Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlerhafte Beurkundung einer Zustellung; fehlende Revisibilität des früheren GrEStG NW
Leitsatz (NV)
1. Nach § 3 Abs. 2 und 3 VwZG hat der Postbedienstete die Zustellung zu beurkunden. Hierzu hat der Postbedienstete nach § 195 Abs. 2 ZPO u. a. dem Zustellungsempfänger eine Abschrift der Zustellungsurkunde zu übergeben oder (ersatzweise) den Tag der Zustellung auf der Sendung zu vermerken. Hieran fehlt es, wenn das dem Bekanntgabeempfänger übergebene Schriftstück zwar mit einer Datumsangabe versehen ist, diese aber unleserlich ist und damit Zweifel über den Tag der Zustellung aufkommen läßt (vgl. BGH-Beschluß vom 12. Juni 1986 IX ZB 39/86, Der Betrieb 1986, 1920).
2. Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO kann die Revision nur auf die Verletzung von Bundesrecht gestützt werden. Zwar kann dem BFH als einem obersten Gerichtshof des Bundes (Art. 95 GG) auch die Entscheidung in solchen Sachen zugewiesen werden, bei denen es sich um die Anwendung von Landesrecht handelt, eine derartige Zuweisung besteht aber für das GrEStG NW nicht (mehr). Denn die Revisibilität der landesrechtlichen Vorschriften des Grunderwerbsteuerrechts ergab sich bisher aus § 160 Abs. 2 FGO in der bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung. Diese Vorschrift wurde jedoch durch Art. 1 Nr. 37 des Gesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) mit Wirkung vom 1. Januar 1993 aufgehoben.
3. Dies gilt auch, soweit ein Steueranspruch nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG NW i. V. m. § 42 AO 1977 im Streit ist, obwohl es sich bei § 42 AO 1977 um eine bundesgesetzliche Regelung handelt. Denn die revisionsrechtliche Prüfung der Frage, ob im Einzelfall ein Gestaltungsmißbrauch zur Steuerumgehung vorliegt, läßt sich nicht allein aus § 42 AO 1977 beantworten, sondern erfordert eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem umgangenen Einzelsteuergesetz (hier: GrEStG NW).
Normenkette
FGO § 118 Abs. 1 S. 1, § 120 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 a. F; VwZG § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 2-3, § 9 Abs. 2; ZPO § 195 Abs. 2; FGO § 115 Abs. 5; GG Art. 95; GrEStG NW § 1 Abs. 3; GrEStG NW § 10 Abs. 2 Nr. 2; GrEStG NW § 1 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 42; GrEStG 1983 § 23 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb durch notariell beurkundeten Vertrag vom 18. Dezember 1981 mit Wirkung zum 1. Januar 1982 sämtliche Kommanditbeteiligungen an der A-GmbH & Co. KG. Zugleich erwarb er sämtliche Gesellschaftsanteile der Komplementär-GmbH. Später ergab sich, daß der Kläger von den erworbenen drei Kommanditanteilen zu je ... DM einen Anteil treuhänderisch für seine Ehefrau erworben hatte. Zum Vermögen der A-GmbH & Co. KG gehörten auch Grundstücke. Der "Kaufpreis" für das Grundvermögen betrug ... DM.
Der Beklagte und Revisionkläger (das Finanzamt -- FA --) sah in dem Erwerb sämtlicher Kommanditanteile einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des früheren nordrhein-westfälischen Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG NW) steuerpflichtigen Erwerbsvorgang und setzte durch Bescheid vom 20. Mai 1987 nach einer Gegenleistung von ... DM Grunderwerbsteuer in Höhe von ... DM gegen den Kläger fest.
Auf den Einspruch des Klägers hin ermäßigte das FA die Steuer auf ... DM. Steuerpflichtig sei der Erwerb nach § 1 Abs. 3 GrEStG NW, weil der Kläger sämtliche Anteile an der A-GmbH & Co. KG erworben und damit in seiner Hand vereinigt habe. Bemessungsgrundlage sei nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 des früheren GrEStG NW der Wert des Grundstücks. Dieser betrage ... DM (140 v. H. des Einheitswerts in Höhe von ... DM).
Die Klage, mit der der Kläger geltend machte, der Vereinigung aller Anteile in einer Hand stehe das mit seiner Ehefrau vereinbarte Treuhandverhältnis entgegen, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führt in seinem Urteil u. a. aus, der Tatbestand des § 1 Abs. 3 GrEStG NW sei bereits deshalb nicht erfüllt, weil diese Vorschrift auf eine "fortgeführte" Personengesellschaft grundsätzlich keine Anwendung finden könne. Auch der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG NW i. V. m. § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) sei nicht erfüllt, da keine lediglich grundstückshaltende Personengesellschaft vorliege. Die Entscheidung des FG enthält keinen Anspruch über die Zulassung der Revision.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des FA hat der Senat durch Beschluß vom 9. Februar 1994 die Revision gegen das Urteil des FG zugelassen. Der Beschluß wurde dem FA ausweislich der Postzustellungsurkunde am 28. Februar 1994 zugestellt. Die Revision hiergegen ging am 29. März 1994 beim FG ein.
Auf die Versäumung der Revisionsfrist hingewiesen machte das FA unter Vorlage des Originals des beim FA verbliebenen Briefumschlags, mit dem die Zustellung des Senatsbeschlusses vom 9. Februar 1994 vorgenommen wurde, geltend, der Vermerk des Postbediensteten über den Tag der Zustellung des Beschlusses auf dem Briefumschlag sei nicht eindeutig lesbar. Gemeint sein könne entweder der 20. Februar 1994 oder der 28. Februar 1994. Diese objektive Mehrdeutigkeit stelle einen Zustellungsmangel dar, der dazu geführt habe, daß die Revisionsfrist noch nicht in Lauf gesetzt worden sei. Hilfsweise werde wegen der Versäumung der Revisionsfrist beantragt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Materiell-rechtlich wendet sich das FA mit seiner Revision gegen die Rechtsauffassung des FG, nicht der Treuhänder werde beim Anteilserwerb Gesellschafter, sondern der Treugeber. Diese Rechtsauffassung stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). Das FG habe auch zu Unrecht eine Anteilsvereinigung in einer Hand mit dem Hinweis verneint, das Handelsgewerbe sei im Streitfall trotz völligen Gesellschafterwechsels unter Wahrung der Identität der Gesellschaft fortgeführt worden.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und die Beigeladenen beantragen, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Die Beteiligten sind vom Berichterstatter auf den Wegfall des § 160 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) a. F. sowie auf die fehlende Revisibilität früherer landesrechtlicher Grunderwerbsteuervorschriften hingewiesen worden.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig.
a) Die Revision ist fristgerecht eingelegt worden. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder -- was im Streitfall zutrifft -- nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 5 FGO) schriftlich einzulegen. Durch die Übergabe des Senatsbeschlusses vom 9. Februar 1994 an das FA ist zwar der Tatbestand der Zustellung i. S. von § 2 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) erfüllt, nicht jedoch die Revisionsfrist wirksam in Gang gesetzt worden. Denn die nach § 3 Abs. 2 VwZG vorgeschriebene Beurkundung der Zustellung ist fehlerhaft erfolgt, da der Postbedienstete die bei der Zustellung gemäß § 3 Abs. 3 VwZG i. V. m. § 195 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zu beachtenden Formerfordernisse nicht beachtet hat, und dieser Zustellungsmangel wegen des mit der Zustellung verbundenen Beginns der Revisionsfrist nach § 9 VwZG nicht geheilt werden kann.
Nach § 3 Abs. 2 und 3 VwZG hat der Postbedienstete die Zustellung zu beurkunden. Hierfür gilt u. a. die Vorschrift des § 195 Abs. 2 ZPO. Danach hat der Postbedienstete u. a. dem Zustellungsempfänger eine Abschrift der Zustellungsurkunde zu übergeben oder (ersatzweise) den Tag der Zustellung auf der Sendung zu vermerken. Fehlt es hieran, liegt zwar eine wirksame Zustellung vor, durch die jedoch wegen ihrer nicht ordnungsgemäßen Beurkundung die in § 9 Abs. 2 VwZG genannten Fristen nicht in Lauf gesetzt werden können (vgl. Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 9. November 1976 GmS--OGB 2/75, BStBl II 1977, 275; BFH-Urteil vom 13. November 1991 X R 48/91, BFHE 166, 367, BStBl II 1992, 351 m. w. N.). Dem Fehlen jeder Datumsangabe steht es dabei gleich, wenn das dem Bekanntgabeempfänger übergebene Schriftstück zwar mit einer Datumsangabe versehen ist, diese aber unleserlich ist und damit Zweifel über den Tag der Zustellung aufkommen läßt (vgl. Beschluß des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 12. Juni 1986 IX ZB 39/86, Der Betrieb -- DB -- 1986, 1920).
Im Streitfall ist der Datumsvermerk des Postbediensteten auf der übergebenen Briefsendung so undeutlich vermerkt, daß nicht eindeutig ersichtlich ist, ob die Zustellung am 20. Februar 1994 oder am 28. Februar 1994 erfolgt ist, weil die zweite Ziffer der Tagesangabe keinen sicheren Schluß zuläßt, ob es sich um die Ziffer "0" oder um die Ziffer "8" handelt. Diese objektive Mehrdeutigkeit des Zustellungsvermerks auf der Briefsendung führt dazu, daß dem Zweck der Bestimmung des § 195 Abs. 2 ZPO, dem Empfänger Aufschluß über den Tag der Zustellung zu geben, nicht mehr genügt und die Revisionsfrist nicht in Gang gesetzt wurde.
Die am 29. März 1994 bei FG eingegangene Revision des FA ist somit fristgerecht. Über den Antrag des FA, ihm wegen Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, braucht deshalb nicht entschieden zu werden.
b) Die Revision des FA ist auch nicht etwa deshalb unzulässig, weil mit der Revision lediglich die Verletzung nicht revisiblen Landesrechts gerügt wird. Denn die Zulässigkeit der Revision setzt nicht die Revisibilität der gerügten Rechtsnorm voraus; diese ist vielmehr nur eine Voraussetzung für die sachliche Begründetheit der Revision (vgl. Senatsentscheidungen vom 26. April 1995 II R 6/94, BFHE 178, 222, BStBl II 1995, 738 und vom 22. Oktober 1971 II R 104/70, BFHE 103, 541, BStBl II 1972, 183 m. w. N.).
2. Die Revision ist jedoch unbegründet.
Nach Auffassung des FG liegt in dem Erwerb aller Kommanditbeteiligungen sowie sämtlicher Geschäftsanteile an der Komplementär-GmbH durch den Kläger aufgrund des Vertrages vom 18. Dezember 1981 kein der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 3, Abs. 3 GrEStG NW bzw. § 42 AO 1977 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG NW unterliegender Erwerbsvorgang. Die Richtigkeit dieser Auffassung ist vom Senat im Revisionsverfahren nicht zu überprüfen, da das GrEStG NW kein revisibles Recht i. S. des § 118 Abs. 1 FGO ist.
a) Das GrEStG NW ist Landesrecht. Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO kann die Revision nur auf die Verletzung von Bundesrecht gestützt werden. Zwar kann dem BFH als einem obersten Gerichtshof des Bundes (Art. 95 des Grundgesetzes -- GG --) auch die Entscheidung in solchen Sachen zugewiesen werden, bei denen es sich um die Anwendung von Landesrecht handelt, eine derartige Zuweisung besteht aber für das GrEStG NW nicht (mehr). Denn die Revisibilität der landesrechtlichen Vorschriften des Grunderwerbsteuerrechts, die nach § 23 Abs. 2 GrEStG 1983 für vor dem 1. Januar 1983 verwirklichte Erwerbsvorgänge weiter anwendbar sind, ergab sich bisher aus § 160 Abs. 2 FGO in der bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung. Diese Vorschrift wurde jedoch durch Art. 1 Nr. 37 des Gesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) mit Wirkung vom 1. Januar 1993 aufgehoben. Zwar ist es nach Auffassung des Senats für die Revisibilität von landesrechtlichen Vorschriften ausreichend, wenn diese wenigstens noch zum Zeitpunkt der Einlegung der Revision besteht (vgl. Senatsentscheidung vom 13. April 1994 II R 93/90, BFHE 174, 380, BStBl II 1994, 817). Aber auch diese Voraussetzung ist im Streitfall für die am 29. März 1994 erhobene Revision des FA nicht erfüllt.
Entgegen der Auffassung des FA führen auch die Überleitungsvorschriften in Art. 7 des Gesetzes vom 27. Dezember 1992 (a. a. O.) nicht zur Anwendung des § 160 Abs. 2 FGO a. F. auf den Streitfall. Diese Vorschriften betreffen nämlich nur die Fortgeltung solcher Vorschriften, die die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs betreffen. Die Frage der Revisibilität von landesrechtlichen Vorschriften ist -- wie oben dargelegt -- hingegen eine solche der Begründetheit der Revision.
Da auch keine landesrechtliche Regelung besteht, die die Revisibilität des GrEStG NW anordnet (vgl. Senatsurteil vom 26. April 1995 II R 6/94) handelt es sich bei dem GrEStG NW um irrevisibles Recht mit der Folge, daß die Auffassung des FG, der Kläger habe mit dem Abschluß des notariell beurkundeten Vertrages vom 18. Dezember 1981 keinen grunderwerbsteuerrechtlich relevanten Tatbestand des GrEStG NW erfüllt, nicht (mehr) der Überprüfung durch den Senat unterliegt.
b) Dies gilt auch, soweit das FG einen Steueranspruch nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG NW i. V. m. § 42 AO 1977 als nicht entstanden ansieht, obwohl es sich bei § 42 AO 1977 um eine bundesgesetzliche Regelung handelt. Denn die revisionsrechtliche Prüfung der Frage, ob im Einzelfall ein Gestaltungsmißbrauch zur Steuerumgehung vorliegt, läßt sich nicht allein aus § 42 AO 1977 beantworten, sondern erfordert eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem umgangenen Einzelsteuergesetz (hier: GrEStG NW), die dem Revisionsgericht aber gerade wegen dessen fehlender Revisibilität verwehrt ist (vgl. Senatsentscheidung vom 26. April 1995 II R 6/94, BFHE 178, 222, BStBl II 1995, 738).
Da der Senat hinsichtlich der Anwendung des GrEStG NW durch das FG gebunden ist und Verstöße des FG gegen revisibles Recht weder vorgetragen noch sonst erkennbar sind, hat die Vorentscheidung -- unabhängig von ihrer materiellen Richtigkeit -- Bestand.
Fundstellen