Entscheidungsstichwort (Thema)
Interviewer als Arbeitnehmer; Umfang der Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers
Leitsatz (redaktionell)
1.) Personen, hier Interviewer im Bereich der Markt- und Meinungsforschung, die einen fest vorgegebenen Rahmenlohn erhalten, innerhalb dessen sie durch eigenen Einfluß vergütet werden, und die kein Investitionsrisiko haben, tragen kein Unternehmerrisiko, auch wenn die Gefahr besteht, aufgrund unzureichender Leistungen keinen Folgeauftrag zu erhalten.
2.) Personen (Interviewer), die ihre Leistung weder direkt am Markt anbieten, noch in größerem Umfang eigenständig Aufträge akquirieren können, die zudem verbindlich in den Räumen des Auftragsgebers tätig werden und sich starr an den von der eingesetzten Software vorgegebenen Fragenkatalog und die vorgegebenen Anweisungen zu halten haben, und die schließlich einer Supervision und ständigen Bewertung ihrer Tätigkeit unterliegen, entfalten keine Unternehmerinitiative.
3.) Die Inanspruchnahme des Arbeitsgebers für nicht gezahlte Lohnsteuerbeträge mehrerer hundert Arbeitnehmer erfolgt ermessensfehlerfrei, da ansonsten das vom Gesetzgeber gewollte vereinfachte Verfahren der Lohnsteuererhebung an der Quelle erheblich beeinträchtigt würde. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der Arbeitgeber bis spätestens zum Abschluß des Einspruchsverfahrens konkrete Angaben zu den steuerlichen Verhältnissen aller oder einzelner Arbeitnehmer macht und dabei insbesondere die für die einzelnen Arbeitnehmer zuständigen Finanzämter benennt und darlegt, dass deren Jahresfestsetzungen noch bevorstehen.
4.) Bei der Inanspruchnahme des Arbeitgebers ist die Lohnsteuerklasse VI für diejenigen Arbeitnehmer anzuwenden, die aus den sich ergebenden Gesamtumständen des Falles im fraglichen Haftungszeitraum noch weitere Arbeitsverhältnisse ausübten. Für diejenigen Arbeitnehmer, die hiernach in keinen weiteren Beschäftigungsverhältnissen standen, ist eine Reduzierung der Haftungsschuld im Schätzungswege vorzunehmen. Aus der Haftungsschuld im Wege eines Abschlags ausgenommen werden können ferner diejenigen Beträge, von denen angenommen werden kann, dass die Arbeitnehmer sie vor Abschluß des Einspruchsverfahrens im Rahmen ihrer Veranlagung auf die Steuerschuld bereits geleistet haben.
Normenkette
EStG § 39c Abs. 1 S. 1, § 42d Abs. 1 Nr. 1; LStDV § 1 Abs. 1-2; EStG § 19
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Haftungsinanspruchnahme wegen Lohnsteuer und die Einordnung bestimmter Mitarbeiter als Selbständige oder Arbeitnehmer der Klägerin.
Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft ein Unternehmen mit dem Gegenstand Befragungen für Markt- und Meinungsforschung. Sie führt Kundenzufriedenheitsbefragungen, Marktpotentialerhebungen und Meinungsbefragungen per Telefon und/oder Internet durch. Dazu verfügt sie über mehrere Telefonstudios mit einer Vielzahl von Telefonarbeitsplätzen und jeweils einem Arbeitsplatz für einen Supervisor. Sie beschäftigt je nach Auftragsvolumen ca. 900 bis 1000 Interviewer, die sie als freie Mitarbeiter behandelte und für die sie dementsprechend weder Lohnsteuer noch Sozialversicherungsbeiträge einbehielt und abführte. Die Räume der Klägerin werden teilweise videoüberwacht. Der Status dieser Interviewer und deren Tätigkeit ergeben sich aus einer Arbeits- und Einweisungsanleitung. Eine Kopie dieser Anleitung, auf die ergänzend verwiesen wird, befindet sich in den Steuerakten des Beklagten (gesonderter blauer Hefter). Auszugsweise lautet diese wie folgt:
(…) 3. Interviewerin …
3.1. Was Sie mitbringen sollten
Neben der Motivation und Spaß an der Arbeit sind sprachliche Kompetenz und ein bißchen PC-Erfahrung unabdingbare Voraussetzung für die Tätigkeit als Telefoninterviewer. PC-Erfahrungen sollten Sie vorweisen können, weil wir unsere Befragungen computergestützt durchführen, d.h. dass Sie den Fragebogen auf dem Computer an Ihrem Studioplatz eingespielt bekommen und die Antworten Ihrer Interviewpartner in den Computer eingeben müssen. Die Befragungssoftware hierfür ist sehr benutzerfreundlich, dennoch sollten Sie mit grundlegenden Elementen wie Bildschirm, Tastatur und Menuführung vertraut sein. Unter sprachlicher Kompetenz verstehen wir die Fähigkeit, am Telefon stets freundlich und korrekt aufzutreten ohne dabei die Interessen der Befragung aus den Augen zu verlieren, sowie Flexibilität im Umgang mit verschiedenen gesellschaftlichen Zielgruppen. Denn erstens führen wir Befragungen verschiedener gesellschaftlicher Zielgruppen durch (z.B. Geschäftsleute oder Privatpersonen), zweitens wollen Sie etwas von Ihrem Interviewpartner (nämlich Zeit und Information) und drittens vertreten Sie am Telefon die … und … AG.
3.2. Was Sie bei uns lernen können
(…) Diese Fähigkeit, sich schnell und flexibel auf verschieden Zielgruppen einstellen zu können, können Sie durch die Feedback-Gespräche der Supervision ständig verbessern.
Darüber hinaus lernen Sie bei uns das Arbeiten im Team. Zwar...