Entscheidungsstichwort (Thema)
Häusliches Arbeitszimmer: Mittelpunkt der beruflichen Betätigung eines freien Bildjournalisten
Leitsatz (amtlich)
Bei einem Steuerpflichtigen, der als freier Bildjournalist tätig ist, kann das häusliche Arbeitszimmer regelmäßig nicht Mittelpunkt der beruflichen Betätigung i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG sein.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 3 Hs. 2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist als freier Bildjournalist selbständig tätig. Im Streitjahr (1999) machte er Aufwendungen für eine Dunkelkammer und für ein büromäßig ausgestattetes Arbeitszimmer als Betriebsausgaben geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) berücksichtigte in dem Einkommensteuerbescheid die Aufwendungen nur in Höhe von 2 400 DM mit der Begründung, das Arbeitszimmer (einschließlich Dunkelkammer) habe nicht den Mittelpunkt der gesamten beruflichen und betrieblichen Tätigkeit gebildet.
Der dagegen eingelegte Einspruch hatte insoweit Erfolg, als das FA die auf die Dunkelkammer entfallenden anteiligen Aufwendungen in voller Höhe als Betriebsausgaben berücksichtigte. Bezüglich der Aufwendungen für das Arbeitszimmer hielt das FA an seiner Rechtsauffassung fest und wies den Einspruch insoweit als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1366 veröffentlichten Gründen statt und erkannte zusätzliche Betriebsausgaben in Höhe von 1 143,07 DM an.
Mit der Revision macht das FA geltend, das FG habe § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht gesetzeskonform ausgelegt. Zu Unrecht habe das FG darauf abgestellt, dass bei Berufen, die eine umfassende Organisation der eigenen Arbeit erforderten und einen Ort benötigten, an dem die Fäden zusammenliefen, das häusliche Arbeitszimmer den Mittelpunkt der Tätigkeit bilden könne, soweit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stünde. Durch diese Auslegung verschiebe das FG die Kernbereiche der Tätigkeiten von Berufsgruppen, die qualitativ überwiegend außerhalb des Arbeitszimmers tätig seien, auf den Bereich der Organisation. Wesentliches Tätigkeitsmerkmal eines Bildjournalisten sei das Fotografieren. Die von dem Kläger in seinem Arbeitszimmer durchgeführten Tätigkeiten seien, obwohl durchaus wichtig und zeitaufwändig, lediglich Vor- und Nacharbeiten. Diese könnten nicht qualitativ gleichwertig bzw. höherwertig neben dem Fotografieren stehen. Die Tätigkeit des Klägers sei auch nicht mit der eines Schriftstellers zu vergleichen. Der Schriftsteller schreibe das Buch in seinem Arbeitszimmer. Demgegenüber werde das Foto, das "Buch" des Fotojournalisten, außerhalb des Arbeitszimmers aufgenommen. Schließlich könne der Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit nur dann im Arbeitszimmer liegen, wenn die dort ausgeübte Kerntätigkeit weit über 50 % liege. Dies sei bei dem Kläger unter Berücksichtigung der Fotoreisen, des Urlaubs und der Arbeit in der Dunkelkammer nicht der Fall.
Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen der Vorentscheidung und trägt ergänzend vor, dass sich seine bildjournalistische Tätigkeit auf die Be- und Verarbeitung der Fotos mit PC und Scanner verlagert habe und er ohne die technischen Arbeitsmittel nicht mehr als Bildjournalist tätig sein könne.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Die Auffassung des FG, dass bei Berufen, die auch einen auswärtigen Tätigkeitsbereich haben, die jedoch eine umfassende Organisation der eigenen Arbeit erfordern und einen Raum benötigen, in dem die Fäden zusammenlaufen, das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der Tätigkeit bilden könne, wenn kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stehe und an keinem Arbeitsort dauerhaft gearbeitet werde, verstößt gegen § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG. Dies gilt gleichermaßen für die Auffassung, dass dann, wenn das Berufsbild nicht von einem einheitlichen Tätigkeitsbild geprägt ist, die wesentlichen Tätigkeitsmerkmale vielmehr gleichrangig nebeneinander stehen, der Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit dort liege, wo die Arbeit hauptsächlich erbracht werde.
2. Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitszimmer den "Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung" bildet, haben der VI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinen Urteilen vom 13. November 2002 VI R 82/01 (BFHE 201, 93), VI R 104/01 (BFHE 201, 100) und VI R 28/02 (BFHE 201, 106) und ihm folgend der erkennende Senat in seinem Urteil vom 23. Januar 2003 IV R 71/00 (BFHE 201, 269) im Wesentlichen die folgenden Grundsätze herausgearbeitet:
a) Der Begriff "Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung" ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Es handelt sich um einen neuen, eigenständigen Rechtsbegriff, zu dessen Auslegung nur auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b EStG selbst zurückgegriffen werden kann (so auch z.B. Söhn in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 4 Anm. Lb 187 und 191).
b) Das häusliche Arbeitszimmer eines Steuerpflichtigen, der ―wie auch im Streitfall― lediglich eine berufliche (betriebliche) Tätigkeit ausübt und dieser Betätigung teilweise in seinem Arbeitszimmer und teilweise außer Haus nachgeht, ist "Mittelpunkt" i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG, wenn der Steuerpflichtige im Arbeitszimmer diejenigen Handlungen vornimmt und Leistungen erbringt, die für den konkret ausgeübten Beruf wesentlich und prägend sind. Der "Mittelpunkt" bestimmt sich mit anderen Worten nach dem inhaltlichen (qualitativen) Schwerpunkt der betrieblichen und beruflichen Betätigung des Steuerpflichtigen. Wo er liegt, kann nur im Wege einer umfassenden Wertung der Gesamttätigkeit festgestellt werden. Die diesbezügliche Würdigung aller Umstände des Einzelfalles obliegt in erster Linie den Finanzgerichten.
Im Rahmen dieser Wertung kommt dem zeitlichen (quantitativen) Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers lediglich eine indizielle Bedeutung zu. Der zeitliche Umfang ist insbesondere kein negatives Abgrenzungsmerkmal in dem Sinne, dass, soweit die außerhäusliche Tätigkeit ―zeitlich― überwiegt, von vornherein nur noch ein beschränkter Abzug der Aufwendungen in Betracht kommt. Dafür sprechen sowohl Wortlaut und Systematik als auch Sinn und Zweck der Regelungen in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Sätze 2 und 3 EStG.
c) Nicht zu folgen ist daher der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ―BMF― vom 16. Juni 1998 IV B 2 -S 2145- 59/98, BStBl I 1998, 863 Tz. 8), dass allein der Umstand einer dauerhaften Außendiensttätigkeit schon den unbegrenzten Abzug von Werbungskosten nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG ausschließen soll.
Andererseits vermag aber auch nicht die Ansicht zu überzeugen, dass ein häusliches Arbeitszimmer bereits dann Tätigkeitsmittelpunkt sei, wenn der Steuerpflichtige über keinen anderweitigen festen Arbeitsplatz verfügt und das Arbeitszimmer das örtliche Zentrum bildet, von dem aus er seiner beruflichen (Außendienst-)Tätigkeit nachgeht (so aber Seifert in Korn, Einkommensteuergesetz, § 4 Rz. 1112; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl., § 4 Rz. 597; Broudré, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1995, 1733, 1735). Diese Fallgestaltung ist in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 Alternative 2 EStG ausdrücklich geregelt und führt nach Satz 3 Halbsatz 1 dieser Bestimmung lediglich zu einer begrenzten Anerkennung der Aufwendungen.
Auch der Gesichtspunkt, dass im häuslichen Arbeitszimmer die "geschäftsleitenden Ideen" entwickelt und die "unternehmensbezogenen Entscheidungen" getroffen werden, ist nur dann von Bedeutung, wenn die Entwicklung der Ideen und das Fällen der Entscheidungen für die Tätigkeit des Steuerpflichtigen insgesamt prägend sind. Dienen sie dagegen lediglich der Vorbereitung und Unterstützung der eigentlichen Tätigkeit, die außer Haus verrichtet wird, machen sie das Arbeitszimmer nicht zum Tätigkeitsmittelpunkt (a.A. Seifert in Korn, a.a.O., § 4 Rz. 1112).
Nicht beizupflichten ist schließlich der Ansicht, dass sich der Tätigkeitsmittelpunkt nach den erwirtschafteten Einnahmen bestimmt (vgl. z.B. Mainzer/Strohner, Finanz-Rundschau ―FR― 1996, 91, 97; Niermann, Der Betrieb ―DB― 1995, 2084); denn ein solches Verständnis der Abzugsbeschränkung wird schon vom Wortlaut der Regelung nicht gedeckt. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 EStG knüpft an die Tätigkeit an, nicht an den Ertrag (BFH-Urteil in BFHE 201, 93, zu 1.f der Entscheidungsgründe).
d) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bildet das häusliche Arbeitszimmer dann nicht den Mittelpunkt der gesamten beruflichen bzw. betrieblichen Tätigkeit, wenn letztere keinem konkreten Tätigkeitsschwerpunkt zugeordnet werden kann (BFH-Urteil vom 21. Februar 2003 VI R 14/02, BFHE 201, 305). Denn nur wenn alle die Berufsausübung prägenden Tätigkeiten im häuslichen Arbeitszimmer ausgeübt werden, kann dort der Mittelpunkt i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 2. Halbsatz EStG liegen. Eine eindeutige Zuordnung scheidet deshalb insbesondere bei Berufen aus, deren Aufgabenbereich sich auf mehrere vergleichbar gewichtige Tätigkeiten erstreckt, die teils im Arbeitszimmer und teils außerhäuslich ausgeübt werden. In diesem Sinne hat der Senat mit Urteil vom 26. Juni 2003 IV R 9/03 (zur Veröffentlichung vorgesehen) entschieden, dass das häusliche Arbeitszimmer eines Architekten, der mit der umfassenden Bauerrichtung von der Planung über die Bauüberwachung bis zur Abnahme des Gebäudes beauftragt ist, nicht den Mittelpunkt seiner Tätigkeit bildet, da sowohl die im häuslichen Arbeitszimmer erfolgte Planung der Bauvorhaben als auch die außerhäuslich, auf den jeweiligen Baustellen, durchgeführte Bauüberwachung für das Berufsbild des Architekten wesentlich und prägend sind.
3. a) Das FG ist von anderen rechtlichen Grundsätzen ausgegangen. Das vorinstanzliche Urteil war daher aufzuheben. Das FG hat seinen Überlegungen zunächst den Rechtssatz vorangestellt, dass bei Berufen, die auch einen auswärtigen Tätigkeitsbereich haben, die jedoch eine umfassende Organisation der eigenen Arbeit erfordern und einen Raum benötigen, in dem die Fäden zusammenlaufen ("Steuerungszentrale"), das Arbeitszimmer den Mittelpunkt bilden könne, wenn kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht und an keinem Arbeitsort dauerhaft gearbeitet wird. Diese Definition des Mittelpunktes lässt außer Betracht, dass entscheidungserheblich auf die den Beruf prägenden Tätigkeiten abzustellen ist. Nur wenn diese sämtlich im Arbeitszimmer ausgeübt werden, kann dort der Mittelpunkt liegen. Allein die Organisation der gesamten Tätigkeit von dem Arbeitszimmer aus rechtfertigt diese Annahme nicht.
Ebenso wenig ist diese Annahme durch die weiteren Feststellungen des FG gedeckt, der Kläger habe in dem Arbeitszimmer nicht nur die Organisation, sondern auch wesentliche Arbeitsschritte selbst erledigt. Zutreffend differenziert das FG zwar zunächst danach, ob es sich bei den in dem häuslichen Arbeitszimmer erbrachten Tätigkeiten um typische Vor- und Nacharbeiten oder um den Beruf wesentlich prägende Tätigkeiten handelt. Das FG sieht aber im Weiteren den Mittelpunkt bereits deshalb im Arbeitszimmer, weil dort der überwiegende Teil der für die Bildreportagen wesentlichen Teilleistungen erbracht worden sei. In diesem Zusammenhang führt das FG aus, dass die von dem Kläger zu erstellenden Bildreportagen Ergebnis einer aus mehreren Teilakten (Arbeitsschritten) bestehenden Gesamtproduktion seien. Die einzelnen Teilakte (Arbeitsschritte) ständen gleichrangig nebeneinander, wobei ein einzelner Teilakt für die Einordnung nicht allein entscheidend sei. Die im Arbeitszimmer erbrachten Teilleistungen seien jedoch derart gewichtig, dass sie von der außerhäuslichen Foto-Aufnahmetätigkeit nicht überragt würden. Diese Ausführungen versteht der Senat dahin, dass das FG, wenn auch unausgesprochen, die Foto-Aufnahmetätigkeit ―ebenso wie die im Arbeitszimmer erbrachten Leistungen― als für die Tätigkeit eines Bildjournalisten wesentlich und prägend eingestuft hat. Dass das FG gewissermaßen im Umkehrschluss die Foto-Aufnahmetätigkeit als bloße Vorbereitungshandlung zur Fertigung der Bildreportage angesehen hat, ist seinen Ausführungen indes nicht zu entnehmen, obwohl der Vergleich mit dem Schriftsteller darauf hindeuten könnte. Damit hat das FG den Mittelpunkt nicht allein nach dem qualitativen, sondern auch nach dem quantitativen Schwerpunkt der Tätigkeit bestimmt.
b) Die Sache ist spruchreif. Ausgehend von den Feststellungen des FG, dass sowohl die außerhäusliche Foto-Aufnahmetätigkeit als auch die im Arbeitszimmer durchgeführten Teilakte (Arbeitsschritte) zur Vor- und Nachbearbeitung der kompletten Bildreportagen für das Berufsbild des Bildjournalisten wesentlich und prägend sind, kann die Tätigkeit des Klägers keinem konkreten Tätigkeitsschwerpunkt zugeordnet werden. Das Arbeitszimmer bildete daher nicht den Mittelpunkt der gesamten beruflichen und betrieblichen Tätigkeit des Klägers. Das FA hat mithin zutreffend die Aufwendungen des Klägers für das häusliche Arbeitszimmer gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 2 2. Alterntive EStG nur in Höhe von 2 400 DM zum Abzug zugelassen.
Fundstellen
Haufe-Index 1050842 |
BFH/NV 2003, 1654 |
BStBl II 2004, 53 |
BFHE 2004, 157 |
BFHE 203, 157 |
BB 2003, 2558 |
DB 2003, 2627 |
DStRE 2003, 1428 |
HFR 2004, 102 |