Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des Leistenden
Leitsatz (NV)
Ob eine Leistung umsatzsteuerrechtlich dem Handelnden oder einem anderen zuzurechnen ist, hängt grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde bei Ausführung der Leistung gegenüber dem Dritten im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen aufgetreten ist.
Normenkette
UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1; BGB § 164
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ―eine OHG― betrieb den An- und Verkauf von Edelmetallen einschließlich Schmuck. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) bezog sie im Streitjahr 1983 von dem niederländischen Staatsangehörigen R sog. "Bruchgold", das sie an eine Scheideanstalt weiterverkaufte. R erteilte der Klägerin über die 41 Lieferungen Rechnungen, in denen als Firmensitz eine Adresse in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) angegeben war. Die in den Rechnungen gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt … DM machte die Klägerin in ihrer Umsatzsteuererklärung 1983 als Vorsteuer geltend.
R setzte sich später (endgültig) in die Niederlande ab; seinen Steuerpflichten in der Bundesrepublik ist er nicht nachgekommen.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) versagte nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung im Umsatzsteuerbescheid 1983 der Klägerin den Vorsteuerabzug. Er war ―und ist― der Auffassung, es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass R, ein ehemaliger Sozialhilfeempfänger, der tatsächliche Lieferant gewesen sei. Möglicherweise sei das Gold in die Bundesrepublik eingeschmuggelt und zur Tarnung über die Scheinfirma des R abgesetzt worden.
Das FG gab der Klage gegen den von der Klägerin zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Umsatzsteuer-Änderungsbescheid 1983 vom 16. März 1999 statt (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2000, 195).
Mit der vom FG zugelassenen Revision macht das FA im Wesentlichen geltend:
Das FG-Urteil verletze § 96 Abs. 1 Satz 1, § 105 Abs. 2 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG), da es die zu prüfenden Sachverhalte für das Anerkennen des Vorsteuerabzuges "völlig außen vor" lasse und sich auf die Aussage und Feststellung beschränke, R sei Unternehmer gewesen. Ansonsten enthalte das Urteil nur ganz allgemeine und globale Äußerungen, die mit der Prüfung des konkreten Vorsteuerabzuges aus konkreten Leistungen nichts zu tun hätten.
Bei der Höhe der insgesamt geltend gemachten Vorsteuern und dem durch ein ―aktenkundiges― rechtskräftiges Strafurteil bewiesenen Ergebnis, dass in gleicher Weise ausgestellte Rechnungen des R in einem anderen Fall zur Steuerhinterziehung verwendet worden seien, dränge es sich geradezu auf, entsprechend der gesetzlichen Forderung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG den einzelnen Umsatz zu prüfen und über die Berechtigung aus der konkreten Rechnung zu entscheiden. Das FG sei deshalb gehalten gewesen zu entscheiden, welchen Sachverhalt es bei den einzelnen Streitgegenständen (Umsätzen) für bewiesen halte, und wie es die bewiesenen Sachverhalte würdige. Das habe das Gericht vollständig versäumt. Es habe mit keinem Wort die einzelnen behaupteten Umsätze gewürdigt, sondern stattdessen die Existenz von 41 Rechnungen und die Existenz des R genügen lassen, um der Klägerin Vorsteuern in Höhe von über einer Million DM zuzusprechen.
Der Nachweis der tatsächlichen Anlieferung der einzelnen Goldbarrenlieferung durch R und eines ―allein wirtschaftlichen― sofortigen Weiterverkaufs hätte vorausgesetzt, dass folgende Tatsachen durch die geschäftlichen Unterlagen und die Buchführung der Klägerin bewiesen seien:
1. Die Klägerin müsse die einzelne Goldbarrenlieferung von R erhalten haben.
2. Hierüber müsse R eine Rechnung i.S. von § 14 UStG erteilt haben.
3. Die einzelne Goldbarrenlieferung müsse zeitnah von der Klägerin bezahlt worden sein, da der Goldverkauf nur so wirtschaftlich vertretbar sei.
4. Der Goldbarren müsse zeitnah von der Klägerin an deren Abnehmer (Scheideanstalt) geliefert worden sein, da sonst ein Gewinn unmöglich sei.
5. Über diese Lieferung an die Scheideanstalt müsse ein Nachweis erbracht werden, etwa eine Rechnung oder eine Gutschrift.
6. Die Bezahlung durch die Scheideanstalt müsse nachgewiesen sein.
7. Die Analyse der Scheideanstalt bilde die Abrechnungsgrundlage der Klägerin mit R; ohne Analyse werde keine Barrenlieferung von der Scheideanstalt bezahlt. Diese Analyse müsse deshalb vorliegen und vorgelegt werden.
8. Es müsse sichergestellt sein, dass die der Klägerin vorliegende Analyse die Qualität des von R gelieferten Goldbarrens bezeichne. Nach Menge und Art müsse das Analyseergebnis mit der Rechnung des R übereinstimmen, wenn tatsächlich die in der Rechnung ausgewiesenen Barren gemeint sein könnten.
9. Es müsse zeitnah nach Erhalt der Analyse mit R über die Lieferung abgerechnet worden sein, da das Geschäft sonst für R nicht tragbar gewesen sei.
Nicht für eine der in Rede stehenden Goldlieferungen seien diese ―schon in der Vorinstanz geforderten― Nachweise erbracht worden.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil hält den Revisionsangriffen des FA stand.
1. Das FG hat die Grundsätze, nach denen sich beurteilt, wer umsatzsteuerrechtlich Leistender ist, zutreffend angewandt.
a) Ein Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer müssen grundsätzlich identisch sein. Regelmäßig ergibt sich aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen, wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist. Leistender ist in der Regel derjenige, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst oder durch einen Beauftragten ausführt. Ob eine Leistung dem Handelnden oder einem anderen zuzurechnen ist, hängt grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde gegenüber Dritten im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen bei Ausführung entgeltlicher Leistungen aufgetreten ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 28. Januar 1999 V R 4/98, BFHE 188, 456, BStBl II 1999, 628, unter II. 1.).
b) Das FG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat revisionsrechtlich unangreifbar entschieden, dass R nicht nur der Rechnungsaussteller, sondern auch der leistende Unternehmer gewesen sei.
Das FG hat dargelegt, R sei jeweils im eigenen Namen aufgetreten und habe das Gold angeliefert. Für ein Auftreten in fremdem Namen gebe es keine Anhaltspunkte. Weder sein äußeres Erscheinungsbild noch sein Geschäftsgebaren hätten auf eine Stellung als bloßer Kurier hingedeutet.
Nach der vorerwähnten Rechtsprechung des BFH sei unbeachtlich ―worauf das FA entscheidendes Gewicht lege―, ob R in der Lage gewesen sei, selber zuvor Eigentum an dem Gold zu erwerben.
Dafür, dass R im Innenverhältnis zu dritten Personen nichtselbständig tätig geworden sei, gebe es keine überzeugenden Hinweise. Die verwertbaren Indizien sprächen vielmehr für seine Selbständigkeit. Die Geschäftsanbahnung und Abwicklung habe sich der Form nach (telefonische Abwicklung, Bar- bzw. Scheckzahlung) am branchenüblichen Handelsbrauch orientiert. Das persönliche Auftreten des R spreche ebenfalls für seine Selbständigkeit. Er habe die Einzelheiten der Kaufverträge (Menge und Preis) mit der Klägerin ausgehandelt.
Diese Darlegungen des FG sind nicht zu beanstanden und werden vom FA mit der Revision auch nicht in Zweifel gezogen.
c) Im Streitfall besteht keine Veranlassung, die Person des leistenden Unternehmers abweichend von den zivilrechtlichen Leistungsbeziehungen zu bestimmen.
Allerdings kommt dies nach der Rechtsprechung des Senats möglicherweise in Betracht, wenn der Vertragspartner des Leistungsempfängers die vereinbarte Leistung nicht in eigener Person erbringt und auch nicht als eigene Leistung der Umsatzsteuer unterwirft, und der Leistungsempfänger mit der Nichtversteuerung rechnet oder rechnen muss (vgl. BFH-Urteil vom 30. September 1999 V R 8/99, BFH/NV 2000, 353, unter II. c; BFH-Beschluss vom 9. November 1999 V B 16/99, BFH/NV 2000, 611).
Diese Entscheidungen betreffen Werkleistungen im Baugewerbe, die der Vertragspartner des Bestellers durch Dritte erbringen ließ, und sind nicht so zu verstehen, als könne leistender Unternehmer nur derjenige sein, der die dem Leistungsempfänger gegenüber erbrachte Leistung auch versteuert habe. Denn dem Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers steht nicht entgegen, dass der leistende Unternehmer sich ―wie im Streitfall― nach Leistungsausführung und Rechnungsstellung dem Zugriff der Finanzbehörde entzogen hat (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juni 1996 V R 51/93, BFHE 181, 197, BStBl II 1996, 620, unter II. 1.).
2. Entgegen der Auffassung des FA brauchte das FG nicht jede einzelne Goldlieferung würdigen.
Wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, hat das FG die Überzeugung gewonnen, dass R Unternehmer war und die in den in Rede stehenden Rechnungen ausgewiesene Ware auch tatsächlich an die Klägerin geliefert hat. Das folgt neben entsprechenden Formulierungen im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen insbesondere aus dem vom FG zur weiteren Begründung in Bezug genommenen rechtskräftigen Urteil seines 5. Senats vom 9. Mai 1990. In diesem Urteil hat das FG in einem Parallelverfahren eines Schwesterunternehmens der Klägerin wegen Umsatzsteuer 1983 den Vorsteuerabzug aus Rechnungen des R über Goldlieferungen ebenfalls als abziehbar anerkannt und u.a. ausgeführt: "R hat … die zu liefernde Ware in A überbracht, die entsprechenden Rechnungen ausgestellt und den Kaufpreis … in Empfang genommen… Die von der Klägerin so geschilderten äußeren Umstände sind zwar vom Beklagten bestritten worden. Der Senat ist jedoch von der Richtigkeit des Klägervortrages überzeugt."
Unter diesen Umständen musste das FG nicht auf jede einzelne Lieferung eingehen, zumal das im Kern alle Lieferungen gleichermaßen betreffende Vorbringen des FA, insbesondere der von ihm aufgestellte "Nachweiskatalog" letztlich auf die vom FG nicht geteilte Auffassung hinausläuft, R könne nicht der leistende Unternehmer gewesen sein. Im Übrigen wiederholt das FA insoweit mit seiner Revision lediglich sein erstinstanzliches Vorbringen und berücksichtigt bei den von ihm (erneut) vorgelegten Anlagen zu seinem Nachweiskatalog nicht die umfangreichen Unterlagen, die die Klägerin ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vor dem FG zu den Akten gereicht hat.
Fundstellen
Haufe-Index 447268 |
BFH/NV 2001, 210 |
DStZ 2001, 210 |
HFR 2001, 270 |
UR 2001, 26 |