Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit bei Verwertung durch absonderungsberechtigten Gläubiger
Hintergrund: Masseverbindlichkeiten
Masseverbindlichkeiten sind u.a. die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder „in anderer Weise“ durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO).
Verwertung der sicherungsübereigneten beweglichen Wirtschaftsgüter durch die Kreissparkasse
Am 1.11.2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Insolvenzschuldners I eröffnet, der als Einzelunternehmer einen metallverarbeitenden Gewerbebetrieb unterhielt. Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.
Mit Schreiben vom 29.11.2012 überließ der Kläger der Kreissparkasse die Verwertung der ihr sicherungsübereigneten beweglichen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens des Insolvenzschuldners I und bat darum, den Verwertungserlös ihm gegenüber abzurechnen und den Umsatzsteueranteil sowie den Feststellungskostenbeitrag auszukehren.
Im Rahmen der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen des Streitjahres 2013 ermittelte das Finanzamt (FA) aus dem Verkauf des beweglichen Betriebsvermögens einen Gewinn und kündigte an, ihn der Masse zuzurechnen. Es erließ zwei Bescheide, mit welchen es unter Berücksichtigung von Einkünften des Insolvenzschuldners I aus Gewerbebetrieb zum einen die (anteilige) Einkommensteuer betreffend die Masse gegenüber dem Kläger und zum anderen die (anteilige) Einkommensteuer betreffend das insolvenzfreie Vermögen gegenüber dem Insolvenzschuldners I sowie seiner Ehefrau (E) – durch Bekanntgabe gegenüber I – festsetzte. Dabei teilte das FA den Gesamtbetrag der Einkommensteuer im Verhältnis der Masseeinkünfte zu den Einkünften im insolvenzfreien Vermögen auf.
Nach Abgabe der Steuererklärung änderte das FA die Einkommensteuerbescheide für 2013 aufgrund weiterer, nachträglich bekanntgewordener Verkäufe des sicherungsübereigneten Betriebsvermögens dahingehend ab, dass es nunmehr Einkünfte des Insolvenzschuldners I aus Gewerbebetrieb in Höhe von 63.657 EUR zugrunde legte, wodurch sich eine entsprechende Neuaufteilung der Gesamtsteuerschuld und eine geänderte Festsetzung der anteiligen Einkommensteuer in den an den Kläger (als Insolvenzverwalter) sowie an I und E gerichteten Einkommensteuerbescheiden ergab.
Einspruch und Klage waren erfolglos
Die nach erfolglosen Einspruchsverfahren erhobenen Klagen des Klägers sowie des I wurden mit Beschluss des FG abgewiesen.
Die vom Kläger erklärte Überlassung des Sicherungsguts zur Verwertung durch die absonderungsberechtigte Kreissparkasse nach § 170 Abs. 2 InsO stelle eine Maßnahme des Insolvenzverwalters i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar. Darin liege keine echte Freigabe im Sinne einer Entlassung der Gegenstände aus dem Insolvenzbeschlag, da es hierfür einer entsprechenden Erklärung des Klägers gegenüber I bedurft hätte. Es handele sich um Masseverbindlichkeiten, da der Besteuerungstatbestand erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Verkauf des beweglichen Anlagevermögens verwirklicht worden sei. Ob die Veräußerung durch den Insolvenzverwalter selbst oder durch einen zur Verwertung befugten absonderungsberechtigten Gläubiger vorgenommen werde, sei nicht entscheidend.
Hiergegen macht der Kläger mit seiner Revision im Kern geltend, im Hinblick auf seine Haftungsrisiken (§ 60 InsO) müsse für den Insolvenzverwalter stets eine – die Masse schützende – Handlungsalternative bestehen. Vorliegend habe außer der Eigenverwertung oder der Überlassung der Verwertung an den Sicherungsgläubiger gemäß § 170 Abs. 2 InsO für ihn keine andere Möglichkeit bestanden, die in Rede stehenden Wirtschaftsgüter "loszuwerden". Eine Freigabe der Wirtschaftsgüter aus dem Insolvenzbeschlag sei nicht möglich gewesen. Bezüglich der sicherungsübereigneten Gegenstände habe die Kreissparkasse die "Aussonderung" verlangen können und dies auch getan. Mangels Eigentums habe I keinen Herausgabeanspruch gehabt.
Entscheidung: BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen
Die Revision wurde vom BFH als unbegründet zurückgewiesen. Das FA hat zu Recht die Einkommensteuer, soweit sie auf den Gewinn des I aus der Veräußerung betrieblicher Wirtschaftsgüter entfällt, in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid für 2013 als gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter festzusetzende Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfasst.
Hinweise des BFH:
- Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründete Steueransprüche sind zur Insolvenztabelle anzumelden. Später begründete Steueransprüche, die als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO zu qualifizieren sind, sind gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Steuerbescheid festzusetzen. Alle sonstigen Ansprüche sind insolvenzfrei. Die einheitliche Einkommensteuerschuld ist gegebenenfalls in eine Insolvenzforderung, eine Masseforderung und eine insolvenzfreie Forderung aufzuteilen.
- Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und (sonstigen) Masseverbindlichkeiten richtet sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Entscheidend ist dabei, ob und wann ein Besteuerungstatbestand nach seiner Art und Höhe tatbestandlich verwirklicht und damit die Steuerforderung insolvenzrechtlich begründet worden ist.
- Für die insolvenzrechtliche Begründung des Einkommensteueranspruchs kommt es deshalb darauf an, ob der einzelne (unselbständige) Besteuerungstatbestand – insbesondere die Erzielung von Einkünften nach § 2 Abs. 1 EStG – vor oder nach Insolvenzeröffnung verwirklicht wurde. Entscheidend ist, wann der Tatbestand, an den die Besteuerung knüpft, vollständig verwirklicht ist.
- Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat das FA zu Recht die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Einkommensteuer der Kategorie der Masseverbindlichkeit zugeordnet und dementsprechend gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter durch einen (gegenständlich beschränkten) Steuerbescheid festgesetzt.
- Im Streitfall ist nämlich der in Rede stehende Besteuerungstatbestand – Einkünfte aus Gewerbebetrieb durch Veräußerung der zum Betriebsvermögen des I gehörenden beweglichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG) – nach Insolvenzeröffnung verwirklicht worden.
- Zwar ist vorliegend der Besteuerungstatbestand nicht durch eine Veräußerung seitens des Insolvenzverwalters selbst, sondern durch das Verhalten eines absonderungsberechtigten Insolvenzgläubigers (Kreissparkasse) ausgelöst worden, der die ihm zur Verwertung überlassenen beweglichen Gegenstände verkaufte. Erst mit den einzelnen Verkäufen der Wirtschaftsgüter endete aber deren Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen. Auch wenn die durch diesen Vorgang aufgedeckten stillen Reserven schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden waren, scheidet die Annahme eines bereits vor Insolvenzeröffnung begründeten Steueranspruchs aus. Vielmehr ist angesichts des Zeitpunkts der Gewinnrealisierung aufgrund der Veräußerung der zur Masse gehörenden beweglichen Gegenstände die hierauf entfallende Einkommensteuer eine Masseverbindlichkeit.
BFH Urteil vom 14.12.2022 - X R 9/20 (veröffentlicht am 06.07.2023)
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