Entscheidungsstichwort (Thema)
Wettbewerbswidriger Verstoß der Steuerberaterkammer gegen das berufsrechtliche Werbeverbot durch Auslage und Verteilung von Anschriftenlisten lohnsteuerberatender Mitglieder im Finanzamt. Lohnsteuerberatung II
Leitsatz (amtlich)
Das Auslegen und Verteilen von Merkblättern zur Lohnsteuerberatung durch eine Steuerberaterkammer (auch) in Finanzämtern mit Hinweisen darauf, daß die in den Merkblättern nach Namen, Anschriften und Rufnummern genannten Steuerberater, Steuerbevollmächtigten und Steuerberatungsgesellschaften zur Lohnsteuerberatung bereit seien, ist berufs- und wettbewerbswidrig.
Normenkette
StBerG § 8 Abs. 1, § 57 Abs. 1; UWG § 1
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 11.04.1991; Aktenzeichen 6 U 3494/90) |
LG München I (Urteil vom 26.03.1990; Aktenzeichen 17 HKO 25066/89) |
Tatbestand
Die Beklagte, die Steuerberaterkammer M., hat eine „Bekanntmachung zur Lohnsteuerberatung 1988/1989” veröffentlicht, insbesondere in Finanzämtern ausgelegt und auch verteilt, in der die auf dem Gebiet der Lohnsteuerberatung tätigen Steuerberater und Steuerbevollmächtigten mit ihren Namen, Anschriften und Fernsprechnummern aufgeführt sind.
Der Kläger, ein eingetragener Lohnsteuerhilfeverein, der auf dem Gebiet der Lohnsteuerberatung auch in M. tätig ist, hat darin einen Verstoß gegen das in § 8 Abs. 1, § 57 Abs. 1 StBerG enthaltene Werbeverbot gesehen.
In einem zuvor zwischen den Parteien anhängig gewesenen Rechtsstreit (LG München I, OLG München) hatte der damalige und jetzige Kläger beantragt, der Beklagten zu verbieten, bei Behörden und anderen näher bezeichneten Stellen Merkblätter auszulegen, welche die Namen, Anschriften und Rufnummern von Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten und Steuerberatungsgesellschaften mit dem Hinweis enthielten, daß diese besondere Vorkehrung für Lohnsteuerberatung getroffen hätten. Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil vom 25. Juni 1981 hatte das Oberlandesgericht München die Beklagte unter Abweisung der Klage im übrigen unter Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt, es zu unterlassen, „die folgenden Merkblätter” (folgt Abdruck der beiden konkret angegriffenen Bekanntmachungen) an näher bezeichneten Stellen auszulegen.
Vorliegend hat der Kläger beantragt, der Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten, ihre Bekanntmachung zur Lohnsteuerberatung 1988/1989 oder inhaltlich vergleichbare Bekanntmachungen zu veröffentlichen und zu verbreiten, insbesondere in den Finanzämtern auszulegen; ferner die Beklagte zu verurteilen, die in ihren Räumen, in den Finanzämtern oder an sonstigen für sie noch zugänglichen Orten ausgelegten Exemplare der Bekanntmachung zur Lohnsteuerberatung 1988/1989 zu beseitigen.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat geltend gemacht, wegen des rechtskräftigen Urteils des Oberlandesgerichts München vom 25. Juni 1981 sei die Klage unzulässig. In den angegriffenen Handlungen liege auch kein Verstoß gegen das Werbeverbot, sie entspreche mit ihnen einem Aufklärungsinteresse der Allgemeinheit.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Berufung ist erfolglos geblieben.
Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. 1. Das Berufungsgericht hat die Klage für zulässig erachtet und hierzu ausgeführt: Die Rechtskraft des Urteils des Oberlandesgerichts München vom 25. Juni 1981 stehe der im vorliegenden Verfahren zu treffenden Entscheidung nicht entgegen. Gemäß § 322 Abs. 1 ZPO erstrecke ersteres sich nur auf den durch den damaligen Klageantrag bestimmten unmittelbaren Streitgegenstand, der sich nur auf Merkblätter bezogen habe, die einen Hinweis auf „besondere Vorkehrungen für Lohnsteuerberatung” enthalten hätten. Er sei damit enger gewesen als derjenige im vorliegenden Rechtsstreit, in dem der Klageantrag diese Einschränkung nicht enthalte. Der Umstand, daß das Oberlandesgericht, ausgehend von seiner damaligen Rechtsauffassung, einen dem vorliegenden Klageantrag entsprechenden Antrag abgewiesen hätte, sei ohne rechtliche Bedeutung, da nicht eine bestimmte Rechtsauffassung des entscheidenden Gerichts, sondern der darauf beruhende, durch den vom gestellten Klageantrag, dem Streitgegenstand, begrenzte Subsumtionsschluß in Rechtskraft erwachse. Auch die Teilabweisung der Klage durch das Oberlandesgericht habe nicht zu einer Erweiterung des durch den damaligen Klageantrag bestimmten Streitgegenstands geführt.
2. Die Revision wendet sich hiergegen mit der Rüge, das Berufungsgericht habe nicht beachtet, daß im vorangegangenen Verfahren das Oberlandesgericht die Klage teilweise abgewiesen habe, weil die Merkblätter insoweit nicht zu beanstanden seien, als sie lediglich Namen, Anschriften und Telefonnummern von Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten enthalten hätten. Hiermit sei zugleich die Berechtigung der Beklagten festgestellt worden, entsprechende Listen auszugeben, da zum rechtlich wesentlichen Kern der damals angegriffenen Verletzungshandlung auch die Ausgabe von bloßen Namenslisten gehört habe. Dem kann nicht beigetreten werden.
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß sich die Rechtskraftwirkung eines Urteils nach § 322 Abs. 1 ZPO danach bestimmt, inwieweit über den durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden worden ist, daß sie mithin (nur) den unmittelbaren Streitgegenstand des Urteils erfaßt und damit auf die Rechtsfolge beschränkt ist, die aufgrund eines bestimmten Sachverhalts am Schluß der mündlichen Verhandlung den Gegenstand der Entscheidung bildet (BGH, Urt. v. 17.2.1983 – III ZR 184/81, NJW 1983, 2032 = WM 1983, 454; BGHZ 94, 29, 32). Der Streitgegenstand wird hierbei durch den Klageantrag in Verbindung mit dem das Begehren stützenden Lebenssachverhalt bestimmt (BGH, Urt. v. 2.4.1992 – I ZR 146/90, GRUR 1992, 552, 554 = WRP 1992, 557 – Stundung ohne Aufpreis). Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß keine Identität der Streitgegenstände in dem früheren und dem vorliegenden Rechtsstreit gegeben ist. Der im vorangegangenen Verfahren gestellte Klageantrag hatte nur Merkblätter der Beklagten erfaßt, die (auch) den Hinweis enthielten, daß einzelne Steuerberater und Steuerbevollmächtigte besondere Vorkehrungen für Lohnsteuerberatung getroffen haben. Entgegen der Annahme der Revision ergab sich aus dem dem Tatbestand des Urteils des Oberlandesgerichts München vom 25. Juni 1981 zu entnehmenden Klagevortrag kein Anhalt dafür, daß der dortige (und jetzige) Kläger den Kern der angegriffenen Verletzungshandlung – entgegen der damaligen Antragsfassung – (auch) allein in der bloßen Namensauflistung gesehen haben könnte. Letztere wiederum ist, wie der vorliegend gestellte Klageantrag zeigt (im Zusammenhang mit dem zugrundeliegenden Lebenssachverhalt), Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Der Annahme des Berufungsgerichts, der Streitgegenstand im früheren Verfahren sei enger und deshalb mit demjenigen im vorliegenden Rechtsstreit nicht identisch, steht auch nicht entgegen, daß das Oberlandesgericht in dem in Rede stehenden früheren Urteil die Klage teilweise abgewiesen und hierzu ausgeführt hat, der Hinweis auf den Herausgeber der angegriffenen Bekanntmachung und deren Auslage bei den Finanzämtern seien nicht wettbewerbswidrig. Diese Ausführungen können nur als eine Begründung für die erfolgte Teilabweisung (soweit die Klage über die konkrete Verletzungsform hinausging) verstanden werden, nicht als eine Entscheidung über einen (weiteren) selbständigen Streitgegenstand.
II. 1. Das Berufungsgericht hat zur Begründetheit der Klage ausgeführt: Bei der beanstandeten „Bekanntmachung” handele es sich um eine berufswidrige Werbung. § 8 Abs. 1 Satz 1 StBerG, der auch für Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften gelte, untersage das unaufgeforderte Anbieten der eigenen Dienste oder Dienste Dritter. Nach § 57 Abs. 1 StBerG hätten Steuerberater und Steuerbevollmächtigte ihren Beruf unter anderem unter Verzicht auf berufswidrige Werbung auszuüben. In dem Auslegen und Verteilen der Listen, die die Namen, Anschriften und Telefonnummern von Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten enthielten und in denen darauf hingewiesen werde, daß diese Personen Lohnsteuerberatung durchführten, sehe der angesprochene Verkehr zumindest auch eine Werbeaktion der Beklagten zugunsten der in den Listen namentlich genannten Mitglieder. Dies werde so verstanden, daß letztere für bestimmte Steuerberatungsdienste zur Verfügung stünden und zur Inanspruchnahme dieser Dienste aufgefordert werde. Bei der Auslegung der Listen in Finanzämtern handele es sich um eine gezieltere und effektivere Maßnahme als bei einer Veröffentlichung der Listen in Form einer Werbeanzeige in einer Tageszeitung, weil nicht das allgemeine Publikum, das teilweise an einer Lohnsteuerberatung uninteressiert sei, sondern ein Personenkreis angesprochen werde, bei dem eher ein Bedürfnis nach lohnsteuerrechtlicher Beratung vorhanden sei. Eine derartige Werbung sei durch das Informationsbedürfnis der Allgemeinheit, über die für Lohnsteuerberatung zur Verfügung stehenden Steuerberater und Steuerbevollmächtigten unterrichtet zu werden, nicht gerechtfertigt. Auch auf dem Gebiet der Steuerberatung bezwecke das Verbot berufswidriger Werbung, die Berufsangehörigen möglichst nur durch Leistung werben zu lassen, um so einer Verfälschung des Berufsbildes durch reklamehafte Werbung entgegenzuwirken. Dem entspreche die werbende Herausstellung der in den Listen genannten Personen vor Lohnsteuerhilfevereinen wie dem Kläger nicht. Nach Nr. 33 der Richtlinien der Bundessteuerberaterkammer, die bei der Beurteilung der Berufspflichten der freien steuerberatenden Berufe als wesentliche Erkenntnisquelle und Auslegungshilfe Berücksichtigung zu finden hätten, gelte als berufswidrige Werbung jedes eigene oder geduldete fremde Verhalten, insbesondere jeder unmittelbare oder mittelbare Hinweis auch in Veröffentlichungen und bei Veranstaltungen jeder Art, das bei verständiger Würdigung als direkte oder indirekte Anregung oder Aufforderung zur Auftragsanbahnung verstanden werden könne. Dem Interesse der steuerberatenden Berufe an der Aufklärung der Öffentlichkeit über ihre berufliche Tätigkeit einerseits und dem korrespondierenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit andererseits sei durch die Regelungen in Nr. 36 und 37 der Richtlinien der Bundessteuerberaterkammer ausreichend Rechnung getragen.
2. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
a) § 8 Abs. 1 StBerG untersagt das unaufgeforderte Anbieten der eigenen Dienste oder der Dienste Dritter zur geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen. Dieses berufsrechtliche Werbeverbot gilt für alle steuerberatenden Berufe, also auch für die hier in Rede stehenden Steuerberater, Steuerbevollmächtigten und Steuerberatungsgesellschaften und ist auch von den Steuerberaterkammern bei ihren Veröffentlichungen und Verlautbarungen gegenüber der Allgemeinheit zu beachten (vgl. BGHZ 90, 229, 236 f. – Lohnsteuerberatung I). Darüber hinaus gehört es nach § 57 Abs. 1 StBerG zu den Berufspflichten der Steuerberater, Steuerbevollmächtigten und Steuerberatungsgesellschaften, auf berufswidrige Werbung zu verzichten. Was in diesem Sinn berufswidrig ist, ist im Gesetz nicht näher geregelt und muß im Einzelfall dem gesetzgeberischen Zweck des Werbeverbots entnommen werden (BGHZ aaO 237). Hiervon ist das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen.
b) Die Beurteilung der angegriffenen Maßnahmen durch das Berufungsgericht als berufswidrige Werbemaßnahme im vorerwähnten Sinn kann aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der angesprochene Verkehr im Auslegen und Verteilen der Listen zumindest auch eine Werbeaktion der Beklagten zugunsten ihrer Mitglieder sieht. Es hat weiter angenommen, im Auslegen der Listen liege eine direkte oder indirekte Anregung oder Aufforderung zur Auftragsanbahnung. Diese Beurteilung kann nicht als erfahrungswidrig oder sonst als rechtsfehlerhaft angesehen werden. Werbemaßnahmen, die – wie hier – in der werbenden Herausstellung namentlich genannter Steuerberater und anderer Kammerangehörigen (auch) in Finanzämtern vor weiteren ebenfalls zur Lohnsteuerberatung befugten Personen wie Rechtsanwälte und Lohnsteuerhilfevereinen bestehen, entsprechen nicht dem allein durch individuelle Leistung geprägten Berufsbild der rechts- und steuerberatenden Berufe. Das darin liegende, nicht auf Veranlassung potentieller Klienten zurückgehende direkte Herantreten an einen unbestimmten Personenkreis zwecks Auftragsanbahnung steht mit dem Verbot berufswidriger Werbung (§ 8 Abs. 1, § 57 Abs. 1 StBerG) und zugleich mit § 1 UWG (BGHZ 90, 232, 242 – Lohnsteuerberatung I) nicht in Einklang. Das Informationsinteresse der Allgemeinheit oder potentieller Klienten, über die für Lohnsteuerberatung zur Verfügung stehenden Steuerberater unterrichtet zu werden, rechtfertigt ein werbendes Vorgehen wie das vorliegend angegriffene nicht. Ihm kann auf andere Weise genügt werden, so mit Hinweisen darauf, daß auf Anforderung Namenslisten zur Verfügung gestellt werden, oder mittels entsprechender Hinweise auf den Praxisschildern der Steuerberater, Steuerbevollmächtigten und Steuerberatungsgesellschaften. Auch das Bundesverfassungsgericht hat – in seiner Rechtsprechung zur Anwaltswerbung – das unaufgeforderte direkte Herantreten an potentielle Mandanten als berufswidrige Werbung erachtet (BVerfG NJW 1992, 1613, 1614) und lediglich die Teilnahme an einem Anwaltssuchservice, bei dem – anders als nach dem vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt – die Initiative zur Kontaktaufnahme von dem Rechtsuchenden ausging, für mit dem Berufsbild des Rechtsanwalts vereinbar gehalten (BVerfG aaO).
Die von der Revision des weiteren herangezogene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Werbeverbot von Lohnsteuerhilfevereinen in gemeindlichen Mitteilungsblättern (BVerfG NJW 1992, 550) enthält für die Beurteilung berufswidriger Werbung keine für den vorliegenden Streitfall maßgeblichen Erwägungen.
III. Danach war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Fundstellen
BB 1993, 1611 |
NJW 1993, 2938 |
GRUR 1993, 837 |
ZIP 1993, 1257 |