Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderungsbefugnis wegen offenbarer Unrichtigkeit – Nichtberücksichtigung des Arbeitslohns aus anderem Bundesland – Übernahme aus der landesweiten „Übersicht eDaten” ohne Abgleich mit der handschriftlichen ESt-Erklärung
Leitsatz (redaktionell)
- Berücksichtigt das FA in Abweichung von der handschriftlich ausgefüllten ESt-Erklärung lediglich einen Teil des deklarierten Bruttoarbeitslohns, weil der per elektronischer Lohnsteuerbescheinigung übermittelte Arbeitslohn aus einem weiteren Arbeitsverhältnis mit einem außerhalb von Nordrhein-Westfalen ansässigen Arbeitgeber nicht in der zur Durchführung der Veranlagung übernommenen landesweiten „Übersicht eDaten” (wohl aber in der bundesweiten Datenübersicht) angezeigt wird und ein Abgleich mit der Steuererklärung unterbleibt, beruht die nicht vollständige Erfassung des Arbeitslohns auf einer die Änderung der bestandskräftig gewordenen Steuerfestsetzung rechtfertigenden „ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit” im Sinne des § 129 AO.
- Die oberflächliche Behandlung eines Steuerfalls hindert eine Berichtigung nach dieser Vorschrift nur, wenn sich die Unachtsamkeiten bei der Bearbeitung des Falls häufen und Zweifeln, die sich aufdrängen mussten, nicht nachgegangen wird (vgl. BFH-Urteil vom 04.11.1992 - XI R 40/91, BFH/NV 1993, 509).
- Daran fehlt es, wenn der Sachbearbeiter mangels eines entsprechenden programmgesteuerten Prüfhinweises überhaupt nicht erkannt hat, dass die aus der elektronischen Speicherung übernommenen Daten von den erklärten Werten abwichen.
Normenkette
AO § 129 S. 1
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 129 AO vorliegen.
Die Kläger sind Ehegatten und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger bezog im Streitjahr 2013 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus zwei unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen, nämlich zum einen von der in NRW ansässigen Firma „A GmbH” einen Bruttoarbeitslohn i.H.v. 1.685,70 € für den Zeitraum 11.02.-05.03.2013 und zum anderen von der in Niedersachsen ansässigen Firma B GmbH einen Bruttoarbeitslohn von 17.717,74 € für den Zeitraum 11.03. - 31.12.2013.
In ihrer handschriftlich ausgefüllten ESt-Erklärung für das Jahr 2013 trugen die Kläger auf der Seite 1 der den Ehemann betreffenden Anlage N zutreffend einen Bruttoarbeitslohn von 19.403 € ein. Auf Seite 2 wurden u.a. Fahrten zu den beiden Arbeitgebern als Werbungskosten erklärt. Die Anlage N enthält keinerlei Anhaltspunkte für eine Bearbeitung durch den Beklagten (wie z.B. Häkchen oder Durchstreichungen).
Mit Bescheid vom 07.10.2014 wurde die Einkommensteuer 2013 auf 0,00 € festgesetzt. Dabei berücksichtigte der Beklagte für den Ehemann lediglich den bei der Firma „A GmbH” erzielten Bruttoarbeitslohn von 1.685 € nebst der hierauf einbehaltenen Lohnsteuer und der hierauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge. Zudem wurde der Werbungskostenpauschbetrag von 1.000 € angesetzt.
Mit Bescheid vom 24.02.2016 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2013 unter Verweis auf § 129 AO auf 2.404 € fest. In Abweichung zu dem Ausgangsbescheid wurde für den Kläger nunmehr auch der bei der Fa. B GmbH erzielte Bruttoarbeitslohn nebst einbehaltener Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen erfasst. Die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit wurden mit 18.403 € angesetzt (Bruttoarbeitslohn 19.403 € abzüglich Werbungskostenpauschbetrag 1.000 €).
Die Kläger haben sodann Einspruch eingelegt.
Bei den Vorgängen des Einspruchsverfahrens befinden sich Ausdrucke beider elektronischer Lohnsteuerbescheinigungen aus dem Datensystem des Beklagten. Auf dem die Fa. B GmbH betreffenden Ausdruck befindet sich folgender handschriftlicher Vermerk:
„Die Mitteilung wurde nicht landesweit sondern nur bundesweit übermittelt. Aus dem Grund wurde sie bei der Veranlagung nicht zugeordnet.
Diese elektr. Mitteilung lag bei der Veranlagung nicht vor.
Bei der Bearbeitung der Erklärung für 2014 ist der Bearbeiterin aufgefallen, dass das Beschäftigungsverhältnis bereits 2013 bestanden haben musste.
Bei der bundesweiten Suche wurde sie fündig (Sitz des AG außerhalb NRW).”
Zudem befindet sich in der Akte ein Ausdruck aus der EDV des Beklagten, aus dem ersichtlich ist, dass für das Jahr 2013 keine Prüfberechnungen mit Risikohinweisen erfolgt sind.
Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 12.05.2016 als unbegründet zurückgewiesen. Es heißt dort u.a. wie folgt:
„Um eine Steuererklärung bearbeiten zu können, wird die Eingabemaske für die Festsetzungsdaten aufgerufen. Es erfolgt eine landesweite programmgesteuerte Suche nach vorliegenden elektronischen Mitteilungen im „eSpeicher”. Die Ergebnisse werden in der „Übersicht eDaten” angezeigt.
Bei der Bearbeitung der Steuererklärung übernahm der Bearbeiter mit einem Mausklick, ohne die Werte der Steuererklärung zuvor zu erfassen, den elektronisch übermittelten Arbeitslohn des Ehemanns aus der ...