Entscheidungsstichwort (Thema)
Erkenntnis über Unrichtigkeit der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung keine neue Tatsache i. S. d. § 173 Abs. 1 AO). Begründung des Einspruchs mit der unrichtigen lohnsteuerlichen Beurteilung des Arbeitgebers bei vollständiger Tatsachenkenntnis des FA kein unlauteres Mittel nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. c AO
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Umstand, dass der Arbeitgeber die Einzahlung in die Direktversicherung nicht bei der Höhe der außerordentlichen Einkünfte nach § 34 Abs. 1 EStG berücksichtigt hat, sondern vom Bruttoarbeitslohn des Steuerpflichtigen abgezogen und er dementsprechend die Höhe des Bruttoarbeitslohns und die Höhe der ermäßigt besteuerten Entschädigung des Steuerpflichtigen in der elektronisch übermittelten Lohnsteuerbescheinigung falsch ausgewiesen hat, ist als rechtliche Schlussfolgerung keine neue Tatsache i. S. d. § 173 AO.
2. Hat das FA trotz unrichtiger elektronischer Lohnsteuerbescheinigung die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit zutreffend berücksichtigt, da der Steuerpflichtige seiner Verpflichtung zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Offenlegung der für die Besteuerung maßgeblichen Tatsachen nachgekommen ist, bedient sich der Steuerpflichtige oder sein steuerlicher Bevollmächtigter bei Einlegung des Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid nicht unlauterer Mittel i. S. d. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. c AO, wenn sie bei vollständiger Tatsachenkenntnis des FA (erneut) das Ergebnis der unzutreffenden lohnsteuerrechtlichen Schlussfolgerungen des Arbeitgebers zur Einspruchsbegründung vortragen.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. c; EStG § 41b Abs. 1, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 34 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Der Einkommensteuerbescheid 2007 vom 08. April 2010 und die Einspruchsentscheidung vom 26. Mai 2011 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf jedoch die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des zu erstattenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid 2007 vom 04. Februar 2009 geändert werden kann.
Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute, die im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen. Die Klägerin war im Streitjahr vom 01. Januar bis zum 30. Juni bei der Wohnungsbaugesellschaft M. mbH (GmbH) und vom 01. Juli bis zum 31. Dezember bei der Steuerberaterin X in M. beschäftigt. In ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung erklärten die Kläger in der Anlage N zu den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit einen Bruttoarbeitslohn i.H.v. ./. 20.201 EUR und Entschädigungen i.H.v. 174.034 EUR. Die Arbeitgeber der Klägerin übermittelten dem Beklagten (dem Finanzamt – FA –) elektronisch für die Zeit vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2007 einen Bruttoarbeitslohn von ./. 26.980,08 EUR und einen ermäßigt besteuerten Arbeitslohn i.H.v. 174.034,28 EUR und vom 01. Juli bis zum 31. Dezember einen Bruttoarbeitslohn i.H.v. 6.920 EUR.
Nachdem das FA die Kläger aufgefordert hatte, Unterlagen zur Berechnung und Zahlungsweise des ermäßigt besteuerten Arbeitslohns der Klägerin und eine Aufstellung einzureichen, aus der sich der negative Bruttoarbeitslohn der Klägerin ergebe, reichten die Kläger mit Schriftsatz vom 23. September 2008 einen Aufhebungsvertrag der Klägerin mit der GmbH vom 06. Juni 2007 ein, nach dem die Klägerin aus Anlass der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2007 eine Abfindung von 174.034,28 EUR erhält, von der ein Teilbetrag von 50.017 EUR in eine Direktversicherung für die Klägerin einbezahlt werden sollte. Des Weiteren reichten die Kläger eine Bescheinigung der GmbH vom 19. September 2008 mit einer „Aufstellung der bescheinigten Summe in der Lohnsteuerbescheinigung Zeile 3” ein. Danach hat die GmbH bei der Berechnung des in Zeile 3 der Lohnsteuerbescheinigung eingetragenen Bruttoarbeitslohns i.H.v. ./. 26.980,08 EUR eine „Einzahlung aus Abfindung in Direktversicherung” i.H.v. ./. 50.017 EUR als Abzugsposten berücksichtigt. Wegen der Einzelheiten wird auf die durch die Kläger mit Schriftsatz vom 23. September 2008 eingereichten Unterlagen verwiesen.
Mit Einkommensteuerbescheid vom 25. November 2008 setzte daraufhin das FA die Einkommensteuer auf 37.555 EUR fest. In den Erläuterungen des Bescheides wies das FA darauf hin, dass der Bruttoarbeitslohn der Klägerin 29.956 EUR betrage. Der Betrag für die Direktversicherung i.H.v. 50.017 EUR sei nach § 3 Nr. 63 Einkommensteuergesetz (EStG) steuerfrei; er sei von der Abfindung abgezogen worden, sodass 124.017 EUR als ermäßigt besteuerter Arbeitslohn zu berücksichtigen seien. Ein Abzug des steuerfreien Betrages vom Bruttoarbeitslohn sei nicht vorzunehmen, da die Zahlungen im Rahmen der Auflösung d...