Gerichtsstandsvereinbarungen und die Bedeutung von Lieferort und Incoterms
Zugrundeliegender Sachverhalt
In dem vom Oberlandesgericht Köln entschiedenen Fall stritten die Parteien über die Zahlung des Kaufpreises für die Lieferung von Keramikfliesen. Klägerin war die deutsche Vertriebsgesellschaft und Herstellerin der Fliesen. Die Beklagte zu 1), eine portugiesische Bauunternehmerin, war von der Beklagten zu 2) mit Sitz in Frankreich mit der Fassadenverkleidung an einem Bauvorhaben in Frankreich beauftragt worden.
Im Zuge der Bestellung der Fliesen unterzeichneten die drei Parteien zum einen eine Vereinbarung in französischer Sprache über einen Schuldbeitritt betreffend die Zahlungen an den Lieferanten. Die Vereinbarung enthielt eine Gerichtsstandsvereinbarung dahingehend, dass der Schuldbeitritt französischem Recht unterliegen und ein französisches Handelsgericht (Tribunal de commerce) für alle Streitigkeiten zuständig sein sollte. Zu einem späteren Zeitpunkt nahmen die Parteien Änderungen an den Lieferbedingungen vor und hielten diese in einer weiteren Auftragsbestätigung fest, die die erste Auftragsbestätigung ersetzte. Die zunächst vereinbarte Incoterm-Klausel wurde ersetzt durch "F Fret payé A FR lieu d`expedition: D" („Frachtfrei A FR Versandort: D“, d.h. durch den Incoterm CPT („Freight paid“ / „Frachtfrei“).
Die Klage wurde in erster Instanz vom Landgericht Bonn als unzulässig abgewiesen. Das Landgericht verneinte die von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte. Nach der Gerichtsstandsvereinbarung seien französische Gerichte zuständig. Auch aus Art. 7 EuGVVO, der Zuständigkeit des Erfüllungsorts, ergebe sich keine Zuständigkeit deutscher Gerichte.
Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein. Das OLG Köln hatte daher die Frage zu entscheiden, ob deutsche oder französische Gerichte international zuständig sind. Es bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und wies die Berufung zurück.
Die Entscheidung des OLG Köln
Das OLG Köln bestätigte, dass die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht gegeben sei. Stattdessen seien französische Gerichte für die Entscheidung des Rechtsstreits ausschließlich zuständig. Dies ergebe sich aus der Vereinbarung der Parteien, wonach diese wirksam die ausschließliche Zuständigkeit des Handelsgerichts in A. (Frankreich) vereinbart hätten und damit eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 1 S.1 EuGVVO getroffen hätten. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folge daher auch nicht aus Art. 7 Nr. 1 lit. a) und b) 1. Spiegelstrich EuGVVO (Gerichtstand des Erfüllungsorts).
Art. 25 Abs. S.1 EuGVVO - Gerichtsstandsvereinbarung
Nach Art. 25 Abs. S. 1 EuGVVO muss sich eine Gerichtsstandsvereinbarung auf eine bereits entstandene oder auf eine künftige, aus einem bestimmten Rechtsverhältnis folgende Rechtsstreitigkeit beziehen. Das OLG Köln hielt es für zweifelsfrei, dass eine Verständigung der Vertragsparteien über eine Zuständigkeit des Handelsgerichts in A. (Frankreich) für sämtliche sich aus dem Vertrag ergebene Rechtsstreitigkeiten bestehe, nicht nur für den Schuldbeitritt. Auch aus Gründen der Prozessökonomie könne eine Zersplitterung der gerichtlichen Zuständigkeit mit der Konsequenz divergierenden Rechtsentscheidungen von den Parteien nicht gewollt sein.
Art.7 EuGVVO: Zuständigkeit des Erfüllungsorts – Bedeutung des vereinbarten Lieferorts?
Auch wenn die Parteien keine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen hätten, würde aus Art. 7 EuGVVO keine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgen. Danach kann eine Person mit Wohnsitz bzw. ein Unternehmen mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat in einem anderen EU-Mitgliedstaat verklagt werden, vorausgesetzt dort liegt der Erfüllungsort der streitgegenständlichen Verpflichtung. Der Erfüllungsort bei Kaufverträgen über bewegliche Sachen ist dabei stets der Ort, an dem die Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind bzw. hätten geliefert werden müssen (vgl. Art.7 Nr. 1 lit. b) 1.Spiegelstrich EuGVVO).
Wenn der Vertrag keine ausdrückliche Regelung über den Lieferort enthält – wie in dem vom OLG Köln entschiedenen Fall – muss der Erfüllungsort durch Vertragsauslegung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ermittelt werden. Wenn die Parteien Incoterms verwendet haben, ist insbesondere auch der vereinbarte Incoterm zu berücksichtigen. Einige Incoterms, wie z.B. DDP („Deliverad duty paid“) oder EXW („Ex works“), enthalten eine Regelung des Lieferorts der Waren. Andere Incoterms dagegen regeln nur die Kostenverteilung oder Gefahrtragung zwischen den Vertragsparteien, nicht aber den Lieferort.
Exkurs: Incoterms als international einheitliche, standardisierte Lieferklauseln
Bei den Incoterms handelt es sich um einheitliche und weltweit anerkannte Vertrags- und Lieferklauseln der internationalen Handelskammer in Paris (International Chamber of Commerce, ICC), welche den Kaufvertragsparteien eine standardisierte Abwicklung im internationalen oder nationalen Handelsgeschäft ermöglichen. Die Incoterms beinhalten elf Handelsklauseln, die jeweils mit drei Buchstaben abgekürzt werden, z.B. DAP („Delivered at place“ / „Geliefert benannter Ort“). Die Parteien können auf diese international einheitlichen Standardklauseln zurückgreifen, wenn es um die Regelung des Lieferorts, der Transportkosten und -versicherungen, die Risikozuordnung im Falle der Beschädigung oder des Untergangs der Kaufsache während des Transports geht, sowie um die Frage, wer Export- oder Importgenehmigungen zu beschaffen bzw. zu bezahlen hat. Die Verwendung eines Incoterms im Liefervertrag ermöglicht es, die jeweiligen Pflichten von Käufer und Verkäufer verbindlich und zweifelsfrei zu definieren, ohne diese auszuformulieren oder näher zu beschreiben.
Die im vorliegenden Fall vereinbarte Intercoms-Klausel „F Fret payé A. lieu d’expédition: D.“ definiert einen Ort, an dem die Klägerin die Ware an den Transporteur zu übergeben hat (D in Deutschland) und einen Bestimmungsort, an dem die Ware von dem Beklagten zu übernehmen war (A in Frankreich). In Übereinstimmung mit der vorherrschenden Ansicht der Rechtsprechung und Literatur vertritt das OLG Köln die Ansicht, dass der Incoterm CPT („Frachtfrei“ / „Fret payé“ / „Freight paid“) keinen Lieferort im Sinne des Art. 7 EuGVVO bestimmt, sondern lediglich eine Kosten- und Gefahrtragungsregel beinhaltet.
Wenn, wie vorliegend, die Incoterms-Klauseln bei der Bestimmung des Lieferortes nicht weiterhelfen, ist auf den Grundsatz zurückzugreifen, wonach beim Versendungskauf – aufgrund der Vorhersehbarkeit und räumlichen Sachnähe – der Ort der tatsächlichen Übergabe der Ware an den Käufer maßgeblich ist. Der Senat wies darauf hin, dass es sich hierbei um A. in Frankreich handelt, wohin die erste Ladung Fliesen geliefert worden war und die Übergabe der noch zu liefernden Fliesen an den Käufer erfolgen sollte.
(OLG Köln, Beschluss v. 20.5.2022, 8 U 52/21)
Anmerkung
Die Entscheidung des OLG Köln macht die Relevanz der Incoterms für den vereinbarten Lieferort und damit zugleich für die Frage der internationalen Zuständigkeit deutlich. Bei der Verwendung von Incoterms sollte daher auch darauf geachtet werden, ob der jeweilige Incoterm eine Regelung des Lieferorts enthält oder nur Transportkosten- oder Gefahrtragungsregeln. Das ist entscheidend für die Frage, ob es ergänzend einer Gerichtsstandsvereinbarung bedarf. Im Ergebnis hängt dies davon ab, ob die gewünschte Zuständigkeit der Gerichte bereits aus dem Liefer-/Erfüllungsort nach Art. 7 EuGGVO folgt, oder abweichend davon in einer Gerichtsstandsvereinbarung geregelt werden sollte.
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