rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Werbungskostenabzug für das häusliche Arbeitszimmer einer schwerbehinderten Steuerpflichtigen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht die ganze Woche ihren Arbeitsplatz beim Arbeitgeber nutzen kann
Leitsatz (redaktionell)
1. Kann die schwerbehinderte Steueuerpflichtige ihren grundsätzlich am Betriebssitz des Arbeitgebers bestehenden Arbeitsplatz aus gesundheitlichen Gründen nicht die ganze Arbeitswoche nutzen und erbringt sie deswegen aus gesundheitlichen Gründen ihre Arbeitsleistung an einem oder zwei Arbeitstagen in der Woche zu Hause in einem häuslichen Arbeitszimmer, so steht ihr nicht uneingeschränkt ein anderer Arbeitsplatz im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG zur Verfügung.
2. Aus dem Tatbestandsmerkmal des anderen, „zur Verfügung” stehenden Arbeitsplatzes in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG folgt, dass es dem Steuerpflichtigen auch zugemutet werden können muss, diesen arbeitstäglich zu nutzen. Dem Begriff der Verfügbarkeit wohnt ein subjektives Element inne, welches es gebietet, auf die nach objektiven Kriterien zu bestimmende Nutzbarkeit des Arbeitsplatzes durch den jeweiligen Steuerpflichtigen abzustellen.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b Sätze 1-3, § 9 Abs. 5
Tenor
Die Einkommensteuerbescheide für 2018 und 2019, beide vom 20.07.2020 und in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.09.2021, werden dahingehend geändert, dass bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Aufwendungen in Höhe von 1.250 EUR für ein häusliches Arbeitszimmer als Werbungskosten berücksichtigt werden. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer bei den Werbungskosten.
Die Kläger werden als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist schwer behindert im Sinne von § 2 Sozialgesetzbuch – SGB – X. Der Grad der Behinderung ist mit 70 sowie den Merkzeichen G und aG festgestellt. Sie ist als Fachangestellte für Arbeitsförderung nicht selbständig tätig.
In den Streitjahren vereinbarte die Klägerin mit ihrem Arbeitgeber eine alternierende Telearbeit. So arbeitete sie an vier Tagen in der Woche am Betriebssitz ihres Arbeitgebers und an einem oder zwei weiteren Tagen in der Woche in ihrem häuslichen Arbeitszimmer. Der Arbeitsvertrag enthält eine Klausel, wonach die Klägerin weiterhin alternierende Telearbeit in Anspruch nimmt, da ihre Behinderung es „notwendig macht, die Arbeitsleistung teilweise von zu Hause aus zu erbringen, um darüber die volle Beschäftigungsfähigkeit sicherzustellen.”
Mit ihrer Einkommensteuererklärung für 2018 beantragten die Kläger für die Ehefrau die Berücksichtigung der Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer mit dem Höchstbetrag nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b S. 3 Einkommensteuergesetz – EStG –. Sie gaben an, dass der Klägerin für die Arbeit ein anderer Arbeitsplatz nicht zur Verfügung stehe. Sie, die Klägerin, leide unter einer sehr seltenen Erbkrankheit, aus der sie sich mittels zweier Gehirnoperationen und langwierigen Therapien in das Leben „zurückgekämpft” habe. Mithilfe der Einnahme von Medikamenten könne sie nunmehr ein halbwegs normales Leben führen, werde aber voraussichtlich auf Dauer Gehprobleme haben. Sie sei aufgrund von Einschränkungen ihres Sichtfeldes auch nicht in der Lage, ein Fahrzeug zu führen. Angesichts dieser Umstände erleichtere ihr eine Tätigkeit im Home-Office das Leben ganz erheblich und beuge schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen vor. Die im Einkommensteuergesetz benannten Voraussetzungen für die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer seien in ihrem Fall irrelevant, da es sich nicht um absolute Bedingungen oder Voraussetzungen handele. Vielmehr zielten die tatbestandlichen Merkmale darauf ab, den Begriff der Notwendigkeit eines Arbeitszimmers zu objektivieren.
Der Beklagte erließ am 27.05.2019 den Einkommensteuerbescheid für 2018, mit dem er die Aufwendungen für das Arbeitszimmer nicht berücksichtigte. Hiergegen wandten sich die Kläger mit ihrem Einspruch, zu dessen Begründung sie ausführten, dass ein offensichtlicher Widerspruch zwischen dem Sonderfall des gesundheitlich notwendigen Arbeitszimmers und dem in den Vorgaben des § 4 Abs. 5 EStG reflektierten Willen des Gesetzgebers, steuerlichen Missbrauch zu verhindern, bestehe.
Mit Einspruchsentscheidung vom 16.09.2021 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Er begründete dies damit, dass das Arbeitszimmer unstreitig nicht den Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung der Klägerin darstelle. Zudem habe ihr fü...