Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträglicher Erlass von Verlustfeststellungsbescheiden nach § 10d EStG
Leitsatz (redaktionell)
1. § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG regelt, unter welchen Voraussetzungen ein Bescheid zur Feststellung verbleibender Verluste erstmalig zu erlassen ist. § 10d Abs. 4 Sätze 4 und 5 regeln dagegen, unter welchen Voraussetzungen Feststellungsbescheide zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern sind, mithin alle Fälle, in denen es um eine zweite oder weitere Entscheidung über verbleibende Verlustvorträge geht.
2. Die Frage, ob ein Verlustfeststellungsbescheid erstmalig zu erlassen ist, ist nicht rein formal zu beurteilen. Die Sätze 4 und 5 in § 10d Abs. 4 EStG kommen also nicht nur dann zur Anwendung, wenn das FA bereits einen förmlichen Feststellungsbescheid erlassen hat, sondern auch dann, wenn für das FA aus seiner – nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilenden – Sicht keine Veranlassung bestand, einen Feststellungsbescheid von Amts wegen zu erlassen, typischerweise z.B. wenn das FA einen Einkommensteuerbescheid mit einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte oder einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 0 DM/Euro erlassen hat.
3. Ist für das FA bei Erlass eines Einkommensteuerbescheids erkennbar, dass es von Amts wegen einen Verlustfeststellungsbescheid erlassen muss, so fällt eine vom FA pflichtwidrig unterlassene Verlustfeststellung, die bis zum Eintritt der unter Beachtung des § 181 Abs. 5 AO zu prüfenden Feststellungsverjährung nachgeholt werden kann, in den Anwendungsbereich des § 10d Abs. 4 S. 1 EStG. Diese Voraussetzung ist im Regelfall erfüllt, wenn das FA in einem Einkommensteuerbescheid von einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte ausgeht, in Ausnahmefällen aber auch bei einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte, etwa weil aus einen Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12. des Vorjahres ein hoher, durch das Streitjahr nicht (vollständig) aufgebrauchter Verlustvortrag vorhanden ist.
4. Eine Einkommensteuererklärung kann nicht als Antrag auf Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs ausgelegt werden, wenn der Kläger das Feld „Erklärung zur Festsetzung des verbleibenden Verlustabzugs” nicht angekreuzt hat und für das FA keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich waren, dass dies nur versehentlich nicht erfolgt sein könnte (z.B. weil in den weiteren Formularen keinerlei Angaben zu den streitigen Aufwendungen gemacht worden sind oder weil die streitigen Aufwendungen als bei der Verlustfeststellung nicht berücksichtigungsfähige Sonderausgaben geltend gemacht worden sind).
Normenkette
EStG § 10d Abs. 4 Sätze 1, 4-5; AO § 181 Abs. 1 S. 1, Abs. 5, § 169 Abs. 1 S. 1, § 171 Abs. 3; BGB § 133
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Der Kläger absolvierte in Zeitraum Juni 1995 bis April 1997 eine Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer. Seit 1998 ist er als Verkehrsflugzeugführer tätig.
Die Einkommensteuererklärung für das Jahr 1995 reichte der Kläger im Jahr 1996 beim Beklagten, dem Finanzamt (FA), ein. Das Feld „Einkommensteuererklärung” war angekreuzt, nicht aber das Feld „Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs”. Im Mantelbogen der Einkommensteuererklärung machte der Kläger unter „Sonderausgaben – Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung” keine Angaben. Mit der Anlage N zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit machte der Kläger als Werbungskosten × Fahrten von der Wohnung zu seiner Arbeitsstelle und pauschale Aufwendungen für Fachliteratur (200 DM) sowie für die Kontoführung (30 DM) geltend. Im Einkommensteuerbescheid 1995 folgte das FA diesen Angaben und setzte bei einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte von × DM eine Einkommensteuer in Höhe von 0 DM fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Die Vordrucke zur Einkommensteuererklärung 1996 gab der Kläger im Jahr 1997 beim FA ab. Im Mantelbogen war weder das Feld „Einkommensteuererklärung” noch das Feld „Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs” angekreuzt. Unter „Sonderausgaben – Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung” machte der Kläger folgende Angaben:
„Schulungskosten für die Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer bei Lufthansa – × DM”
Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit erklärte der Kläger nicht. Im Einkommensteuerbescheid 1996 setzte das FA bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 0 DM eine Einkommensteuer in Höhe von 0 DM fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Die Einkommensteuererklärung 1997 reichte der Kläger im Jahr 1999 beim FA ein. Sowohl das Feld „Einkommensteuererklärung” als auch das Feld „Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs” waren angekreuzt. In der Anlage N und einem Begleitschreiben beantragte der Kläger, Ausbildungskosten als Flugzeugführer in Höhe von × DM als vorweggenommene Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Einnahmen aus ...