Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschränkung des Haftungsumfangs bei auf die Nettolöhne beschränkten Zahlungsmitteln und Erlaßsituation hinsichtlich der Säumniszuschläge
Leitsatz (NV)
1. Wenn dem Geschäftsführer einer Gesellschaft außer den in voller Höhe ausgezahlten Nettolöhnen keine sonstigen Zahlungsmittel zur Verfügung standen, kommt eine Haftungsbeschränkung auf die Lohnsteuer in Betracht, die angefallen wäre, wenn er die Nettolöhne zum Zwecke der anteiligen Befriedigung der Arbeitnehmer und des FA aufgeteilt und nur gekürzt an die Arbeitnehmer ausbezahlt hätte.
Die Haftungsbeschränkung kann aber nur für den oder die letzten Monate eines Haftungszeitraums eingreifen.
2. Besteht für den Hauptschuldner hinsichtlich verwirkter Säumniszuschläge eine Erlaßsituation (Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit, Konkurseröffnung), so kommt diese auch dem Haftungsschuldner zugute.
Normenkette
AO 1977 §§ 69, 191, 240
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH, die ihrerseits Komplementärin einer GmbH & Co. KG (KG) war. Über das Vermögen der KG wurde im Juli 1983 das Konkursverfahren eröffnet. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger wegen rückständiger Lohnsteuer der KG sowie Verspätungszuschlägen und Säumniszuschlägen als Haftungsschuldner in Anspruch. Der Einspruch gegen den Haftungsbescheid blieb erfolglos. Während des Klageverfahrens beschränkte das FA die Haftung für die Lohnsteuer auf den Zeitraum Oktober 1982 bis Juni 1983.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage im wesentlichen mit folgender Begründung ab:
Der Kläger habe den Haftungstatbestand erfüllt. Die in § 34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geregelte Verantwortung der Geschäftsführer einer KG für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der Gesellschaft könne weder durch eine interne Geschäftsverteilung aufgehoben noch der Lohnbuchhaltung angelastet werden. Der Kläger widerspreche sich selbst, wenn er einerseits meine, er habe sich auf die Angestellte verlassen dürfen, die die Lohnsteuerangelegenheiten der KG seit Jahren ordnungsgemäß erledigt habe, und andererseits behaupte, die Mittel der KG hätten nur für die Auszahlung der Nettolöhne ausgereicht. Gerade weil die Geldmittel der KG schon seit Jahren knapp gewesen seien, hätte er sich selbst darum kümmern müssen, daß die angemeldete Lohnsteuer auch abgeführt werden konnte. Wenn dies nur durch Kürzung der auszubezahlenden Nettolöhne möglich gewesen sei, hätte der Kläger dafür sorgen müssen, daß entsprechende Lohnkürzungen vorgenommen wurden. Da er dies nicht getan habe, habe er die ihm als Geschäftsführer obliegenden steuerlichen Pflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig vernachlässigt (§ 69 AO 1977).
Der Kläger hafte nicht nur für die Lohnsteuer, die bei einer entsprechenden Kürzung der Arbeitslöhne einzubehalten gewesen wäre, sondern für die aus den ungekürzten Bruttolöhnen errechnete Lohnsteuer, die die KG gemäß ihren Lohnsteueranmeldungen schulde. Denn mit der Auszahlung der Nettolöhne und den entsprechenden Eintragungen auf den Lohnsteuerkarten erkläre der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern und dem FA, daß er die Lohnsteuer in vollem Umfang von den Löhnen einbehalten habe. Der Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer erhalte dann diese Lohnsteuer bei der Einkommensteuerveranlagung bzw. beim Lohnsteuer-Jahresausgleich wieder angerechnet oder erstattet. Der Arbeitgeber bzw. sein Geschäftsführer könne sich deshalb nicht darauf berufen, daß seine Mittel zur Zahlung der Bruttolöhne nicht ausgereicht hätten. Auf die Frage, ob der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Lohnzahlung genügend Geld hatte, um außer den Nettolöhnen auch noch die Lohnsteuer zu bezahlen, komme es somit nicht an. Entscheidend sei, daß er sich konkludent für befähigt erklärt habe, die Lohnsteuer zu bezahlen. Der Senat brauche deshalb keine Feststellungen zur tatsächlichen Liquidität der KG an den einzelnen Lohnzahlungszeitpunkten zu treffen.
Der Kläger hafte auch für die von der KG geschuldeten Verspätungszuschläge und für die Säumniszuschläge. Denn zu den in § 69 AO 1977 genannten Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehörten auch die Ansprüche auf diese steuerlichen Nebenleistungen (§§ 3 Abs. 3, 37 Abs. 1 AO 1977 und Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Februar 1980 VI R 185/79, BFHE 130, 128, BStBl II 1980, 375).
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 69, 191, 240 AO 1977 und des Übermaßverbots. Er macht geltend, das FA habe rechtsfehlerhaft ein Verschulden im Sinn des § 69 AO 1977 unterstellt und damit seine Haftung dem Grunde nach bejaht. Das Urteil enthalte keine Ausführungen darüber, aus welchen Tatsachen sich seine grob fahrlässige Pflichtverletzung herleiten lasse.
Auch bezüglich der Höhe der Haftung seien die Vorentscheidung und die angefochtenen Verwaltungsakte fehlerhaft. Er könne als Geschäftsführer nur insoweit haften, als er den Haftungsschaden durch schuldhafte Pflichtverletzung verursacht habe. Der KG hätten lediglich Geldmittel in Höhe der ausgezahlten Nettolöhne zur Verfügung gestanden. Wenn er pflichtgemäß diese Barmittel als Bruttolohnsumme behandelt und die Löhne entsprechend gekürzt hätte, hätte sich die abzuführende Lohnsteuer um ca. 1/3 gemindert. Ein Haftungsschaden bestehe deshalb allenfalls in Höhe von 2/3 der in dem angefochtenen Haftungsbescheid festgesetzten Lohnsteuerbeträge.
Nach der Rechtsprechung des BFH zum Umsatzsteuerrecht richte sich die Höhe der Haftungssumme danach, über welchen Betrag der Haftende tatsächlich habe verfügen können, und nicht nach der entstandenen Steuerschuld. Diese Rechtsprechung müsse auch auf die Lohnsteuerhaftung übertragen werden, denn eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers und ein Schaden lägen allenfalls insoweit vor, als von den tatsächlich zur Verfügung stehenden Geldmitteln keine Lohnsteuer an das FA abgeführt worden sei.
Hinsichtlich seiner Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für die gegen die KG festgesetzten Verspätungszuschläge fehle es an einer Rechtsgrundlage. Nach § 191 Abs. 1 AO 1977 könne die Finanzbehörde nur die Haftung für eine Steuer, nicht aber für steuerliche Nebenleistungen durch Haftungsbescheid geltend machen (FG Hamburg, Urteil vom 26. Februar 1982 VI 74/82, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1982, 600). Aus § 69 Satz 2 AO 1977 ergebe sich ferner im Umkehrschluß, daß für Verspätungszuschläge nicht gehaftet werde. Wenn § 69 Satz 1 AO 1977 die Haftung auch für steuerliche Nebenleistungen beinhalten sollte, wäre es überflüssig gewesen, in Satz 2 dieser Vorschrift nochmals ausdrücklich die Haftung für Säumniszuschläge zu bestimmen.
Im Streitfall sei auch seine Haftung für die Säumniszuschläge nicht gerechtfertigt. Denn Säumniszuschläge seien ein Druckmittel, um den Steuerpflichtigen zur pünktlichen Zahlung anzuhalten. Sei der Schuldner - wie im Streitfalle die KG - aber zahlungsunfähig, so verstoße die Ausübung von Druck durch Erhebung von Säumniszuschlägen gegen das Übermaßverbot. Der Schuldner habe in diesem Falle einen Anspruch auf Erlaß der Säumniszuschläge, der wegen der Akzessorietät der Haftung auf den Haftungsschuldner übergehe.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie den Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
I. Das FG hat die Haftung des Klägers für Lohnsteuerabzugsbeträge, die die KG während der Dauer seiner Geschäftsführertätigkeit für die Lohnsteueranmeldungszeiträume August 1982 bis Juni 1983 nicht abgeführt hat, dem Grund nach zu Recht bejaht.
1. Als Geschäftsführer der in der KG geschäftsführenden Komplementär-GmbH traf den Kläger die Verpflichtung, bis zum 10. Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraums (Kalendermonat) für die Abführung der von der KG einbehaltenen Lohnsteuer an das FA zu sorgen (§ 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -, § 34 Abs. 1 AO 1977, § 41 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Von dieser Verpflichtung können den Geschäftsführer etwaige Liquiditätsschwierigkeiten der Gesellschaft nicht befreien. Falls die zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen Löhne einschließlich des Steueranteils nicht ausreichen, darf er die Löhne nur gekürzt als Vorschuß oder als Teilbetrag auszahlen und er muß aus den dann übrigbleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das FA abführen (so die ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521; ebenso bis zum 31. Dezember 1974 ausdrücklich vorgeschrieben in § 30 Abs. 3 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV -). Dieser Verpflichtung zur gleichrangigen Befriedigung der Arbeitnehmer hinsichtlich der Löhne und des FA hinsichtlich der darauf entfallenden Lohnsteuern - notfalls unter anteiliger Kürzung beider Verbindlichkeiten - ist der Kläger nicht nachgekommen. Er hat während des Haftungszeitraums die Nettolöhne ungekürzt an die Arbeitnehmer auszahlen lassen, die entsprechenden Abzugssteuern aber nicht an das FA abgeführt. Damit hat er den Haftungstatbestand des § 69 Satz 1 AO 1977 - wie das FG zu Recht entschieden hat - zumindest grob fahrlässig erfüllt.
2. Auf eine Unkenntnis seiner steuerlichen Verpflichtungen und auf ein Fehlverhalten von Angestellten (hier: Lohnbuchhalterin) kann sich der Kläger nicht berufen. Denn der Geschäftsführer ist verpflichtet, sich über die ihm obliegenden gesetzlichen Pflichten auch steuerlicher Art zu informieren und Angestellte, die für ihn die steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft erledigen, entsprechend zu unterrichten und zu überwachen. Die ordnungsgemäße Beachtung der gesetzlichen Vorschriften muß von jedem kaufmännischen Leiter eines Gewerbebetriebs verlangt werden (BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521, 522). Der Kläger hatte besonderen Anlaß, sich selbst um die ordnungsgemäße Abführung der Lohnsteuer zu kümmern, weil - wie das FG festgestellt hat - die Geldmittel der KG seit Jahren knapp waren und der Haftungszeitraum sich fast über die Dauer eines Jahres erstreckt.
II. Im Streitfall kommt aber, soweit die der KG zur Verfügung stehenden Mittel - wie der Kläger vorträgt - tatsächlich auf die ausbezahlten Nettolöhne beschränkt gewesen sein sollten, eine Beschränkung der Haftung der Höhe nach in Betracht.
1. Der erkennende Senat ist in seiner bisherigen Rechtsprechung in Fällen, in denen der Geschäftsführer vorgetragen hatte, daß die ihm zur Verfügung stehenden Mittel der Gesellschaft nicht ausgereicht hätten, um neben den Arbeitnehmern auch noch das FA zu befriedigen, nicht zu einer Verminderung des Haftungsbetrages auf die Steuerbeträge gelangt, die bei der gebotenen Kürzung der Nettolöhne an das FA abzuführen gewesen wären. Er ist dem Einwand der mangelnden Zahlungsmittel lediglich mit dem Vorwurf gegenüber dem Geschäftsführer begegnet, daß dieser die zur Auszahlung gelangten Löhne auf die Arbeitnehmer und das FA hätte aufteilen müssen, ohne daraus Konsequenzen für die Höhe der Haftungsschuld zu ziehen. Demgegenüber hat das FG Düsseldorf (Urteil vom 23. November 1983 III 230/76 L, EFG 1984, 378) entschieden, daß sich bei einem GmbH-Geschäftsführer, dem lediglich die Mittel für die Nettolöhne zur Verfügung standen, die durch die Nichtabführung von Steuern verursachte Steuerverkürzung auf die Steuerbeträge beschränke, die von der verfügbaren Nettolohnsumme einzubehalten und abzuführen gewesen wären. Dem ist der Bundesgerichtshof (BGH) - ohne eigene Begründung - für die Frage des Umfangs der hinterzogenen Beträge im Steuerstrafverfahren gefolgt (Urteil vom 19. Februar 1985 - 5 StR 798/84, Zeitschrift für Wirtschaft. Steuer. Strafrecht - wistra - 1985, 104, 105). Der Senat schließt sich für den Fall, daß der Schuldvorwurf gegenüber dem Geschäftsführer darauf beschränkt werden muß, er habe die ausbezahlten Nettolöhne nicht zum Zwecke der anteiligen Befriedigung des FA gekürzt, der Auffassung an, daß die Haftung entsprechend der verfügbaren Nettolohnsumme einzuschränken ist.
2. Die Haftung nach § 69 Satz 1 AO 1977 beschränkt sich dem Umfang nach auf den Betrag, der infolge der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet wurde. Die Vorschrift hat somit Schadensersatzcharakter (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 69 AO 1977, Tz. 2, 4; Halaczinsky in Koch, Abgabenordnung, 3. Aufl., vor § 69 Rdziff. 3 und § 69 Rdziff. 4).
a) Stehen zur Begleichung der Steuerschulden keine ausreichenden Mittel zur Verfügung, so betrifft die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Schmälerung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur einen Teil der Steuerschulden (Halaczinsky, a.a.O., § 69 Rdziff. 9). Die neuere Rechtsprechung des BFH geht demgemäß bei der Haftung des Geschäftsführers für rückständige Umsatzsteuer davon aus, daß dieser nur insoweit in Anspruch genommen werden kann, als er aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Steuerschulden hätte tilgen können. Reichten die Zahlungsmittel der Gesellschaft zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten nicht aus, so haftet der Geschäftsführer nur in dem Umfang, wie er das FA wegen der Umsatzsteuer gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt hat. Die danach für die Umsatzsteuer verbleibende Haftungsquote ist unter Berücksichtigung der Mittelverwendung während des gesamten Haftungszeitraums überschlägig zu berechnen (BFH-Urteile vom 8. Juli 1982 V R 7/76, BFHE 137, 1, BStBl II 1983, 249; vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776; vom 26. März 1985 VII R 139/81, BFHE 143, 488, BStBl II 1985, 539; vom 12. Juli 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657, und vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172). Die vorstehenden, für die Umsatzsteuerhaftung entwickelten Rechtsgrundsätze können für die nach derselben Rechtsnorm zu beantwortende Frage nach dem Umfang der Haftung für die Lohnsteuer, wenn die dem Geschäftsführer zur Verfügung stehenden Zahlungsmittel zur Befriedigung der Arbeitnehmer wegen der Löhne sowie des FA wegen der Lohnsteuer nicht ausreichten, nicht unberücksichtigt bleiben.
Für den Fall, daß die Gesellschaft nur über Mittel in Höhe der ausgezahlten Nettolöhne verfügt hat, besteht - wie oben ausgeführt - die Pflichtverletzung des Geschäftsführers darin, daß er die Löhne nicht zum Zwecke der anteiligen Befriedigung des FA entsprechend gekürzt an die Arbeitnehmer ausgezahlt hat. Ein Schuldvorwurf im Sinne des § 69 AO 1977 kann demgemäß gegenüber dem Geschäftsführer nicht hinsichtlich der in voller Höhe angemeldeten, nicht abgeführten Lohnsteuer erhoben werden, sondern nur hinsichtlich der Lohnsteuerbeträge, die er bei der gebotenen Kürzung der Nettolöhne an das FA hätte abführen können (vgl. Tipke / Kruse, a.a.O., § 69 AO 1977 Tz. 11 a. E.). Nur in Höhe dieser Beträge ist auch dem FA durch das pflichtwidrige Verhalten des Geschäftsführers ein Schaden entstanden; denn mit der Entrichtung der angemeldeten auf die geschuldeten Bruttolöhne entfallenden Steuern konnte anläßlich der mangelnden Zahlungsmittel von vornherein nicht gerechnet werden. Der Geschäftsführer kann deshalb nach den §§ 69, 34 Abs. 1 AO 1977 nur hinsichtlich der Beträge als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden, die bei der Behandlung der ihm zur Verfügung stehenden, an die Arbeitnehmer ausgezahlten Gelder als Bruttolöhne und der gebotenen anteiligen Befriedigung der Arbeitnehmer und des FA als Steuerabzugsbeträge angefallen wären. Diese Haftungsbeschränkung entspricht der Haftung des Geschäftsführers für die Umsatzsteuer bei zur Befriedigung aller Gläubiger nicht ausreichenden Zahlungsmittel, allerdings mit dem Unterschied, daß sich die Haftungsquote nicht nach dem möglichen Umfang einer gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger, sondern nur nach der möglichen anteiligen Befriedigung des FA und der Arbeitnehmer bemißt. Die Beschränkung der Haftungssumme allein nach Maßgabe der ausgezahlten Löhne rechtfertigt sich daraus, daß die abzuführende Lohnsteuer ein Teil des geschuldeten Bruttoarbeitslohns ist, den der Arbeitgeber treuhänderisch für den Arbeitnehmer und den Steuerfiskus einzuziehen hat (vgl. Urteil des erkennenden Senats in BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521, 522). Der Arbeitgeber und dessen Vertreter darf deshalb unabhängig von dem Umfang der Befriedigung der übrigen Gläubiger das FA hinsichtlich der Lohnsteuer nicht schlechter behandeln als die Arbeitnehmer hinsichtlich der ausgezahlten Nettolöhne.
Die unbeschränkte Haftung des Geschäftsführers in Höhe der angemeldeten, nach den geschuldeten Bruttolöhnen berechneten Steuerabzugsbeträge kann bei auf die Nettolöhne beschränkten Zahlungsmitteln nicht damit begründet werden, daß der Geschäftsführer mit der ungekürzten Auszahlung der Nettolöhne an die Arbeitnehmer die Lohnsteuer in der vollen, nach den Bruttoarbeitslöhnen bemessenen Höhe zur Entstehung bringt (§ 38 Abs. 2 Satz 2, § 38 a Abs. 1, Abs. 3 EStG). Die Begründung des Steuertatbestands durch den Geschäftsführer führt noch nicht ohne weiteres zu dessen Haftung. Da die Haftung nach § 69 AO 1977 einen durch eine schuldhafte Pflichtverletzung verursachten Steuerausfall voraussetzt (vgl. Steuerverkürzung im Sinne des § 109 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung - AO -) kann der Haftungsschuldner nur hinsichtlich derjenigen Steuerbeträge in Anspruch genommen werden, für die bei pflichtgemäßem Verhalten seinerseits ein Ausfall nicht eingetreten wäre.
b) An dieser rechtlichen Beurteilung des Haftungsumfangs können auch die Rechtsfolgen nichts ändern, die im Falle der Auszahlung des ungekürzten Nettolohnes im Verhältnis zwischen den Arbeitnehmern und ihren Wohnsitz-FÄ eintreten. Zwar trifft es zu, daß bei ungekürzter Lohnzahlung an die Arbeitnehmer in den Lohnsteuerbescheinigungen auf den Lohnsteuerkarten (§ 41 b Abs. 1 Satz 2 EStG) die Lohnsteuer in der vollen nach dem Bruttoarbeitslohn berechneten Höhe vom Arbeitgeber als einbehalten erklärt wird. Das führt bei den Einkommensteuerveranlagungen oder den Lohnsteuer-Jahresausgleichen der Arbeitnehmer zu einer Anrechnung bzw. Erstattung von Lohnsteuer (§ 36 Abs. 2 Nr. 2, § 42 Abs. 1 EStG), die in dem hier erörterten Fall nicht an das FA abgeführt worden war. In dieser Anrechnung oder Erstattung liegt aber keine weitere dem Geschäftsführer zuzurechnende Steuerverkürzung. Sie ist vielmehr identisch mit der Steuerverkürzung, die bereits mit der Nichtabführung der nach den Bruttolöhnen zu bemessenen Lohnsteuer an das FA eingetreten ist. Wie oben ausgeführt, haftet der Geschäftsführer für diese Lohnsteuer aber nur insoweit, wie ihm bei der gebotenen Kürzung der Löhne eine Befriedigung des FA möglich gewesen wäre. Die Geschäftsführerhaftung bei der Lohnsteuer entspricht auch insoweit der Sach- und Rechtslage, wie sie bei der Umsatzsteuerhaftung besteht. Auch für die Umsatzsteuer haftet der Geschäftsführer bei insgesamt nicht ausreichenden Zahlungsmitteln nur beschränkt in dem Umfang, wie er das FA gleichrangig und anteilig mit den anderen Gläubigern hätte befriedigen können, obwohl er mit der Bewirkung von Umsätzen und der Ausstellung von Rechnungen die Umsatzsteuerschuld in voller Höhe zur Entstehung gebracht und - möglicherweise - ihren Abzug als Vorsteuer durch die Leistungsempfänger veranlaßt hat (§ 1 Abs. 1, § 14 Abs. 1, § 15 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -).
3. Der Senat ist allerdings der Ansicht, daß die vorstehend dargestellte Haftungsbeschränkung für die Lohnsteuer nur in Ausnahmefällen und im Rahmen eines längeren Haftungszeitraums allenfalls für die letzten Lohnsteueranmeldungszeiträume in Betracht kommt.
a) Ein Geschäftsführer kann sich nicht darauf berufen, daß ihm während der Dauer eines sich über mehrere Kalendermonate erstreckenden Haftungszeitraums stets nur Zahlungsmittel in Höhe der ausgezahlten Nettolöhne zur Verfügung gestanden hätten und er deshalb nur insoweit hafte, als er bei der jeweils gebotenen Kürzung der Löhne das FA wegen der Lohnsteuer anteilig hätte befriedigen können. Aus der Tatsache, daß über mehrere Monate hinweg die Löhne immer wieder ungekürzt ausgezahlt worden sind, folgt, daß der Geschäftsführer jedenfalls über ausreichende Mittel verfügte, um jeweils die für den vorangegangenen Kalendermonat angemeldete und rückständige Lohnsteuer in voller Höhe an das FA zu entrichten. Wer in Kenntnis der für den Vormonat entstandenen, noch nicht abgeführten Lohnsteuer die Löhne für den laufenden Monat in vollem Umfang auszahlt, handelt vorsätzlich seiner Verpflichtung zuwider und haftet insoweit nach § 69 AO 1977 unbeschränkt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 3. Februar 1981 XI 603/80, EFG 1982, 4; Klein / Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 69 Anm. 8). Dieses Ergebnis folgt daraus, daß sich das Maß des Verschuldens und damit die Berechnung der Haftungssumme nicht nach den Umständen der einzelnen Lohnzahlungszeitpunkte, sondern - wie der Senat zur Umsatzsteuerhaftung entschieden hat (BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657) - nach den Verhältnissen während des gesamten Haftungszeitraums bestimmt. Denn der Geschäftsführer ist verpflichtet, während dieses Zeitraums die Gläubiger der Gesellschaft - hier die Arbeitnehmer und das FA - gleichmäßig zu befriedigen. Eine betragsmäßige Beschränkung der Lohnsteuerhaftung kommt deshalb allenfalls für den oder die letzten Monate eines Haftungszeitraums in Betracht, wenn nachfolgende Lohnzahlungen nicht mehr erfolgen und auch aus den für die letzte Lohnzahlung verwendeten Mitteln die Lohnsteuerrückstände des Vormonats nicht hätten beglichen werden können.
b) Aber auch für den oder die letzten Lohnzahlungszeiträume eines Haftungszeitraums kann die dargelegte Haftungsbeschränkung nur im Ausnahmefall eingreifen. Denn sie setzt voraus, daß dem Geschäftsführer ab dem Zeitpunkt der letzten Lohnzahlung nur Mittel in Höhe der ausbezahlten Nettolöhne zur Verfügung standen. Der - vielfach behauptete - Sachverhalt, daß sich die letzten vorhandenen Zahlungsmittel (vor der endgültigen Zahlungseinstellung oder dem Konkursantrag) betragsmäßig mit den geschuldeten Nettolöhnen deckten, liegt aber in der Regel nicht vor. Das FA und das FG haben in diesen Fällen zu ermitteln, ob die von dem haftenden Geschäftsführer vertretene Gesellschaft seit dem Zeitpunkt der Zahlung der letzten Nettolöhne noch andere Gläubiger befriedigt hat. Mit der Behauptung, daß gerade noch die Nettolöhne in voller Höhe ausbezahlt werden konnten, sonst aber keinerlei Zahlungsmittel mehr vorhanden waren, beruft sich der Geschäftsführer auf einen außergewöhnlichen Sachverhalt. Der Senat hält es deshalb für den Fall, daß eine solche Behauptung unerweislich bleibt, nach den Grundsätzen über die Beweislast im Steuerprozeß (vgl. Urteil des Senats vom 7. Juli 1983 VII R 43/80, BFHE 138, 527, BStBl II 1983, 760) für gerechtfertigt, dem Haftungsschuldner die objektive Beweislast (Feststellungslast) für seine Behauptung aufzuerlegen.
4. Die Vorentscheidung steht mit den vorstehenden Ausführungen des Senats nicht in Einklang; sie war deshalb aufzuheben. Das FG ist davon ausgegangen, es komme für den Umfang der Haftung nicht darauf an, ob der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Lohnzahlung genügend Geld gehabt habe, um außer den Nettolöhnen auch noch die Lohnsteuer zu entrichten. Es hat deshalb von Feststellungen über die Liquidität der KG zu den einzelnen Lohnzahlungszeitpunkten abgesehen. Das FG wird entsprechende Feststellungen nachholen müssen. Dabei kann es seine Ermittlungen gemäß den obigen Ausführungen des Senats auf den (oder die) letzten Monat(e) des Haftungszeitraums beschränken, da für die vorangegangenen Monate wegen der fortgesetzt nachfolgenden Lohnzahlungen die Haftungsbeschränkung nicht zur Geltung kommen kann. Sofern das FG zu dem Ergebnis gelangen sollte, daß der KG ab dem Zeitpunkt der Lohnzahlung für Juni 1983 bis zur Konkurseröffnung außer den ausgezahlten Nettolöhnen tatsächlich keinerlei Zahlungsmittel mehr zur Verfügung standen, wird es die Lohnsteuerbeträge zu ermitteln haben, die bei der gebotenen Kürzung der Löhne und der anteiligen Befriedigung des FA angefallen wären.
III. Die in § 34 bezeichneten gesetzlichen Vertreter und Geschäftsführer haften nach § 69 Satz 1 AO 1977 i. V. m. § 37 Abs. 1 und § 3 Abs. 3 AO 1977 auch für die Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge, die infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind (BFH-Urteil in BFHE 130, 128, BStBl II 1980, 375).
1. § 69 Satz 2 AO 1977 läßt - im Gegensatz zur Auffassung der Revision - hinsichtlich der Verspätungszuschläge keinen gegenteiligen Schluß zu. Diese Vorschrift erweitert nur die Haftung auch auf solche Säumniszuschläge, die infolge von Pflichtverletzungen nach § 240 AO 1977 entstanden sind, weil die (gesetzlichen) Vertreter der Gesellschaften pflichtwidrig nicht dafür sorgten, daß die Steuern bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wurden. Es kommt hier also im Gegensatz zu Satz 1 des § 69 AO 1977 nur auf Pflichtverletzungen beim Entstehen von Säumniszuschlägen und nicht darauf an, ob die Verwirklichung des Anspruchs des Staates auf Zahlung der Säumniszuschläge durch Pflichtwidrigkeiten dieser Personen verhindert oder verzögert wurde (BFHE 130, 128, BStBl II 1980, 375, 376 m. w. N.). Der erkennende Senat hat ferner entschieden, daß die gemäß § 191 Abs. 1 AO 1977 durch Haftungsbescheid geltend zu machende Haftung auch die steuerlichen Nebenleistungen (Verspätungszuschläge, Säumniszuschläge) erfaßt (Urteil vom 24. Februar 1987 VII R 4/84, BFHE 149, 125, BStBl II 1987, 363). Die gegenteilige Auffassung im Urteil des FG Hamburg (EFG 1982, 600), auf die sich die Revision beruft, hat der Senat ausdrücklich abgelehnt. Wegen der Begründung wird auf die vorstehende Entscheidung Bezug genommen.
Daraus folgt, daß das FA den Kläger dem Grunde nach auch zu Recht wegen der Verspätungszuschläge zur Lohnsteuer und wegen der Säumniszuschläge durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen hat. Das FG, an das die Sache zurückverwiesen wird, wird zu prüfen haben, ob die Haftung für die im einzelnen festgesetzten Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge nach § 69 Satz 1 AO 1977 der Höhe nach gerechtfertigt ist. Das ist dann der Fall, wenn der Kläger als Geschäftsführer in der Lage war, vom FA bereits geltend gemachte steuerliche Nebenleistungen aus den Mitteln der KG zu entrichten. Daneben haftet der Kläger für Säumniszuschläge nach § 69 Satz 2 AO 1977, soweit diese dadurch entstanden sind, daß der Kläger die von der KG abzuführende Lohnsteuer schuldhaft verspätet oder gar nicht an das FA entrichtet hat. Auch insoweit muß das FG die erforderlichen Feststellungen noch nachholen.
2. Aus dem Haftungsbescheid vom 8. August 1986, der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden ist, geht hervor, daß das FA den Kläger für die bis zu diesem Zeitpunkt gemäß § 240 AO 1977 verwirkten Säumniszuschläge in Anspruch genommen hat (S. 5 des Haftungsbescheids mit Begründung). Der Senat hält aber eine Heranziehung des Haftungsschuldners gemäß § 69, § 191 Abs. 1 AO 1977 für Säumniszuschläge, die ab dem Zeitpunkt des Eintritts der nachweislichen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners entstanden sind, für unzulässig. Daraus folgt, daß im Streitfall die Haftung des Klägers für die Säumniszuschläge jedenfalls insoweit aufzuheben ist, als diese den Zeitraum zwischen der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der KG (11. Juli 1983) und dem Erlaß des angefochtenen Haftungsbescheids (8. August 1986) betreffen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind Säumniszuschläge, die ohne Rücksicht auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen mit der Nichtzahlung der Steuer zum Fälligkeitszeitpunkt verwirkt sind (§ 240 Abs. 1 AO 1977), dem Hauptschuldner wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, wenn ihm die rechtzeitige Zahlung der Steuerschulden wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich war und deshalb die Ausübung eines Druckes zur Durchsetzung der Zahlung ihren Sinn verloren hatte (Urteile vom 22. April 1975 VII R 54/72, BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727, und vom 8. März 1984 I R 44/80, BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415). Zwar sind der KG, deren Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit jedenfalls seit dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung feststeht, die ab diesem Zeitpunkt verwirkten Säumniszuschläge nicht erlassen worden. Mit einem solchen Erlaß kann auch im Hinblick auf das Konkursverfahren nicht mehr gerechnet werden, so daß eine Haftungsfreistellung des Klägers für diese Säumniszuschläge nach § 191 Abs. 5 Nr. 2 AO 1977 in unmittelbarer Anwendung dieser Vorschrift nicht in Betracht kommt. Der Haftungsschuldner kann sich aber - wie es der Kläger im vorliegenden Verfahren getan hat - im Hinblick auf die Akzessorietät der Haftungsschuld im Haftungsverfahren darauf berufen, daß der Erlaßanspruch hinsichtlich der Säumniszuschläge, der dem Hauptschuldner aus sachlichen Billigkeitsgründen zusteht, auch ihm zugute kommen muß (vgl. Buciek, Erlaßsituation und Haftungsverfahren, Der Betrieb 1986, 2254, 2256). Das FG wird deshalb hinsichtlich des Umfangs der Haftung des Klägers für die Säumniszuschläge auch die bei der KG gegebene Erlaßsituation zu berücksichtigen haben.
Fundstellen