Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlaß von Säumniszuschlägen und von Vollstreckungskosten
Leitsatz (NV)
1. Erläßt ein FA während eines gerichtlichen Aussetzungsverfahrens (AdV) ohne Vorankündigung einen Pfändungsbeschluß, obgleich es zuvor mitgeteilt hatte, daß bis zum Abschluß des AdV-Verfahrens keine Vollstreckung erfolgen werde, so verstößt die Erhebung der Pfändungskosten gegen Treu und Glauben.
2. Säumniszuschläge entstehen auch während eines Verfahrens über die Aussetzung der Vollziehung.
3. Eine Verfahrensdauer von 12 Monaten (einschließlich Vorverfahren) verstößt für ein AdV-Verfahren weder gegen Art. 19 Abs. 4 GG noch gegen Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; EMRK Art. 6 Abs. 1; AO 1977 §§ 227, 240, 258, 361 Abs. 1
Tatbestand
1. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine KG. Sie wurde im Jahre 1973 mit dem Ziel gegründet, durch Aufnahme von Kommanditisten Investitionskapital für Erdöl- und Erdgasgeschäfte zu sammeln. Mit mehreren Gesellschaftsteuerbescheiden setzte das zunächst zuständige Finanzamt (FA) X in den Jahren 1974 und 1979 Gesellschaftsteuer für die in der Zeit von 1974 bis 1976 geleisteten Einzahlungen fest. Diese Steuerbescheide wurden vom Bundesfinanzhof (BFH) durch Urteil vom 29. Juli 1982 wegen Unbestimmtheit aufgehoben.
2. Am 27. Juli 1983 erließ das FA X neue Gesellschaftsteuerbescheide über insgesamt . . . DM, fällig am 20. August 1983. Dagegen erhob die Klägerin Einspruch und beantragte am 10. August 1983 Aussetzung der Vollziehung. Hilfsweise beantragte sie Vollstreckungsaufschub bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihren Aussetzungsantrag.
Am 31. August 1983 lehnte das FA X ab, die Vollziehung auszusetzen. Daraufhin beantragte die Klägerin am 12. September 1983 beim Finanzgericht (FG), die Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen.
Während des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens teilte das FA X dem FG durch Schreiben vom 6. Oktober 1983 mit, daß Vollstreckungsmaßnahmen ,,z. Zt. nicht in Aussicht genommen" seien. Der Berichterstatter des FG übermittelte diesen Schriftsatz am 7. Oktober 1983 an die Klägerin und wies dabei darauf hin, daß das FA X am 15. September 1983 telefonisch mitgeteilt habe, es werde keine Vollstreckung erfolgen, bevor über den Aussetzungsantrag entschieden sei. Durch eine Zahlung der Klägerin sei nach Angaben der Vollstreckungsstelle der ,,Fall für die Vollstreckungsstelle abgeschlossen". Ergänzend wies der Berichterstatter darauf hin, daß die von der Vollstreckungsstelle erwähnte Zahlung allerdings wohl eine andere Steuerschuld der Klägerin betreffe. Das FG wies den Aussetzungsantrag durch Beschluß vom 28. August 1984 ab.
Kurz vor dieser Entscheidung des FG hatte das FA X am 17. August 1984 wegen der rückständigen Gesellschaftsteuer, wegen Säumniszuschlägen in Höhe von . . . DM und wegen Vollstreckungskosten in Höhe von . . . DM ein Bankguthaben der Klägerin gepfändet. Den hilfsweise gestellten Antrag der Klägerin auf Vollstreckungsaufschub lehnte dieses FA am 23. August 1984 ab. Die Klägerin beglich die Forderungen am 31. August 1984. Am 18. September 1984 zahlte sie weitere verwirkte Säumniszuschläge in Höhe von . . . DM.
Anträge der Klägerin auf Erlaß der Säumniszuschläge und der Vollstreckungskosten lehnte das FA am 17. Oktober 1984 und am 14. Januar 1985 ab. Am 28. Januar 1985 ermäßigte die Klägerin ihre bisherigen Erlaßanträge. Sie beantragte nur noch den Erlaß bzw. die Erstattung derjenigen Säumniszuschläge, die fiktive Stundungszinsen von 6 v. H. für angefangene zwölf Monate überstiegen. Unter Berücksichtigung der bereits gezahlten Säumniszuschläge ergab sich daraus nach Auffassung der Klägerin ein zu erlassender bzw. zu erstattender Betrag von . . . DM. Daneben beantragte die Klägerin den Erlaß von Vollstreckungskosten in Höhe von . . . DM. Nach einem Zuständigkeitswechsel im Bereich der Finanzbehörden lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das FA) die Erlaßanträge am 30. August 1985 ab. Die zuständige Oberfinanzdirektion (OFD) wies die dagegen erhobene Beschwerde durch Entscheidung vom 18. Juni 1986 zurück.
3. Dagegen erhob die Klägerin Klage. Das FG hob die angefochtenen Entscheidungen auf und verpflichtete das FA, die Vollstreckungskosten zu erlassen und über den Antrag auf Erlaß der Säumniszuschläge erneut zu entscheiden.
Die Erhebung der Vollstreckungskosten verstoße gegen Treu und Glauben. Der Ermessensspielraum des FA sei so eingeengt, daß nur ein Erlaß der Kosten in Betracht komme.
Die Ablehnung des Erlasses der Säumniszuschläge sei ermessensfehlerhaft, weil das FA nicht ausreichend gewürdigt habe, daß die Klägerin wegen unzureichender personeller und sachlicher Ausstattung der FG fast ein Jahr lang auf die Entscheidung über ihren Aussetzungsantrag habe warten müssen. Unter Berücksichtigung übergeordneter Verfassungsgrundsätze sei dadurch die angemessene Dauer eines Verfahrens überschritten worden. Es könne allerdings ermessensgerecht sein, den der Klägerin entstandenen Zinsvorteil in Höhe der Stundungszinsen vom Erlaß auszunehmen. Diese Ermessensentscheidung müsse das FA noch treffen.
4. Das FA stützt seine Revision auf Verletzung des § 227 der Abgabenordnung (AO 1977).
Entscheidungsgründe
A. Die Revision des FA ist unbegründet, soweit das FA verpflichtet wurde, die Vollstreckungskosten zu erlassen. Die Revision war insoweit als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
1. Das FG hat zu Recht die Verfügung des FA vom 30. August 1985 und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufgehoben, soweit in diesen Verwaltungsakten ein Erlaß der Vollstreckungskosten abgelehnt wurde. Das FA war verpflichtet, die Vollstreckungskosten zu erlassen.
2. Nach § 227 Abs. 1 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerverhältnis erlassen oder erstatten, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu den Ansprüchen aus dem Steuerverhältnis gehören auch Vollstreckungskosten (§ 37 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 3 AO 1977).
3. Im Streitfall widersprach die Geltendmachung der Vollstreckungskosten dem Grundsatz von Treu und Glauben. Der Grundsatz von Treu und Glauben leitet sich unmittelbar aus der Gerechtigkeitsidee ab und ist ungeschriebenes Recht mit Rechtsquelleneigenschaft (BFH-Urteil vom 9. August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990). Er gebietet, daß im Steuerrechtsverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren (nachhaltigen) Verhalten nicht in Widerspruch setzt (BFH in BFHE 158, 31, 34, BStBl II 1989, 990). Das bedeutet zwar nicht, daß Steueransprüche zum Erlöschen kommen; der Grundsatz kann jedoch verhindern, daß eine Forderung oder ein Recht geltend gemacht wird (vgl. Tipke / Lang, Steuerrecht, 12. Aufl., § 21, 4.1 am Ende, S. 654).
Die Vollstreckungsstelle des früher zuständigen FA X hatte den Berichterstatter des FG am 15. September 1983 telefonisch davon unterrichtet, daß bis zum Abschluß des Aussetzungsverfahrens nicht vollstreckt werden sollte. Das betreffende FA hat ferner in dem an das FG gerichteten Schreiben vom 6. Oktober 1983 mitgeteilt, daß ,,z. Zt. keine Vollstreckungsmaßnahmen in Aussicht genommen" seien. Beide Mitteilungen wurden der Klägerin durch den Berichterstatter des FG zur Kenntnis gebracht.
Diese Äußerungen waren geeignet, bei der Klägerin ein schutzwürdiges Vertrauen zu begründen. Auch wenn man berücksichtigt, daß die telefonische Äußerung des FA u. a. durch die - offenbar unrichtige - Annahme veranlaßt wurde, die Klägerin habe die rückständige Gesellschaftsteuer getilgt, konnte die Klägerin aufgrund beider Äußerungen zumindest annehmen, daß ihr etwaige Vollstreckungsmaßnahmen zuvor angekündigt würden. Dieses Vertrauen wurde noch dadurch bestärkt, daß das FA während des rd. 11 Monate dauernden gerichtlichen Aussetzungsverfahrens keine Vollstreckungsmaßnahmen ergriff. Zwar hatte das FA über den von der Klägerin gestellten Antrag auf Vollstreckungsaufschub noch nicht durch Verwaltungsakt entschieden. Bis zu dieser Entscheidung konnte die Klägerin jedoch nach den schriftlichen und mündlichen Äußerungen des FA gegenüber dem FG davon ausgehen, daß zumindest ohne weitere Ankündigung keine Vollstreckung erfolgen würde. Die Klägerin hat auch im Vertrauen auf die Äußerungen des FA disponiert. Das FG hat festgestellt, daß die Klägerin die offenen Steuerschulden bezahlt hätte, wenn sie über die Vollstreckungsabsicht des FA unterrichtet worden wäre.
Unter diesen Umständen verstieß das FA gegen Treu und Glauben, wenn es vor der Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckungsaufschub am 17. August 1983 eine Pfändungsverfügung erließ. Es kann die daraus entstandenen Vollstreckungskosten nicht geltend machen und war verpflichtet, die Kosten auf Antrag gemäß § 227 AO 1977 zu erlassen. Ein Ermessensspielraum für das FA bestand nicht mehr, da der Ermessensspielraum so eingeengt war, daß keine andere Entscheidung möglich war. Das FG hat bei dieser Rechtslage zutreffend anstelle des FA entschieden (vgl. BFH-Urteil vom 3. August 1983 II R 144/80, BFHE 139, 128, BStBl II 1984, 321).
B. Die Revision des FA ist begründet, soweit sie sich gegen die Verpflichtung des FA zum Erlaß der Säumniszuschläge richtet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des Urteils des FG und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
Das FG hat zu Unrecht eine Verpflichtung des FA zum Erlaß der Säumniszuschläge angenommen. Die den Erlaß ablehnende Verfügung des FA vom 30. August 1985 in Gestalt der Beschwerdeentscheidung vom 18. Juni 1986 läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
1. Auch Säumniszuschläge können als Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 3 Abs. 3 AO 1977 i. V. m. § 37 Abs. 1 AO 1977) ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
2. Die Ablehnung des begehrten Erlasses durch FA und OFD hält sich jedoch im Rahmen der gerichtlich überprüfbaren pflichtgemäßen Ermessensausübung (§ 102 FGO).
In Betracht kam nur ein Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen, der voraussetzen würde, daß die Einziehung der für die Streitjahre angefallenen Säumniszuschläge mit Rücksicht auf die dem § 240 AO 1977 zugrunde liegenden Zwecke nicht (mehr) zu rechtfertigen ist (BFH-Urteil vom 13. Juli 1976 VIII R 236/72, BFHE 119, 443, BStBl II 1977, 125, 126) oder den Wertungen dieser Vorschrift zuwiderläuft (BFH-Urteile vom 14. September 1978 V R 35/72, BFHE 126, 9, BStBl II 1979, 58; vom 23. Mai 1985 V R 124/79, BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489, und vom 2. Juli 1986 I R 5/83, BFH/NV 1987, 684). Dagegen rechtfertigen Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes bewußt in Kauf genommen hat, einen Erlaß aus Billigkeitsgründen nicht (BFH in BFH/NV 1987, 684).
a) Die Erhebung von Säumniszuschlägen im Streitfall hält sich im Rahmen der Ziele des § 240 AO 1977.
Säumniszuschläge sind ein Druckmittel eigener Art, durch das die rechtzeitige Erfüllung fälliger Steuern erreicht werden soll. Die Säumniszuschläge entstehen bei Fälligkeit (§ 240 Abs. 1 AO 1977). Das gilt auch dann, wenn gegen den Steuerbescheid Rechtsbehelfe eingelegt werden. Der Gesetzgeber hat dem Rechtsbehelf gegen einen Steuerbescheid grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung zuerkannt (§§ 361 Abs. 1 AO 1977, 69 Abs. 1 FGO). Säumniszuschläge entstehen dementsprechend auch während eines anhängigen Verfahrens über Aussetzung der Vollziehung, da ihre Entstehung ausschließlich von einer Zahlung nach Fälligkeit abhängt (BFH-Urteile vom 14. Februar 1975 VI B 72/74, BFHE 115, 95, BStBl II 1975, 452, 453, und vom 7. Februar 1990 X R 154/87, BFH/NV 1991, 5). Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, daß er während eines Aussetzungsverfahrens den durch die Erhebung von Säumniszuschlägen beabsichtigten Zahlungsdruck nicht beseitigen wollte.
b) Die Erhebung der Säumniszuschläge widerspräche im Streitfall selbst dann nicht dem Zweck des § 240 AO 1977, wenn das Schreiben des FA X an das FG vom 6. Oktober 1983 als Vollstreckungsaufschub i. S. des § 258 AO 1977 zu werten wäre.
Ein Vollstreckungsaufschub kann zwar dazu führen, daß die Erhebung von Säumniszuschlägen als mit dem Willen des Gesetzgebers unvereinbar anzusehen ist. Das gilt im Hinblick auf den vom Gesetzgeber beabsichtigten Zweck jedoch nur, wenn der Steuerpflichtige zur Zahlung der Steuern nicht in der Lage war und die Säumniszuschläge deshalb ihren Zweck als Druckmittel verloren haben (BFH-Urteile in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489; in BFH/NV 1987, 684, und vom 21. Oktober 1987 X R 29/81, BFH/NV 1988, 546 m. w. N.). Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte, daß die Klägerin wegen wirtschaftlicher Notlage die Gesellschaftsteuer nicht entrichten konnte.
c) Eine Unbilligkeit i. S. des § 227 AO 1977 folgt auch nicht aus den Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 27. Dezember 1977 IV A 8 - S 0480 - 18/77 (Abschn. II i. V. m. Abschn. I 2, Steuererlasse in Karteiform, zu § 240 der Abgabenordnung, Nr. 3) und vom 2. Januar 1984 IV A 5 - S 0480 - 27/83 (Betriebs-Berater - BB - 1984, 131). Nach diesen Verwaltungsanweisungen kann eine (über § 240 Abs. 3 AO 1977 hinausreichende) Frist zur Zahlung der rückständigen Steuern bewilligt werden, wenn ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vor Fälligkeit gestellt, aber nach Fälligkeit abgelehnt wird.
Es kann unentschieden bleiben, auf welche Weise eine solche Ermessensrichtlinie Selbstbindung auslöst und inwieweit sie demzufolge einer Auslegung durch die Gerichte zugänglich ist (vgl. zu diesem Problem die BFH-Urteile vom 27. Oktober 1978 VI R 8/76, BFHE 126, 217, BStBl II 1979, 54, 55; vom 5. September 1989 VII R 39/87, BFHE 158, 182; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl. 1988, § 4 AO 1977 Tz. 38; Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 17. April 1970 VII C 60.68, BVerwGE 35, 159, 161 f.). Auch wenn man Verwaltungsvorschriften im Bereich der Ermessensausübung generell für auslegungsfähig hält, führt das nicht zum begehrten Erlaß; denn die im BMF-Schreiben vom 2. Januar 1984 enthaltene Sonderregelung für Stundungs- und Aussetzungsanträge gilt nur für die erstmalige Ablehnung solcher Anträge (vgl. BFH-Urteil vom 7. Februar 1990 X R 154/87, BFH/NV 1991, 5 im Anschluß an das Urteil des erkennenden Senats vom 17. Juli 1985 I R 172/79, BFHE 145, 1, BStBl II 1986, 122). Im Streitfall war der Aussetzungsantrag jedoch bereits vor der Ablehnung durch das FG (28. August 1984) durch die Verfügung des FA X vom 31. August 1983 abgelehnt worden.
Auch in der Zeit zwischen dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (10. August 1983) und der Ablehnung des Antrags durch das FA X (31. August 1983) bestand keine Verpflichtung des FA, die Fälligkeit hinauszuschieben. Dementsprechend konnte sich auch keine Verpflichtung ergeben, einen Teil der Säumniszuschläge aus Billigkeitsgründen zu erlassen.
Die Verwaltungsregelung im Schreiben des BMF vom 2. Januar 1984 ist als ,,Kann-Vorschrift" ausgestaltet. Sie löst jedenfalls dann keine Verpflichtung zum Erlaß von Säumniszuschlägen aus, wenn - wie im Streitfall - über den Aussetzungsantrag immerhin bereits 22 Tage nach Fälligkeit ablehnend entschieden wurde.
d) Eine Unbilligkeit i. S. des § 227 AO 1977 ergab sich auch nicht aus der Dauer des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens.
Das FG hat zwar zutreffend ausgeführt, daß der vorläufige Rechtsschutz in Gestalt des Aussetzungsverfahrens im Interesse der betroffenen Steuerpflichtigen in möglichst kurzer Zeit durchgeführt werden sollte. Auch aus dieser Zielsetzung ist jedoch im Streitfall keine Verpflichtung der Finanzbehörden abzuleiten, Säumniszuschläge zu erlassen.
aa) Der Senat braucht dabei nicht zu entscheiden, ob das Verhalten des FG uneingeschränkt den Grundsätzen entsprach, die für das beschleunigt durchzuführende Aussetzungsverfahren gelten. Jedenfalls ist eine Verfahrensdauer von rd. 12 Monaten einschließlich des vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens noch nicht als Verstoß gegen das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes oder gegen das Recht auf Anhörung innerhalb angemessener Frist gemäß Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (MRK) anzusehen. Das gilt jedenfalls dann, wenn im Verfahren - wie im Streitfall - während rd. 10 Monaten - bis zum 1. Juni 1984 - zahlreiche Schriftsätze zur materiell-rechtlichen Lage ausgetauscht wurden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in der vom FG erwähnten Entscheidung vom 28. Juni 1978 C (78) 31 - Fall König - (Neue Juristische Wochenschrift 1979, 477) in erster Linie die wenig sachgerechte Prozeßleitung und die in einem Fall über zwei Jahre, im anderen Fall über 18 Monate andauernden Aussetzungen der Verfahren als Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK betrachtet.
bb) Der Hinweis der Klägerin auf § 46 FGO geht fehl. Nach dieser Vorschrift kann eine Klage vor Abschluß des Vorverfahrens erhoben werden, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Falls nicht wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist, kann die sog. Untätigkeitsklage nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden.
Aus dieser Vorschrift ist nur zu entnehmen, daß über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf in angemessener Frist sachlich zu entscheiden ist und daß grundsätzlich eine unter sechs Monaten liegende Bearbeitungszeit nicht als unangemessen anzusehen ist. Aus der Vorschrift ist jedoch nicht zu entnehmen, daß die im Gesetz genannte Sechs-Monatsfrist auch die zeitliche Obergrenze angemessener Bearbeitungszeit darstellt. Auch längere Bearbeitungszeiten können nach der Fassung des Gesetzes je nach Lage des Einzelfalles durchaus angemessen sein.
5. Die Erhebung von Säumniszuschlägen verstößt nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
Aus den Äußerungen des FA X ergab sich kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin in die Nichterhebung der Säumniszuschläge. Aus den Äußerungen ist allenfalls die Zusage zu entnehmen, zunächst keine Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen. Ein Verzicht auf Säumniszuschläge war damit nicht verbunden und konnte von der Klägerin auch nicht so aufgefaßt werden.
Fundstellen