Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständigkeit für die Festsetzung von Einfuhrabgaben, wenn in Carnet TIR-Verfahren beförderte Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen werden. Zoll. Tabaksteuer. Einfuhrumsatzsteuer

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Werden im Carnet TIR-Verfahren beförderte Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen und stehen die Umstände der Zuwiderhandlung bereits fest, ist die Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 2 der VO (EWG) Nr. 719/91 zu beurteilen. Danach ist grundsätzlich der Mitgliedstaat für die Abgabenerhebung zuständig, in dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde.

2. Die Zuständigkeitsvermutung des Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 1 und 2 der VO (EWG) Nr. 719/91 gilt nur solange, wie der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet die Zuwiderhandlung begangen worden ist, nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann. Wird der Ort der Zuwiderhandlung später festgestellt, so erlischt die nach Art. 10 Abs. 3 der VO (EWG) Nr. 719/91 bestehende Vermutung. Daraus folgt nicht, dass der zunächst ergangene Steuerbescheid aufzuheben ist, sondern nur, dass ein interner Ausgleich gemäß Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 der VO (EWG) Nr. 719/91 zwischen dem zunächst für die Abgabenerhebung zuständig gewesenen Mitgliedstaat und dem infolge des Nachweises über den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung anspruchsberechtigten Mitgliedstaat stattzufinden hat. Dieser Ausgleichsmechanismus greift nur bezüglich derjenigen Personen ein, die die Abgaben an den ursprünglich zuständigen Mitgliedstaat entrichtet haben. Hinsichtlich weiterer Abgabenschuldner, gegenüber denen noch keine Abgabenfestsetzung erfolgt ist, ergibt sich die Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 719/91, wenn der tatsächliche Ort der Zuwiderhandlung zwischenzeitlich nachgewiesen wurde.

3. Der Umstand, dass die Zollverwaltung eines Mitgliedstaates das Besteuerungsverfahren nicht übernommen hat, kann eine Zuständigkeit der deutschen Zollverwaltung nicht begründen. Wenn die zuständigen Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten die Tatsachen unterschiedlich würdigen, kann dies nicht dazu führen, dass der Ort der Zuwiderhandlung ungeklärt bleibt.

 

Normenkette

EWGV 719/91 Art. 10 Abs. 2-3; EWGV 2144/87 Art. 2 Abs. 1 Buchst. c

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 06.12.2005; Aktenzeichen VII R 31/04)

 

Tenor

1. Die beiden Steuerbescheide vom 10. Januar 2001 jeweils in der Gestalt der Einspruchsentscheidung werden aufgehoben.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob der Kläger zu Recht von einer deutschen Zollbehörde für Einfuhrabgaben in Anspruch genommen wurde, die wegen nicht ordnungsgemäßer Erledigung von zwei Carnet TIR-Verfahren entstanden sind.

Die Fa. T, Ungarn, beantragte am 23. Januar 1993 beim Zollamt Furth i. Wald-Schafberg und am 31. Januar 1993 beim Zollamt Waldhaus jeweils mit Carnet TIR die Abfertigung von 1.000 Karton Zigaretten zum externen Versandverfahren. Die Zollämter entsprachen den Anträgen, mit der Auflage, die Sendungen bis zum Ablauf der Gestellungsfrist bei der im jeweiligen Carnet TIR bezeichneten Bestimmungszollstelle in Malaga/Spanien bzw. Straßburg/Frankreich zu gestellen. Die beiden Zigarettensendungen wurden jedoch bei keiner Zollstelle gestellt.

Der Beklagte (das Hauptzollamt – HZA) setzte deshalb mit zwei Steuerbescheiden vom 23. Januar 1996 gegenüber dem Hauptverpflichteten die Einfuhrabgaben wegen nicht ordnungsgemäßer Erledigung der beiden Carnet TIR-Verfahren fest.

Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass die Auflieger mit den Zoll-, Fracht- und Fahrzeugpapieren in Frankreich an unbekannte Dritte übergeben wurden. Hierzu hatte der Kläger an T die Kennzeichen der französischen Zugmaschinen übermittelt, um den ungarischen Fahrern die Identifizierung der übernehmenden Personen zu ermöglichen.

Das HZA forderte deshalb mit zwei Steuerbescheiden jeweils vom 10. Januar 2001 vom Kläger als Gesamtschuldner Einfuhrabgaben (Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) i.H.v. insgesamt 4.258.900,– DM an, weil dieser als Hauptverantwortlicher an der Entziehung der Zigaretten aus der zollamtlichen Überwachung beteiligt gewesen sei.

Die dagegen eingelegten Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidungen jeweils vom 22. November 2001 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit der dagegen erhobenen Klage bringt der Kläger im Wesentlichen vor, dass nicht die deutsche, sondern die französische Zollverwaltung für die Erhebung der entstandenen Einfuhrabgaben zuständig sei, da die Zigaretten in Frankreich durch Übergabe an unbekannte Dritte der zollamtlichen Überwachung entzogen worden seien. Aber selbst dann, wenn man in der konspirativen Übergabe der Zigaretten in Frankreich kein Entziehen sähe, wäre Frankreich zuständig gewesen, ...

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