Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur richterlichen Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO
Leitsatz (NV)
Bei den richterlichen Hinweispflichten nach § 76 Abs. 2 FGO geht es weniger um die eigene Aufklärung durch das Gericht als darum, Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten zu geben, deren Eigenverantwortlichkeit dadurch aber nicht eingeschränkt oder beseitigt wird. Liegt die rechtliche Bedeutung bestimmter Tatsachen und die daraus folgende Zweckmäßigkeit eines anderen oder zusätzlichen Antrages zur Erreichung des Prozeßzieles auf der Hand, so stellt ein unterlassener Hinweis deshalb jedenfalls dann keine gegen § 76 Abs. 2 FGO verstoßende Pflichtverletzung dar, wenn der Kläger steuerlich beraten und im Prozeß entsprechend vertreten wird.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 2, § 123
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist selbständiger Bauunternehmer; zugleich ist er als Kommanditist an der Y-GmbH & Co. KG (GmbH & Co. KG) beteiligt.
Im November 1977 erwarb der Kläger von der Gemeinde ein Grundstück, das er - teilweise - an die GmbH & Co. KG verpachtete. Die Pachteinnahmen beliefen sich auf . . . DM für 1977, . . . DM für 1978 und je . . . DM für 1979 und 1980. Sie wurden in den einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungen der GmbH & Co. KG nicht erfaßt. Auch ein Ausweis des Grundstücks in den Bilanzen der GmbH & Co. KG unterblieb. Demgegenüber behandelte der Kläger den Grundstückskauf zunächst als betrieblichen Vorgang seines Einzelunternehmens, buchte das Grundstück dann jedoch im Rahmen der Bilanzerstellung für 1977 erfolgsneutral auf sein Privatkonto um und erklärte die Einnahmen aus der Verpachtung als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah in dem Grundstück notwendiges Betriebsvermögen des Klägers und in den Einnahmen aus der Verpachtung der Teilfläche an die GmbH & Co. KG Einnahmen aus Gewerbebetrieb. Dementsprechend setzte das FA die Einkommensteuer 1977 bis 1980 fest.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Sie sei zwar zulässig, obwohl sich die Umqualifizierung der Pachteinnahmen von Einkünften aus Gewerbebetrieb in solche aus Vermietung und Verpachtung auf die Höhe der Steuerschuld nicht auswirke. Eine Rechtsverletzung könne jedoch dann vorliegen, wenn die Steuerfestsetzung auf einem unrichtigen Bilanzansatz beruhe und dieser Ansatz kraft Bilanzidentität bewirke, daß der Vorteil in einen noch größeren Nachteil in späteren Jahren umschlagen könne. Die Klage sei jedoch unbegründet. Soweit das Grundstück an die GmbH & Co. KG verpachtet worden sei, sei es dem Sonderbetriebsvermögen des Klägers zuzurechnen. Die hieraus erzielten Pachteinnahmen gehörten damit zu den Einnahmen aus dessen Gewerbebetrieb. Im übrigen stelle das Grundstück notwendiges Betriebsvermögen des eigenen Betriebes des Klägers dar.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Sie tragen vor:
Dem Urteil des FG sei darin zuzustimmen, daß es sich bei dem Grundstück um Betriebsvermögen bzw. um Sonderbetriebsvermögen handele. Insoweit werde der bislang verfochtene Standpunkt aufgegeben. Das Urteil verstoße jedoch gegen materielles Recht, weil es die Bilanzierungskonkurrenz zwischen dem Betriebsvermögen eines Einzelunternehmers und dessen Sonderbetriebsvermögen im Rahmen einer gewerblich tätigen Personenhandelsgesellschaft zugunsten des Betriebsvermögens, nicht aber des Sonderbetriebsvermögens, auflöse. Richtig wäre es gewesen, die Einkünfte aus der Verpachtung des Grundstücks im Rahmen der Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung des Gewinns der GmbH & Co. KG zu berücksichtigen. Daß dies wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Bestandskraft dieser Bescheide und des Fehlens der Voraussetzungen der §§ 172 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) nicht mehr möglich sei, ändere hieran nichts. Die Pachteinnahmen könnten jedenfalls nicht mehr als gewerbliche Einkünfte bei den Einkommensteuerveranlagungen erfaßt werden.
Das FG sei durch den Klageantrag nicht daran gehindert gewesen, entsprechend zu entscheiden. Der Antrag sei ihrem Begehren entsprechend auszulegen. Folge man dem nicht, sei § 76 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verletzt. Das FG hätte dann auf eine Umformulierung des Antrages hinwirken müssen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Mit ihrer Revision beantragen die Kläger, die in den Streitjahren vereinnahmten Einkünfte aus dem an die GmbH & Co. KG verpachteten Grundstücksteil bei den Einkommensteuerveranlagungen nicht zu erfassen. Damit geht das Revisionsbegehren über das erstinstanzliche (und nunmehr nicht weiterverfolgte) Prozeßziel, die genannten Einkünfte als solche aus Vermietung und Verpachtung und nicht als gewerblich einzustufen, hinaus. Der von dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger ausweislich des Urteils der Vorinstanz und des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 25. April 1989 gestellte Klageantrag ist seinem Wortlaut und Inhalt nach eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich. Der nunmehrige Klageantrag stellt sonach eine Erweiterung des Einspruchs- und bisherigen Klagebegehrens dar.
Eine derartige Erweiterung kann im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden (§ 123 FGO). Das Wesen des Revisionsverfahrens besteht darin, die Rechtmäßigkeit einer gerichtlichen Entscheidung zu überprüfen. Eine solche Entscheidung liegt aber nur insoweit vor, als sie durch den Klageantrag begehrt worden war. Über ein Begehren, das erstmals in der Revisionsinstanz durch Erweiterung des Klageantrages anhängig gemacht wird, ist gerichtlich noch nicht entschieden, so daß es insoweit an einem Gegenstand der revisionsgerichtlichen Nachprüfung fehlt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. April 1974 IV R 7/71, BFHE 112, 331, BStBl II 1974, 522).
2. Die Kläger können auch nicht die Zurückverweisung der Sache an das FG mit dem Ziel erreichen, vor dem FG einen erweiterten Klageantrag zu stellen; das angefochtene Urteil ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Kläger können sich nicht mit Erfolg auf eine Verletzung von § 76 Abs. 2 FGO - und damit des Rechts auf Gehör, § 96 Abs. 2 FGO (siehe von Groll in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 76 Rdnr. 40) - berufen.
a) Zwar hat der Vorsitzende hiernach im Rahmen seiner richterlichen Prozeßförderungs- und Fürsorgepflichten u. a. darauf hinzuwirken, daß sachdienliche Anträge gestellt werden. Der Erfolg der Klage soll nicht an der Rechtsunerfahrenheit der Kläger, zumal in Formsachen, scheitern (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 76 FGO Rdnr. 8). Das Gericht ist deshalb gehalten, durch Hinweise den Weg zu zeigen, wie das erstrebte Prozeßziel am wirksamsten und einfachsten erreicht werden kann. Aufgabe des Gerichts ist es jedoch nicht, Rechtsrat und Rechtsauskunft zu geben und neue, weitergehende Prozeßziele anzuregen. Bei der Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO geht es weniger um die eigene Aufklärung durch das Gericht als darum, Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten zu geben, deren Eigenverantwortlichkeit dadurch aber nicht eingeschränkt oder beseitigt wird (siehe auch die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 8. Mai 1984 9 C 141.83, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ - 1985, 36, und vom 14. Mai 1963 VII C 40.63, BVerwGE 16, 94, 98, jeweils zu § 86 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Liegt die rechtliche Bedeutung bestimmter Tatsachen und die daraus folgende Zweckmäßigkeit eines anderen oder zusätzlichen Antrages zur Erreichung des Prozeßziels auf der Hand, so stellt der unterlassene Hinweis deshalb jedenfalls dann keine gegen § 76 Abs. 2 FGO verstoßende Pflichtverletzung dar, wenn der Kläger steuerlich beraten und durch einen fachkundigen Prozeßbevollmächtigten vertreten wird (vgl. Leipold in Stein / Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., § 139 III Rdnr. 20; siehe auch Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 9. November 1983 VIII ZR 349/82, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1984, 310).
b) Im vorliegenden Fall bestand danach für das FG keine Veranlassung, auf eine Umformulierung, Erweiterung oder Ergänzung des Klageantrags durch einen Hilfsantrag hinzuwirken. Die Kläger tragen selbst vor, daß die Fragen des Sonderbetriebsvermögens in dem vom Berichterstatter durchgeführten Erörterungstermin am 12. Oktober 1987 angesprochen worden sind. Damit stellte sich für jeden mit der einschlägigen Steuerrechtsmaterie Vertrauten - also auch für den seinerzeit im Erörterungstermin anwesenden Prozeßbevollmächtigten der Kläger - die Problematik der Bilanzierungskonkurrenz zwischen Betriebsvermögen und Sonderbetriebsvermögen. Überdies hat der Berichterstatter ausweislich der Niederschrift über den Erörterungstermin Bedenken geäußert, ob die Klage wegen fehlender Beschwer der Kläger möglicherweise unzulässig ist. Bedenken in diese Richtung hätten sich aber nicht gestellt, wäre es den Klägern um die Nichtberücksichtigung der Pachteinnahmen gegangen. Wenn der Prozeßbevollmächtigte den von ihm zuvor bereits schriftsätzlich gestellten Klageantrag gleichwohl in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich aufrechterhält und auch von einem Hilfsantrag absieht, muß deshalb davon ausgegangen werden, daß er die entsprechenden Konsequenzen (z. B. aus Kostengründen) nicht ziehen wollte. Unter diesen Umständen ist es - wie dargestellt - nicht Aufgabe des Gerichts, auf alle denkbaren Folgen hinzuweisen, die sich aus der materiell-rechtlichen Einschätzung eines Sachverhalts ergeben können. Aus gleichen Gründen bestand im Streitfall - umgekehrt - auch keine Notwendigkeit, dem FA zu empfehlen, die Beiladung der GmbH & Co. KG zum Verfahren gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 zu beantragen (siehe auch BFH-Beschluß vom 27. Januar 1982 VII B 141/81, BFHE 134, 537, BStBl II 1982, 239), obwohl ein solcher Antrag ggf. zweckmäßig gewesen wäre, um eine Berücksichtigung des Sonderbetriebsvermögens an dem Grundstück und der hieraus erzielten Sonderbetriebseinnahmen bei der GmbH & Co. KG sicherzustellen.
3. In Anbetracht der dargestellten Rechtslage kann der Senat dahinstehen lassen, ob eine Klageerweiterung vor dem Hintergrund der Entscheidung des Großen Senats des BFH im Beschluß vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87 (BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327) überhaupt in Betracht kommen konnte. Unbeantwortet bleiben kann desgleichen, ob die Klage nach Maßgabe des in der Vorinstanz gestellten Klageantrags nicht bereits mangels des Vorliegens einer Klagebefugnis (§ 40 Abs. 2 FGO) unzulässig ist, weil sowohl die vom FA angenommenen wie auch die von den Klägern geltend gemachten Besteuerungsgrundlagen zu demselben steuerlichen Ergebnis führen (vgl. BFH-Urteil vom 12. Dezember 1972 VIII R 39/67, BFHE 108, 278, BStBl II 1973, 323; von Groll in Gräber, a. a. O., § 40 Rdnr. 88 ff. m. w. N.).
Fundstellen