Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Verstoß gegen das Steuergeheimnis bei Weitergabe von Rechnungen an die Strafverfolgungsbehörde. Finanzrechtsweg. kein Anspruch auf Kopie der Akten bei Strafvollzug.
Leitsatz (redaktionell)
1. Das FA ist nach § 30 Abs. 4 Nr. 4 b AO zur Herausgabe von Rechnungen an die Strafverfolgungsbehörde berechtigt, die der Steuerpflichtige zum Nachweis eines – tatsächlich nicht gegebenen – Anspruchs auf Vorsteuererstattung eingereicht hat. Voraussetzung ist, dass die Wirtschaftsstraftat nach ihrer Begehungsweise oder wegen des Umfangs des durch sie verursachten Schadens geeignet ist, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören. Dies ist bei einer Vielzahl von Schadensfällen (120) im gesamten Bundesgebiet und einem hohen Schadensaufkommen (455.436 Euro) der Fall.
2. Dagegen spricht nicht, dass die Sonderzuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer nicht gegeben ist.
3. Eine Offenbarung der Rechnungskopien ist auch nach § 30 Abs. 5 AO zulässig, wenn diese die falsche Behauptung zum Inhalt haben, dass die den Rechnungen zugrunde liegenden Leistungen für unternehmerische Zwecke bezogen wurden.
4. Bei dem Rechtsstreit, ob das FA berechtigt war, Rechnungskopien des Klägers an die Polizeibehörde herauszugeben, ist der Finanzgerichtsweg gegeben, wenn das FA bei der Herausgabe der Rechnungskopien nicht die Aufgabe einer Strafverfolgungsbehörde wahrgenommen hat.
5. Der Kläger hat auch dann keinen Anspruch auf Kopie der gesamten Akten, wenn sich der Kläger im geschlossenen Strafvollzug befindet.
Normenkette
AO § 30 Abs. 4 Nr. 5b, Abs. 5, § 3; FGO § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3; GVG § 74c; StGB § 263
Nachgehend
BFH (Beschluss vom 02.09.2014; Aktenzeichen V B 10/14) |
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Tatbestand
Streitig ist, ob das beklagte Finanzamt (der Beklagte) mit der Weitergabe von Unterlagen, die der Kläger bei ihm eingereicht hat, gegen das Steuergeheimnis verstoßen hat.
Nach den rechtskräftig gewordenen tatrichterlichen Feststellungen des Landgerichts X in dessen Urteil vom … ist der Kläger wegen Betruges seit seinem 18. Lebensjahr vielfach vorbestraft. Im … meldete er bei der Gemeinde Z ein Gewerbe unter dem Namen „C” an. Dabei gab er als Anschrift die Adresse seines elterlichen Einfamilienhauses an, in dem er seinerzeit lediglich im Keller ein Zimmer bewohnte. Aus dieser Geschäftstätigkeit erzielte der Kläger in der Folgezeit keinerlei Einnahmen; bis … meldete der Kläger beim Beklagten lediglich Ausgangsumsätze in Höhe von insgesamt 70 EUR an.
Spätestens im … fasste der Kläger den Entschluss, ohne persönlichen Kontakt unter Ausnutzung der modernen Kommunikationsmittel per e-mail, Telefax und auch fernmündlich von seinen Wohnräumlichkeiten aus bei einer Vielzahl von Verlagshäusern im gesamten Bundesgebiet die Veröffentlichung von Stellenanzeigen in Auftrag zu geben. Dabei war dem seinerzeit vermögenslosen und überschuldeten Kläger bekannt, dass er diese Anzeigen nicht bezahlen konnte. Sein Motiv war es zum einen, seinen Firmennamen überregional bekannt zu machen, um – seiner Einlassung zufolge – auf diese Weise künftig Aufträge akquirieren zu können; zugleich war es ihm aber auch – so das Landgericht X – „aufgrund seiner narzisstischen Persönlichkeit ein inneres Bedürfnis, als scheinbar erfolgreicher Unternehmer überregional aufzutreten. Daneben ging es dem [Kläger] auch darum, die ihm nach Veröffentlichung der Zeitungsannoncen hierfür übersandten schriftlichen Rechnungen der Verlagshäuser jeweils zum Monatsersten des Folgemonats im Rahmen eines Umsatzsteuererstattungsantrages gegenüber dem örtlich zuständigen [Beklagten] zu verwenden”.
Von Ende … an gingen bei einer Vielzahl von Verlagshäusern Aufträge zur Veröffentlichung von Stellenanzeigen nach einem gleichlautenden Muster ein, in denen jeweils der Kläger als Auftraggeber angegeben war. Im Vertrauen auf die Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit des Klägers, den sie als ihren Vertragspartner ansahen, druckten diese Verlagshäuser die Stellenanzeigen in ihren jeweiligen Druckerzeugnissen ab. Dadurch entstand aufgrund von 120 zur Verurteilung durch das Landgericht X gelangten Aufträgen ein Gesamtschaden in Höhe von mindestens 455.436 EUR. Für die ihnen erteilten Aufträge erstellten die Verlagshäuser Rechnungen, die sie jeweils an den Kläger unter dessen Wohnanschrift in Z versandten.
Am Abend des 31. … 20… ging bei der Finanzverwaltung auf elektronischem Wege eine Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat … auf den Namen des Klägers ein. Darin wurde – bei fehlenden Ausgangsumsätzen – ein Gesamtbetrag an abziehbarer Vorsteuer in Höhe von gut 80.000 EUR angemeldet. Am 3. … 20… ging beim Beklagten zudem ein vom Kläger am 1. … 20… unterzeichnetes Schreiben ein, dem sämtliche Rechnungen zur eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldung in Kopie beigefügt waren. Dabei handelte es sich um die an den Kläger versandten Rechnungen des Vormonats für die in Auftrag gegebenen Stellenanzeigen. Nach Darstellung des Beklagten in der ...