von Bedeutung sein, daß die Klin. in Liechtenstein nach den Feststellungen des FG nur geduldet war und seit der Errichtung des Hauses in A in der Bundesrepublik eine Wohnung zur jederzeitigen Benutzung innehatte. Hinzu kommt, daß die Klin. ebenso wie ihr Lebensgefährte sowohl in ihrer Zeiteinteilung als auch in der Wahl ihres Aufenthaltsortes völlig unabhängig war. In solchen Fällen könnte, anders als bei Personen, die z.B. durch die Berufsausübung einer vorgegebenen Zeiteinteilung unterliegen, an mehreren Orten und überall dort ein Wohnsitz begründet werden, wo eine Wohnung unterhalten wird, die der Inhaber entsprechend seiner Lebensgestaltung regelmäßig, wenn auch in größeren Zeitabständen, als Bleibe benutzt.
Fundstellen