D&O-Versicherung: Keine Deckung für Strohmann-Geschäftsführer

Abschluss der D&O-Versicherung ohne Offenlegung der Strohmann-Eigenschaft
Der Gründer einer GmbH trat dem öffentlichen Dienst als Polizeibeamter bei und sah sich aus dienstrechtlichen Gründen gezwungen, sein Geschäftsführeramt niederzulegen. Daraufhin ließ sich der Kläger im Juni 2018 als Geschäftsführer in das Handelsregister eintragen und erteilte dem vormaligen Geschäftsführer eine Prokura. Die Geschäfte der Gesellschaft führte dieser neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Polizeibeamter weiter. Der Kläger war – nach seinen eigenen Worten – nur „Geschäftsführer auf dem Papier“. Im Mai 2020 schloss der Kläger als gesetzlicher Vertreter der GmbH bei der Beklagten eine D&O-Versicherung ab. Dabei legte er die wahren Geschäftsleitungsverhältnisse nicht offen. Die Police enthielt eine Klausel, wonach die Beklagte auf die Anfechtung des Vertrags wegen arglistiger Täuschung verzichte, die täuschenden Personen jedoch vom Versicherungsschutz ausgeschlossen seien.
Am 1. Oktober 2022 wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger nach § 64 GmbHG a. F. (heute § 15b InsO) vom Insolvenzverwalter wegen von der Gesellschaft getätigten Zahlungen nach Insolvenzreife in Anspruch genommen. Er begehrte Freistellung durch die Beklagte, die ihre Deckung verweigerte. Nachdem der Kläger erstinstanzlich unterlag und Berufung einlegte, erließ das OLG Hamm den kommentierten Hinweisbeschluss.
Keine D&O-Deckung für Strohmann-Geschäftsführer
Das OLG Hamm entschied, dass die Beklagte keinen Versicherungsschutz schulde. Der Kläger habe sie bei Abschluss der Police arglistig getäuscht. Er hätte die Beklagte nach Treu und Glauben auch ohne entsprechende Risikofrage über diesen Umstand aufklären müssen.
Das Gericht leitet dies aus der Gesetzesbegründung zu § 19 Abs. 1 VVG ab, die eine Anfechtung bei Arglist nicht ausschließt. Nach dieser Norm besteht eine Aufklärungspflicht nur hinsichtlich vom Versicherer abgefragter erheblicher Gefahrumstände. An eine spontane Offenbarungspflicht seien demnach hohe Anforderungen zu stellen. Sie bestehe nur, wenn offensichtlich gefahrerhebliche Umstände vorliegen, die so selten und fernliegend sind, dass dem Versicherer nicht vorzuwerfen ist, sie nicht abgefragt zu haben.
Es sei offensichtlich, dass ein nur formeller Geschäftsführer, der weder bereit noch in der Lage ist, seinen Geschäftsführerpflichten nachzukommen, nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes handele. Deswegen erhöhe er das Risiko maßgeblich, sich gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig zu machen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der faktische Geschäftsführer, wie hier, aufgrund seiner anderweitigen hauptberuflichen Tätigkeit nicht imstande ist, seine Organplichten zu erfüllen. Da der Versicherer bei der gebotenen Aufklärung den Vertrag nicht geschlossen hätte und das Gericht Vorsatz annahm, bejahte es das Vorliegen einer arglistigen Täuschung.
Ungefragter Hinweis auf Strohmann-Eigenschaft erforderlich
D&O-Policen decken üblicherweise die Haftung aller geschäftsführenden Organe und leitender Angestellten einer Gesellschaft sowie ihrer Tochtergesellschaften ab. Umfasst sind in der Regel alle formellen und faktischen Geschäftsleiter. Vor dem Abschluss einer Versicherung wird das Risiko regelmäßig anhand eines mehr oder weniger standardisierten Fragenkatalogs durch den Versicherer bewertet. Versicherer haben es also in der Hand, die Umstände durch Risikofragen zu erforschen, die für die Entscheidung über den Abschluss einer D&O-Police mit einem Unternehmen von Bedeutung sind oder nicht. Stellt ein Versicherer zu einem besonderen Umstand keine solche Frage, kann der Versicherungsnehmer grundsätzlich davon ausgehen, dass dieser Umstand keine Relevanz für die Risikobewertung des Versicherers hat.
Mit der kommentierten Entscheidung verdeutlicht das OLG Hamm aber, dass sich die Aufklärungspflichten des Versicherungsnehmers auch gegenüber einem D&O-Versicherer nicht mit der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Risikofragen erschöpfen. Gleichzeitig stellt das Gericht hohe Anforderungen an eine spontane Aufklärungspflicht und folgt dabei der strengsten in der Literatur vertretenen Auffassung, die mittlerweile in der OLG-Rechtsprechung vorherrschend ist. Nur solche Umstände muss ein Versicherungsnehmer ausnahmsweise ungefragt preisgeben, die einerseits offensichtlich gefahrerheblich und andererseits so außergewöhnlich sind, dass von einem Versicherer nicht vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er konkrete Fragen dazu formuliert. Ein solcher Umstand war in der kommentierten Entscheidung die „Strohmanneigenschaft“ des einzigen Geschäftsführers.
Die Entscheidung ist insofern wenig verwunderlich. Auch das LG Mönchengladbach hatte in einem Urteil vom 4. Mai 2016 (Az. 1 O 143/14) die Strohmanneigenschaft als offenbarungspflichtig angesehen. Eine arglistige Täuschung sah das LG Mönchengladbach allerdings im dortigen Fall als nicht nachgewiesen an, da offenblieb, ob dem Versicherer das „Strohmann“-Konstrukt bei Vertragsschluss mitgeteilt wurde. Dennoch erhielt die Klägerin auch in diesem Fall keine Deckung, da sich der beklagte D&O-Versicherer auf den Ausschluss wissentlicher Pflichtverletzung berufen konnte. Die rechtzeitige Stellung eines Insolvenzantrags stellte – so das LG Mönchengladbach – eine sogenannte Kardinalspflicht dar, bei der die Wissentlichkeit des Pflichtverstoßes vermutet wird.
Dass der Versicherer von der „Strohmanneigenschaft“ erfuhr, und diese auch gerichtlich nachweisen konnte, lag in der kommentierten Entscheidung des OLG Hamm maßgeblich an den Einlassungen des formellen Geschäftsführers nach der Schadensmeldung.
Hohes Risiko für Strohmann-Geschäftsführer
Für „Strohmann“-Geschäftsführer besteht nach alledem ein besonders hohes Risiko: Sie können selbst dann mit ihrem persönlichen Vermögen haften (etwa nach § 15b Abs. 4 S. 1 InsO, § 69 S. 1 AO oder § 43 Abs. 2 GmbHG), wenn sie sich aus den Geschäften der Gesellschaft vollkommen heraushalten und müssen zudem befürchten, dass eine etwaige D&O-Versicherung ihre Deckung verweigern wird. Die kommentierte Entscheidung unterstreicht einmal mehr, dass eine Eintragung in das Handelsregister aus Gefälligkeit und ohne Absicht, die Geschäfte der Gesellschaft tatsächlich zu führen, existenzvernichtende Konsequenzen haben kann und nicht leichtfertig erfolgen sollte.
OLG Hamm, Hinweisbeschluss v. 28.02.2024 – 20 U 224/23
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