Erbfall nach italienischem Recht
Hintergrund: Annahme der Erbschaft nach Aufgabe des inländischen Wohnsitzes
Im Streitfall spielt eine Besonderheit des italienischen Erbrechts eine Rolle. Während nach dem BGB der Erbe unmittelbar nach dem Tod des Erblassers in dessen Rechtsstellung eintritt (§ 1922 Abs. 1 BGB), wirkt nach italienischem Recht die Annahme der Erbschaft konstitutiv. Die Rechtsstellung als Erbe tritt erst mit der Annahme der Erbschaft ein. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht ein "Schwebezustand", für den der Nachlass ohne Rechtsträger ist. Die Annahme der Erbschaft wirkt sodann auf den Todeszeitpunkt des Erblassers zurück.
Der Erblasser (ein italienischer Staatsangehöriger mit letztem Wohnsitz in Italien und dort belegenem Nachlass) verstarb in 2015. Aufgrund gesetzlicher Erbfolge war die X, die damals noch in Deutschland lebte, als Miterbin berufen.
Im Juli 2016 gab X ihren inländischen Wohnsitz auf und verzog nach Italien. Anschließend erklärte sie die Annahme der Erbschaft.
X ging davon aus, der Erbfall unterliege nicht der deutschen ErbSt. Ihren inländischen Wohnsitz habe sie zwar zum Todeszeitpunkt des Erblassers (in 2015) innegehabt, aber nicht mehr zum Zeitpunkt der formellen Annahme der Erbschaft nach ihrem Wegzug nach Italien (Juli 2016). Sie sei daher nicht als (steuerpflichtige) Inländerin i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, Satz 2 Buchst. a ErbStG anzusehen.
Das FA setzte ErbSt fest und wies darauf hin, die Steuer sei bereits mit dem Tod des Erblassers (2015) und damit zu einem Zeitpunkt entstanden, an dem die X einen inländischen Wohnsitz gehabt habe.
Das FG wies die Klage im Streitpunkt ab. Der nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Alt. 3, Satz 2 Buchst. a ErbStG maßgebende Steuerentstehungszeitpunkt sei nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Zeitpunkt des Todes des Erblassers, nicht der Zeitpunkt der Annahme der Erbschaft. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG (Erwerb bei Eintritt einer aufschiebenden Bedingung) sei nicht erfüllt. Die Annahme der Erbschaft sei nicht als Bedingung anzusehen. Denn der (potenzielle) Erbe habe es selbst in der Hand, die Erbschaft anzunehmen.
Entscheidung: Entstehung der ErbSt im Todeszeitpunkt
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Die Steuer ist auf den Todestag des Erblassers entstanden. Zu diesem Zeitpunkt hatte die X zumindest ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
Vergleichbare italienische und deutsche Rechtslage
Für den Erwerb eines Erben nach italienischem Erbrecht entsteht inländische ErbSt mit dem Zeitpunkt des Todes des Erblassers und nicht erst mit der Annahme durch den Erben. Bei einem Erbfall nach italienischem Erbrecht tritt mit der Annahme ein Erwerb durch Erbanfall i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG ein. Es handelt sich um eine mit § 1922 BGB (Gesamtrechtsnachfolge kraft Gesetzes) vergleichbare Vermögensnachfolge. Zwar kann wegen des Annahmeerfordernisses der Erwerb im italienischen Erbrecht nicht allein kraft Gesetzes stattfinden. Die Annahme bewirkt jedoch auch keinen Erwerb allein kraft Rechtsgeschäfts, sondern stellt nur ein neben andere Erwerbsvoraussetzungen tretendes rechtsgeschäftliches Element dar.
Kein aufschiebend bedingter Erwerb
Entstehungszeitpunkt der Steuer ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Tod des Erblassers. Die Annahme der Erbschaft nach italienischem Recht ist nicht als aufschiebende Bedingung entsprechend § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Alt. 1 ErbStG zu qualifizieren, sondern als rückwirkendes Ereignis entsprechend § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Denn Wesensmerkmal der Bedingung ist, dass das bedingte Rechtsgeschäft seine Wirkung erst mit Eintritt der Bedingung (für die Zukunft, "ex nunc") entfaltet. Der bedingt eingesetzte Erbe wird erst mit Eintritt der Bedingung Eigentümer des Nachlasses.
Anders ist es bei der Erbschaftsannahme nach italienischem Recht. Die Annahme ist mit einer Bedingung nicht vergleichbar. Die Erbschaft wird zwar erst mit der Annahmeerklärung erworben, sie wirkt aber auf den Zeitpunkt der Eröffnung der Erbfolge zurück (von Anfang an "ex tunc"). Materiell-rechtlich fällt die Erbschaft daher (anders als bei einer Bedingung) mit dem Zeitpunkt des Erbfalls an.
Geltung der milderen Besteuerung
Der Grundsatz, dass bei mehreren zur Verfügung stehenden Strukturen des deutschen Rechts die mildere Besteuerung gelten müsse, ändert an dieser Beurteilung nichts. Der Erbschaftserwerb durch Annahme nach italienischem Recht lässt sich nicht wahlweise als bedingter oder unbedingter Erwerb qualifizieren, sondern ist eindeutig kein bedingter Erwerb.
Hinweis: Berücksichtigung ausländischen Rechts
Vollzieht sich ein Erwerb von Todes wegen nach ausländischem Zivilrecht, kann er im Inland der ErbSt unterliegen, soweit der Vermögensanfall in seiner wirtschaftlichen Bedeutung einem durch das ErbStG erfassten Erwerb gleichkommt (BFH v. 4.7.2012, II R 38/10, BStBl II 2012, S. 782). Soweit das ErbStG auf Rechtsfiguren des Erbrechts Bezug nimmt, ist bei einem ausländischen Erbstatut dessen Bedeutungsgehalt maßgebend. Dabei müssen sowohl die Rechtsfolgen als auch das wirtschaftliche Ergebnis dem inländischen Tatbestand entsprechen.
Revisionsrechtlich ist für die rechtsvergleichende Qualifikation zu differenzieren: Nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 293 ZPO ist es Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht von Amts wegen zu ermitteln. Die Feststellungen über Bestehen und Inhalt des ausländischen Rechts sind nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 560 ZPO grundsätzlich bindend und revisionsrechtlich wie Tatsachen zu behandeln (BFH v. 22.3.2018, X R 5/16, BStBl II 2018, S. 651). Dagegen besteht keine revisionsrechtliche Bindung hinsichtlich der Frage, ob das vom FG festgestellte ausländische Recht im Einzelfall mit dem inländischen Recht vergleichbar ist. Dies ist eine auf den Inhalt des ausländischen Rechts und damit auf die Feststellungen des FG gestützte Rechtsanwendung.
BFH Urteil vom 17.11.2021 - II R 39/19 (veröffentlicht am 07.04.2022)
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