Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bindungswirkung des Feststellungsbescheides; tatsächliche Feststellung i. S. d. § 118 Abs. 2 FGO
Leitsatz (NV)
1. Welche Beurteilungen im Folgebescheid als vorweggenommen angesehen werden müssen, entscheidet sich allein nach dem Inhalt des Grundlagenbescheides, nicht nach den hierzu ergangenen behördeninternen Mitteilungen.
2. Festgestellt i. S. des § 118 Abs. 2 FGO sind in Bezug genommene Schriftstücke nur dann, wenn sie Bestandteil der Akten sind, die Grundlage des FG-Urteils waren.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 1, § 182 Abs. 1; FGO § 118 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr Gesellschafter einer KG. Entsprechend einer Mitteilung des Betriebsfinanzamtes berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) im Einkommensteuerbescheid 1979 Spenden der KG in Höhe von 1020 DM.
Am 27. Juni 1984 erließ das Betriebsfinanzamt einen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid für die KG. In der Mitteilung des Betriebsfinanzamtes an das FA war in der Rubrik ,,Spenden" ein Betrag von 2052 DM als auf den Kläger entfallend ausgewiesen. Das FA änderte auf Grund der Mitteilung den Einkommensteuerbescheid. Dabei ließ es jedoch die bisher berücksichtigten Spenden unverändert. Hiergegen machte der Kläger geltend, der Einkommensteuerbescheid sei nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) auch insoweit zu ändern, als das Betriebsfinanzamt für den Kläger einen höheren Spendenbetrag festgestellt habe. Hilfsweise sei der Bescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 180 Abs. 1 Nr. 2 a i. V. m. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, die Verletzung der Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie einen Verstoß gegen Denkgesetze.
Zur Begründung führt es im wesentlichen aus: Einheitlich und gesondert festgestellt würden nur die Einkünfte nach Art und Betrag. Der Mitteilung über die Höhe der Spenden komme nur nachrichtliche Bedeutung zu. - Das FG habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt, weil es ohne Vorliegen des Feststellungsbescheides unterstellt habe, dieser sei inhaltsgleich mit der Mitteilung des Betriebsfinanzamtes an das FA. Im Feststellungsbescheid vom 27. Juni 1984 sei - anders als in der Mitteilung an das FA - ausdrücklich vermerkt, ,,die weiteren Feststellungen ergeben sich aus der beigefügten Anlage ESt 2 BM 81 Spalten 5 bis 24"; die Angaben in Spalte 25, in der die Spenden aufgeführt seien, seien danach nicht in die Feststellung einbezogen. - Soweit das FG im Tatbestand den Inhalt der Mitteilung des Betriebsfinanzamtes wiedergebe und in den Entscheidungsgründen den Inhalt der Mitteilung mit dem Inhalt des Feststellungsbescheides gleichsetze, verstoße es gegen Denkgesetze.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Bescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Zu den Grundlagenbescheiden zählt auch der Bescheid, in dem das Betriebsfinanzamt die gewerblichen Einkünfte des Klägers aus seiner Beteiligung an der KG einheitlich und gesondert feststellt (§ 171 Abs. 10, § 179 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977).
2. Nach § 182 Abs. 1 AO 1977 sind Feststellungsbescheide für Folgebescheide bindend, soweit die in den Feststellungsbescheiden getroffenen Feststellungen für die Folgebescheide von Bedeutung sind.
Von Bedeutung i. S. dieser Regelung sind Grundlagenbescheide für Folgebescheide nur insoweit, als ihnen kraft Gesetzes ein selbständiger Regelungsbereich zugewiesen ist, d. h. im Verhältnis von einheitlichen und gesonderten Feststellungen zu Steuerbescheiden nur, soweit Besteuerungsgrundlagen selbständig festzustellen sind (§ 157 Abs. 2 AO 1977). Die Bindungswirkung eines Grundlagenbescheides kann deshalb grundsätzlich nur so weit reichen wie sein notwendiger, nach den einschlägigen Gesetzesbestimmungen zulässiger Inhalt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. Juli 1989 X R 32/86, BFH/NV 1990, 366, 368; vgl. z. B. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 182 AO 1977 Tz. 1; Söhn in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 179 AO 1977 Anm. 25).
3. Nach § 179 Abs. 2 Satz 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 sind einheitlich und gesondert festzustellen die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Sonderausgaben, die nach dem Ermittlungsschema des § 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nach der Ermittlung der Einkünfte (§ 2 Abs. 2 EStG) abzuziehen sind (§ 2 Abs. 4 EStG) dürfen deshalb grundsätzlich nicht Gegenstand eines Feststellungsbescheides sein. Über die Abziehbarkeit von Spenden i. S. des § 10 b EStG, die gemäß § 10 b Abs. 1 Satz 1 EStG als Sonderausgaben zu berücksichtigen sind, ist danach auch dann bei der Veranlagung der Gesellschafter und nicht im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns der Personengesellschaft zu entscheiden, wenn die Gesellschaft die Spenden verauslagt hat. Denn die Hingabe von Spenden berührt nicht den Gewinn der Gesellschaft (BFH-Urteile in BFH/NV 1990, 366, 368; vom 8. August 1990 X R 149/88, BFHE 162, 251, BStBl II 1991, 70, m. w. N.).
4. Ein Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekanntgegeben wird (§ 124 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AO 1977).
Inhalt und Umfang der Bindungswirkung für den Folgebescheid (§ 175 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 182 Abs. 1 AO 1977) richten sich nach dem Inhalt der Regelungen im Grundlagenbescheid. Hat das Betriebsfinanzamt unter Verletzung der in der Abgrenzung von Grundlagen- und Folgebescheid liegenden Kompetenzverteilung (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 9. Mai 1984 I R 25/81, BFHE 141, 252, BStBl II 1984, 726; in BFH/NV 1990, 366, 368, m. w. N.) tatsächlich eine weitergehende Regelung getroffen, ist die nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 182 Abs. 1 AO 1977 angeordnete Bindungswirkung ohne Rücksicht darauf eingetreten, ob der Feststellungsbescheid rechtmäßig oder rechtswidrig ist (BFH-Urteile vom 8. Mai 1985 I R 108/81, BFHE 144, 40, 43, BStBl II 1985, 523, zu § 218 der Reichsabgabenordnung - AO -; vom 19. Januar 1989 IV R 2/87, BFHE 155, 491, 494, BStBl II 1989, 393; vgl. auch BFH in BFH/NV 1990, 366, 368, beide zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977).
Welche Beurteilungen im Folgebescheid als vorweggenommen angesehen werden müssen, entscheidet sich allerdings allein nach dem (durch Auslegung zu ermittelnden) Inhalt des Grundlagenbescheides, nicht nach den hierzu ergangenen behördeninternen (sog. ESt - 4 -) Mitteilungen (BFH-Urteil vom 9. September 1988 III R 253/84, BFH/NV 1989, 138; BFH in BFH/NV 1990, 366, 368).
5. Das FG ist zwar insofern von diesen Grundsätzen ausgegangen, als es bei seiner Entscheidung darauf abgestellt hat, mit welchem Inhalt der Feststellungsbescheid bekanntgegeben worden ist. Es hat jedoch aus dieser Rechtsansicht Schlußfolgerungen gezogen, die von den festgestellten Tatsachen nicht gedeckt sind.
Festgestellt hat das FG allein den Inhalt der behördeninternen (sog. ESt - 4 -) Mitteilung vom 27. Juni 1984. Hierauf allein bezieht sich auch die Begründung, in der entscheidend auf den Wortlaut des vom Betriebsfinanzamt verwendeten Mitteilungsformulars abgestellt wird. Zum Inhalt des bekanntgegebenen Feststellungsbescheides hat das FG jedoch keine Feststellungen getroffen, möglicherweise, weil es zu Unrecht die behördeninterne (sog. ESt - 4 -) Mitteilung mit dem Feststellungsbescheid gleichgesetzt hat. Der im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen erwähnte Feststellungsbescheid vom 27. Juni 1984 befindet sich nicht in den FA-Akten, die der finanzgerichtlichen Entscheidung zugrunde lagen. Festgestellt i. S. des § 118 Abs. 2 FGO sind zwar auch Schriftstücke, auf die im Urteil durch deren tatsächliche Erwähnung Bezug genommen worden ist (z. B. BFH-Urteil vom 20. August 1986 I R 87/83, BFHE 147, 521, 522, BStBl II 1987, 75). Voraussetzung ist indes, daß die in Bezug genommenen Schriftstücke Bestandteil der Akten sind, die Grundlage für das finanzgerichtliche Urteil waren (z. B. BFH-Urteile vom 27. Mai 1981 I R 123/77, BFHE 133, 412, 418, BStBl II 1982, 211; vom 13. Oktober 1983 VII R 146/82, BFHE 139, 491, 493, BStBl II 1984, 183; Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 118 Anm. 27, m. w. N.). Das FG hätte sich bei folgerichtiger Beachtung der von ihm selbst dargelegten Rechtsansicht (Maßgeblichkeit des bekanntgegebenen Feststellungsbescheides) den Grundlagenbescheid vorlegen lassen müssen. Da dies nicht geschehen ist, war das angefochtene Urteil aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird die noch erforderlichen Feststellungen nachholen.
Fundstellen