Entscheidungsstichwort (Thema)
Einspruchseinlegung, Einspruchsrücknahme, Einspruchsentscheidung
Leitsatz (NV)
1. Grenzen der Auslegung bzw. Umdeutung eines Einspruchs sowie Mindestinhalt der Einspruchsrücknahme.
2. Zum Umfang der Begründung und zur isolierten Aufhebung einer Einspruchsentscheidung.
Normenkette
AO 1977 §§ 357, 362, 366 S. 2, § 367 Abs. 1; FGO § 100 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau hatten beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) für das Kalenderjahr 1976 einen als Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich wie auch als Einkommensteuererklärung verwendbaren ausgefüllten Vordruck eingereicht, ohne das für das jeweilige Verfahren vorgesehene Kästchen anzukreuzen. In der Rubrik ,,Nur bei Einkommensteuererklärung von Ehegatten ausfüllen:" ist Zusammenveranlagung gewählt worden. Die Erklärung enthält im übrigen nur Angaben über Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen. Die Frage ,,Andere Einkünfte/Einnahmen?" ist mit ja beantwortet worden.
Das FA verfügte am . . . September 1977, daß für das Kalenderjahr 1976 eine Veranlagung zur Einkommensteuer nicht durchgeführt wird. Nach den Angaben des Klägers ist ihm diese Verfügung nicht bekanntgegeben worden. Mit Bescheid vom . . . November 1977 führte das FA den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1976 durch und setzte den Erstattungsbetrag auf . . . DM fest.
Hiergegen ließ der Kläger durch einen Rechtsbeistand und Steuerbevollmächtigten mit Schreiben vom . . . Dezember 1977 Einspruch einlegen.
Mit seinem Einspruch machte der Kläger geltend, für den Veranlagungszeitraum 1976 sei zur Berücksichtigung von (vorab entstandenen) Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen.
Am . . . Oktober 1978 hat das FA den Bevollmächtigten des Klägers darauf hingewiesen, daß der Antrag nur in einem vom Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren unabhängigen Veranlagungsverfahren, nicht aber im Einspruchsverfahren gegen den Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid zum Erfolg führen könne. Außerdem hat es den Kläger aufgefordert, den Einspruch zurückzunehmen. Mit Schreiben vom . . . November 1978 hat der Bevollmächtigte des Klägers hierauf erwidert, daß er den Antrag auf Veranlagung bereits gestellt habe und ihn vorsorglich wiederhole. Bezüglich der Aufforderung zur Einspruchsrücknahme hat er sich nicht geäußert. Mit der Einspruchsentscheidung vom . . . Dezember 1978 wies das FA den Einspruch ,,gegen den Bescheid über die Durchführung des LStJA 1976 vom . . . 11. 1977" als unbegründet zurück, weil die geltend gemachten Aufwendungen nicht als vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzugsfähig, sondern nichtabzugsfähige Zuwendungen an seine Mutter i. S. von § 12 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) seien.
Entscheidungsgründe
Die Klage, mit der der Kläger die Aufhebung der Einspruchsentscheidung begehrte, hatte Erfolg. Demgegenüber drang das FA mit seiner Revision durch. Der BFH führte aus:
Die Ansicht des FG, der Kläger habe gegen den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1976 vom . . . November 1977 keinen Einspruch erhoben, sondern einen Antrag auf Einkommensteuerveranlagung gemäß ,,§ 46 Abs. 1 Nr. 8b" EStG gestellt, ist rechtsfehlerhaft.
Es mag zwar zutreffen, daß die Wunschvorstellung des Klägers auf die Vornahme einer Antragsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 EStG ging. Nach den Umständen des Falles hat der Kläger diese aber nicht in der gehörigen Form artikuliert. Aus diesem Grunde hat das FA zu Recht die Einspruchsentscheidung vom 22. November 1977 erlassen. Denn im Streitfall richtete sich der Einspruch des durch eine rechtskundige Person vertretenen Klägers gegen diesen Bescheid. Dieser Einspruch kann weder als Antrag auf Veranlagung ausgelegt noch in einen solchen Antrag umgedeutet werden. Der Kläger hat diesen Einspruch auch nicht ausdrücklich oder durch sein wiederholt geäußertes Verlangen nach Veranlagung zurückgenommen.
Zwar sind - auch außerprozessuale - Verfahrenserklärungen in entsprechender Anwendung des § 133 BGB auszulegen (vgl. etwa BFH-Urteil vom 8. Februar 1974 III R 140/70, BFHE 112, 6, BStBl II 1974, 417). Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen (dazu z. B. BFH-Urteil vom 6. Februar 1979 VII R 82/78, BFHE 127, 135, BStBl II 1979, 374). Voraussetzung hierfür ist aber, daß die (Verfahrens-)Erklärung auslegungsbedürftig ist. Hieran fehlt es, wenn die Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt hat (vgl. Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 45. Aufl. 1986, § 133 Anm. 3 m. w. N.). Ob dies zutrifft, ist revisionsrechtlich nachprüfbar (Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 10. Februar 1960 V ZR 39/58, BGHZ 32, 60, und vom 8. Dezember 1982 IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41).
Der Senat wertet den objektiven Erklärungsinhalt des Schreibens des Klägers vom 16. Dezember 1977 dahin, daß er damit Einspruch gegen den Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid 1976 vom . . . November 1977 eingelegt hat. Diese Beurteilung wird auch nicht dadurch beeinträchtigt, daß der Kläger mit der Einspruchsbegründung zur Erledigung seines Einspruchs die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung beantragte. Dieser Antrag deutet lediglich darauf hin, daß der steuerliche Berater des Klägers der irrigen Ansicht war, ein Veranlagungsverfahren zur Berücksichtigung von vorab entstandenen Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung setze einen Einspruch gegen den Lohnsteuer - Jahresausgleichsbescheid voraus. Die Einspruchseinlegung mag allerdings insofern sinnvoll gewesen sein, als seinerzeit das Verhältnis des Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahrens zum Einkommensteuerveranlagungsverfahren und insbesondere das Verhältnis der diese Verfahren abschließenden Bescheide noch nicht endgültig geklärt war (vgl. nun BFH-Beschluß vom 21. Oktober 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207). Für die Entscheidung hier ist dies jedoch ohne Bedeutung.
Der Einspruch kann auch nicht in einen Antrag auf Veranlagung umgedeutet werden. Eine Umdeutung ist zwar grundsätzlich auch bei Verfahrenserklärungen (siehe z. B. BFH-Beschluß vom 23. November 1978 I R 56/76, BFHE 126, 366, BStBl II 1979, 173), namentlich auch im Verhältnis eines außergerichtlichen Rechtsbehelfs zu einem außergerichtlichen Antrag etwa auf Veranlagung denkbar (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 357 AO 1977 Tz. 2; Haarmann in Ziemer/Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 1006/5). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. z. B. Beschluß vom 24. September 1970 II B 28/70, BFHE 100, 83, BStBl II 1970, 813; Urteile vom 24. Juni 1964 II 76/63, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965, 177; vom 27. November 1959 VI 211/58, HFR 1961, 39) kommt eine Umdeutung von Verfahrenserklärungen rechtskundiger Personen nicht in Betracht, weil bei diesen Personen davon ausgegangen werden kann, daß sie sich über die rechtliche Tragweite ihrer Erklärungen im klaren sind. Der Senat schließt sich dieser Ansicht an.
Da sich im Streitfall der Kläger zur Einlegung seines Einspruchs durch eine rechtskundige Person hat vertreten lassen, kann mithin nicht davon ausgegangen werden, daß statt des Einspruchs ein Antrag auf Veranlagung bezweckt war.
Der Kläger hat seinen Einspruch auch nicht zurückgenommen (§ 362 Abs. 1 AO 1977). Die Rücknahme eines außergerichtlichen Rechtsbehelfs muß schriftlich oder zur Niederschrift erklärt werden (§ 362 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 i. V. m. § 357 Abs. 1 AO 1977). Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Zurücknehmende seine Erklärung ausdrücklich als Rücknahme bezeichnet (§ 362 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 i. V. m. § 357 Abs. 1 Satz 4 AO 1977). Die Erklärung ist gegebenenfalls entsprechend den aufgezeigten Maßstäben auszulegen bzw. umzudeuten (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 362 AO 1977 Tz. 3). Hierzu ist der Senat befugt und verpflichtet, weil dazu die tatsächlichen Feststellungen des FG ausreichen.
Der Kläger hat zwar wiederholt seinen Wunsch nach Veranlagung zu erkennen gegeben. Hierin kann eine Rücknahme seines Einspruchs jedoch nicht gesehen werden. Die Einspruchsbegründung des Klägers geht ersichtlich von der Vorstellung aus, daß der Einspruch gegen den Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid
durch die Veranlagung erledigt werden kann, was ein Festhalten am Einspruch bedingt. Dem Hinweis des FA, daß die Frage der vorab entstandenen Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nur im Veranlagungsverfahren materiell behandelt werden könne und die Aufforderung zur Einspruchsrücknahme hat der Kläger nur mit der Wiederholung seines Antrags auf Veranlagung beantwortet. Auf die Frage, ob er an seinem Einspruch festhalte, ist der Kläger nicht eingegangen.
Die Vorentscheidung kann auch nicht im Ergebnis deshalb aufrechterhalten werden, weil sich die Begründung der Einspruchsentscheidung zum Lohnsteuer-Jahresausgleich rechtsfehlerhaft nur mit den im Veranlagungsverfahren zu prüfenden Einkünften aus Vermietung und Verpachtung befaßt bzw. weil gegebenenfalls der Einspruch schon mangels Geltendmachung einer Beschwer (§ 350 AO 1977) als unzulässig hätte verworfen werden müssen (vgl. zur Beschwer und ihre Geltendmachung zuletzt BFH-Urteil vom 27. November 1985 II R 90/83, BFHE 145, 122, BStBl II 1986, 243). Die isolierte Aufhebung einer außergerichtlichen Rechtsbehelfsentscheidung kommt im Anwendungsbereich des § 44 Abs. 2 FGO nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dies vom Kläger aufgrund besonderen rechtlichen Interesses beantragt ist oder das FG bei wesentlichen Verfahrensmängeln in erheblichem Umfang kostspielige und zeitraubende Aufklärungsmaßnahmen für nötig hält (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO; BFH-Urteile vom 19. August 1982 IV R 185/80, BFHE 136, 445, BStBl II 1983, 21; vom 22. September 1983 IV R 109/83, BFHE 140, 132, BStBl II 1984, 342; vom 19. Juli 1984 IV R 207/83, BFHE 142, 42, BStBl II 1985, 6; vom 23. April 1985 VIII R 282/81, BFHE 144, 326, BStBl II 1985, 711). Die unzutreffende Begründung einer Rechtsbehelfsentscheidung stellt keinen Verfahrensmangel dar, da auch sie noch dem Erfordernis der Begründungspflicht gemäß § 366 Satz 2 AO 1977 genügt (zur Abgrenzung: Tipke/Kruse, a. a. O., § 366 AO 1977 Tz. 5). Die Zurückweisung eines Einspruchs als unbegründet statt der Verwerfung als unzulässig ist zwar ein Verfahrensmangel (vgl. § 358 Satz 2 AO 1977). Aber selbst wenn - wie im Streitfall - mit der Klage die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung beantragt worden ist, kann der Kläger aus dem Umstand, daß das FA seinen Einspruch statt ihn als unbegründet zurückzuweisen gegebenenfalls hätte als unzulässig verwerfen müssen, nicht das notwendige besondere rechtliche Interesse für die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung herleiten.
Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist nach den vorstehenden Ausführungen abzuweisen.
Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, daß das FA bisher über den Antrag des Klägers auf Veranlagung noch nicht entschieden hat. Die Einspruchsentscheidung enthält zwar umfangreiche materiell-rechtliche Ausführungen dazu, daß der Ansatz eines Werbungskostenüberschusses bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nicht in Betracht komme. Es fehlt jedoch die Entscheidung des FA, daß der gestellte Antrag auf Veranlagung abgelehnt wird, weil die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Buchst. b EStG nicht vorliegen.
Fundstellen
Haufe-Index 414666 |
BFH/NV 1987, 359 |