Entscheidungsstichwort (Thema)
„Ordre public” als Vollstreckungsverbot bei ausländischen Titeln. Rechtsschutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen
Leitsatz (redaktionell)
1. Von einem anderen EU-Mitgliedstaat begehrte Vollstreckungsmaßnahmen verstoßen gegen den ordre public, wenn der Mitgliedstaat dem in Deutschland ansässigen Abgabenpflichtigen eine in ausländischer Sprache abgefasste Zahlungsaufforderung zustellen lässt, der nicht entnommen werden kann, dass die Rechtsmittelfrist lediglich 15 Tage beträgt, und eine Art Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im ausländischen Recht nicht vorgesehen oder trotz Geltendmachung von Gründen, welche die Fristversäumnis entschuldigen könnten, nicht geprüft worden ist.
2. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit zukünftiger Vollstreckungsmaßnahmen ist als Feststellungsklage gemäß § 41 Abs. 1 FGO zulässig.
3. Kündigt die beklagte Behörde an, dass eine Rückzahlung bereits eingezogener Geldbeträge nicht sicher sei, so besteht ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit bereits erfolgter Vollstreckungsmaßnahmen im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage.
Normenkette
EWGRL 308/76; FGO § 41 Abs. 1, § 100 Abs. 1 S. 4
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Zwangsvollstreckung … rechtswidrig war.
2. Es wird festgestellt, dass jede weitere Zwangsvollstreckung … unzulässig ist.
3. …
Tatbestand
I.
Der Rechtsstreit befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Die Klägerin ist im Jahre 1995 durch Verschmelzung Rechtsnachfolgerin der X-GmbH geworden. Die X-GmbH führte Waren ein. Für den Transport wurden Versandscheine (Formular T 1) nach A und dann zur Bestimmungszollstelle B in Italien ausgestellt. In den Versandscheinen war als Bestimmungsland Zypern angegeben. Zwischendurch wurden die Versandscheine manipuliert. Nach Angaben der Klägerin sind der italienische Spediteur und italienische Zollbeamte hierfür verantwortlich. Als Folge erfasste die Zollstelle B am … 1994 den Vorgang als innergemeinschaftliche Lieferung (T 2-Verfahren). Die Ware verblieb in Italien. Aus diesem Vorgang leitete die Zollstelle einen Anspruch gegen die 2 X-GmbH ab.
Zur Durchsetzung erließ die zuständige italienische Behörde am … 1995 einen italienischen Mahnbescheid („Ingiunzione”). Die italienische Behörde verwendete das in Italien übliche Formular in italienischer Sprache.
Im Formular wurde zunächst eingesetzt, dass die X-GmbH der italienischen Zollverwaltung … Lire aufgrund vorschriftswidriger Überführung von mit T1 … beförderter Ware in den freien Verkehr schuldet. In der nachfolgenden Passage des Formulars hätte eingetragen werden müssen, mit welchem vorgehenden Schreiben die X-GmbH zur Zahlung aufgefordert wurde. Diese Passage des Formulars füllte die zuständige italienische Behörde nicht aus, da sie die X-GmbH vor dem Erlass des Zahlungsbefehls nicht – wie grundsätzlich in Italien üblich – zur Zahlung aufgefordert hatte.
Die nachfolgende Passage des Formulars lautet: „Visto l'art. 82 del T.U. approvato con DPR 23-1-1973 n. 43 …”.
In Art. 82 der Verordnung des Präsidenten der [italienischen] Republik Nr. 43 vom 23. Januar 1973 ist geregelt, dass die Widerspruchsfrist gegen einen italienischen Mahnbescheid 15 Tage beträgt. Die Vorschrift gilt nach italienischem Recht auch bei Zustellungen im Ausland. Eine Rechtsmittelbelehrung enthielt der italienische Mahnbescheid nicht.
Nach einem Zustellungszeugnis stellte das beklagte Hauptzollamt (HZA) den italienischen Mahnbescheid der Klägerin am 2. Oktober 1995 mit Postzustellungsurkunde unter ihrer Adresse in Deutschland zu. Eine Übersetzung ins Deutsche lag der Zustellung nicht bei.
Nachdem die Klägerin eine Übersetzung erstellt hatte, gab sie den italienischen Mahnbescheid an eine Steuerkanzlei zur weiteren Bearbeitung weiter. Die Steuerkanzlei beauftragte einen Rechtsanwalt mit Sitz in Bozen, sich der Sache anzunehmen. Der Rechtsanwalt wies mit dem Antwortschreiben vom 8. November 1995 auf die abgelaufene 15-Tagefrist hin und teilte mit, dass seines Wissens bisher Anfechtungen von Mahnbescheiden nach Fristablauf regelmäßig für unzulässig erklärt wurden. Er sah aber gewisse Erfolgsaussichten einer Klage, da die in Italien übliche Vorankündigung eines Mahnbescheids unterblieben war, der Mahnbescheid nicht begründet worden war und die Zustellung in Deutschland nur in italienischer Sprache erfolgte.
Die Klägerin erteilte den Auftrag, in Italien zu klagen, was eine notarielle Prozessvollmacht erforderlich machte. Die Klage in Italien ging am 25. November 1995 beim dortigen Beklagten ein.
Mit Urteil vom 16. Mai 1998 Nr. 797/98 wies das Landgericht C durch eine Einzelrichterin die Klage als unzulässig zurück. Entscheidend war nach der Urteilsbegründung, auf die verwiesen wird, die Überschreitung der 15-tägigen Widerspruchsfrist. Ferner bejahte die Einzelrichterin die Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen italienischen Gesetze.
Die Berufung der Klägerin wies das Oberlandesgericht C mit Urteil vom 14. November 2000, auf das verwiesen wird, als unzulässig zurück.
Mit...