Entscheidungsstichwort (Thema)
Aktivierung bestrittener Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche aus dem Betrieb von Geldspielautomaten
Leitsatz (redaktionell)
1. Bestrittene Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche im Zusammenhang mit der aus der unmittelbaren Anwendung des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388 EWG resultierenden Steuerfreiheit des Betriebs von Geldspielautomaten sind zum ersten Bilanzstichtag zu aktivieren, der auf die vorbehaltlose Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 12. Mai 2005 V R 7/02 (BStBl II 2005, 617) im BStBl II vom 30. September 2005 folgt (vgl. BFH-Urteil vom 31. August 2011 X R 19/10, BStBl II 2012, 190).
2. Wird der Betrieb vorher aufgegeben, ist der tatsächliche Zahlungseingang auf die Umsatzsteuer-Erstattungsforderung ein allein die Höhe des Betriebsaufgabegewinns beeinflussendes rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (entgegen BMF-Schreiben vom 5. Juli 2006, BStBl I 2006, 418, Tz. 7).
3. Hat das Finanzgericht dagegen in einem Zwischenurteil entschieden, dass der Zufluss derartiger Umsatzsteuer-Erstattungszahlungen im der Betriebsaufgabe nachfolgenden Insolvenzverfahren nicht Teil des Aufgabegewinns, sondern Gegenstand nachträglicher, nach § 4 Abs. 3 EStG zu ermittelnder Einkünfte gemäß § 24 Nr. 2 i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ist, ist es hieran bei der Entscheidung im Endurteil gebunden.
4. Bei diesen nachträglichen gewerblichen Einkünften handelt es sich - mit Ausnahme der Erstattungszinsen - um Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten i. S. von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG, so dass die darauf entfallende Einkommensteuer ist gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG zu berechnen ist (vgl. BFH-Urteile vom 25. Februar 2014 X R 10/12, BStBl II 2014, 668, und – betreffend die Erstattungszinsen - vom 25. September 2014 III R 5/12, BStBl II 2015, 220).
Die Einkommensteuer auf diese nachträglichen gewerblichen Einkünfte ist Masseverbindlichkeit i. S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da der Zufluss der Betriebseinnahmen durch Aufrechnung gegen Insolvenzforderungen und Auskehrung des Restguthabens auf dem Antrag des Insolvenzverwalters zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen beruht und somit unmittelbar auf dessen Handlungen zurückgeht.
6. Unerheblich ist, dass die Erstattungen, soweit sie mit Insolvenzforderungen verrechnet wurden, tatsächlich nicht in die Insolvenzmasse gelangt sind (vgl. BFH-Urteil vom 16. Mai 2013 IV R 23/11, BStBl II 2013, 759).
7. Hat der Insolvenzverwalter vor der Festsetzung der geschuldeten Steuer Masseunzulänglichkeit angezeigt, darf ein Leistungsgebot (§ 254 Abs. 1 Satz 1 AO) nicht ergehen (vgl. BFH-Beschluss vom 29. März 2016 VII E 10/15, BFH/NV 2016, 1068).
Normenkette
InsO §§ 38, 55 Abs. 1 Nr. 1, § 210; EStG § 4 Abs. 3, § 5 Abs. 1 S. 1, § 11 Abs. 1, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 16 Abs. 3 S. 1, § 24 Nr. 2, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 4; AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 254 Abs. 1 S. 1; FGO § 155 S. 1; ZPO § 318; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil B Buchst.
Streitjahr(e)
2006
Nachgehend
Tatbestand
Strittig ist, ob der Beklagte aufgrund einer Aufrechnung von Steueransprüchen für das Streitjahr (2006) Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit durch einen an den Kläger gerichteten Einkommensteuerbescheid festsetzen durfte.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn A, der Inhaber mehrerer Spielhallen mit Geldspielgeräten war. Die Spielhallen wurden am 26. August 2004 auf das Betreiben des Finanzamts (FA) B vom Ordnungsamt der Stadt C geschlossen. Anlass dafür waren Steuerschulden von Herrn A. Das Ordnungsamt widerrief aufgrund fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit die Erlaubnis zum Betrieb der Spielhallen. Herr A gab seine Erlaubnisurkunden zurück.
Das FA B hatte für die Jahre 1999 bis 2002 Umsatzsteuer aufgrund des Betriebs der Geldspielgeräte unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt. Die Umsatzsteuerverbindlichkeiten für diese Jahre waren vollständig getilgt, als die AOK Rheinland am 20. Oktober 2004 wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen von Herrn A beantragte. Der Kläger wurde zunächst im Insolvenzeröffnungsverfahren zum vorläufigen Insolvenzverwalter und sodann - nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen von Herrn A am 17. März 2005 - zum Insolvenzverwalter ernannt. Das FA B meldete am 11. April 2005 unter der St.-Nr. ###/####/#### rückständige Steuern in Höhe von 52.101,85 Euro und am 13. April 2005 unter der St.-Nr. ###/####/#### rückständige Steuern in Höhe von 183.506,56 Euro zur Insolvenztabelle an. Diese Anmeldungen verminderten sich später aufgrund von Änderungen der festgesetzten Steuern, der Herabsetzung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen, der Berechnung der Einkommensteuer für 2004 und der Verrechnung eines Versteigerungserlöses auf 25.175,62 Euro (St.-Nr. ###/####/####) bzw. 135.195,78 Euro (St.-Nr. ###/####/####).
Auf Antrag des Klägers...