Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine steuerfreie Kapitalrückzahlung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG ohne entsprechende Feststellung eines veränderten steuerlichen Einlagekontos bzw. einer Bescheinigung nach § 27 Abs. 3 KStG. Einkommensteuerbescheid des Gesellschafters keine Bindungswirkung für Kapitalertragsteuernachforderungsbescheid der Gesellschaft. Verzicht auf die Nachforderung von Kapitalertragsteuer nach § 163 AO aus Billigkeitsgründen bei Nichtbeanstandung der Behandlung als Kapitalrückzahlung im Rahmen der Außenprüfung beim Mehrheitsgesellschafter
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch wenn keine Zweifel bestehen, dass im Veranlagungszeitraum 2003 und 2006 erfolgte Auszahlungen einer GmbH an ihrer Gesellschafter entsprechend dem Gesellschafterbeschluss aus der Kapitalrücklage das steuerliche Einlagekonto nach § 27 Abs. 1 S. 3 KStG gemindert haben, weil kein ausschüttbarer Gewinn i. S. d. § 27 Abs. 1 S. 4 KStG vorhanden gewesen ist, ist die GmbH gleichwohl zum Kapitalertragsteuerabzug verpflichtet und das FA zur Nachforderung dieser berechtigt, wenn § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG keine Anwendung finden kann, nach dem der bestandskräftig festgestellte (fehlerhafte) Bestand des steuerlichen Einlagenkontos im Jahr der Auszahlung mit dem des Vorjahres übereinstimmt.
2. Für Veranlagungszeiträume ab 2006 gilt bei fehlender Bescheinigung nach § 27 Abs. 3 KStG der Betrag der Einlagenrückgewähr gem. § 27 Abs. 5 KStG i. d. F. des SEStEG als mit 0 EUR bescheinigt, was einer steuerfreien Kapitalrückzahlung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG ebenso wie ein gegenüber dem Vorjahr unverändertes, bestandskräftig festgestelltes steuerliches Einlagenkonto entgegensteht.
3. Der von steuerfreien Kapitalrückzahlungen ausgehende Einkommensteuerbescheid des Gläubigers der Kapitalerträge ist kein Grundlagenbescheid für die Festsetzung der Kapitalertragsteuer durch einen Nachforderungsbescheid gem. § 167 Abs. 1 S. 1 AO gegenüber dem Schuldner der Kapitalerträge.
4. Die von der GmbH wegen der Nichterfüllung ihrer Pflichten im Zusammenhang mit der Feststellung des steuerlichen Einlagenkontos zum 31.12.2003 nachgeforderte Kapitalertragsteuer ist aus Billigkeitsgründen gem. § 163 AO mit 0 EUR festzusetzen, wenn zweifellos Kapitalrückzahlungen vorliegen, das FA die im Rahmen der Betriebsprüfung beim Mehrheitsgesellschafter erkannte Auszahlung aus der Kapitalrücklage als steuerfreien Bezug behandelt hat, die Bindung an die bestandskräftige Feststellung des steuerlichen Einlagekontos auf Ebene des Gesellschafters erst mit danach ergangenem BFH-Urteil v. 19.5.2010 (Az.: I R 51/09) erfolgt ist und die verschärfte Rechtslage des § 27 Abs. 5 KStG i. d. F. des SEStEG noch nicht gilt. Dem Billigkeitserlass steht nicht die fehlende Einlegung eines Rechtsbehelfs entgegen. Rechtskräftig ist nicht der strittige Nachforderungsbescheid über die Kapitalertragsteuer, sondern die nicht angefochtene Feststellung des steuerlichen Einlagekontos.
Normenkette
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 3, 1; KStG § 27 Abs. 1 Sätze 3-5, Abs. 3, 2, 5 F: 2006-12-07; AO § 163; KStG § 44 Abs. 5; AO § 167 Abs. 1 S. 1; EStG § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; EStG 44 Abs. 1; EStG §§ 44a, 45a Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Soweit der Beklagte eine abweichende Festsetzung der Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlages für 2003 aus Billigkeitsgründen mit Bescheid vom 19. Mai 2011 abgelehnt hat, wird dieser Bescheid aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, die Kapitalertragsteuer und den Solidaritätszuschlag für 2003 abweichend von dem Nachforderungsbescheid vom 13. August 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07. Januar 2011 mit 0,00 EUR festzusetzen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 7/10 und der Beklagte zu 3/10.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin jedoch durch Sicherheitsleitung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 36.855,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Festsetzung von Kapitalertragsteuer für die Jahre 2003 und 2006 durch einen Nachforderungsbescheid.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. An ihr beteiligt waren in den beiden Streitjahren ihre Gesellschafter R mit 95 % und P mit 5 %.
In ihrer Bilanz zum 31. Dezember 2002 wies die Klägerin eine Kapitalrücklage in Höhe von 534.277,85 EUR aus. Auf außerordentlichen Gesellschafterversammlungen beschlossen die Gesellschafter folgende Beträge aus der Kapitalrücklage entsprechend ihrer Beteiligungsverhältnisse an sich auszuzahlen (vgl. Bl. 54 bis 56 der Rechtsbehelfsakte):
Beschluss |
28.11.2003 |
23.04.2004 |
26.06.2006 |
16.10.2006 |
Auszahlungsbetrag |
50.000,00 EUR |
50.000,00 EUR |
100.000,00 EUR |
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