Entscheidungsstichwort (Thema)
Auswirkungen eines Verlustrücktrages auf das Verlustentstehungsjahr. Zusammentreffen eines negativen Gesamtbetrags der Einkünfte mit einem Erstattungsüberhang aus Kirchensteuer
Leitsatz (redaktionell)
Ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte ist bei einem Verlustrücktrag in das Vorjahr nicht durch einen rechnerischen Zwischenschritt im Verlustentstehungsjahr zu neutralisieren, sodass im Verlustentstehungsjahr ein Erstattungsüberhang nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG dem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen ist.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 4b S. 3, § 10d Abs. 1 S. 1
Nachgehend
Tenor
1. Unter Änderung des Einkommensteuerbescheids für 2015 vom 8. Januar 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Juli 2019 wird die Einkommensteuer auf 26.603 EUR festgesetzt.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Streitig ist die steuerliche Behandlung eines Erstattungsüberhangs.
I.
Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2015 aus diversen Beteiligungen Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus Vermietung und Verpachtung. Außerdem erzielte sie sonstige Einkünfte aus dem Bezug einer Rente.
In der Einkommensteuererklärung für 2015 erklärte die Klägerin u.a. eine Kirchensteuererstattung i.H.v. 61.262 EUR.
Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer 2015 mit Einkommensteuerbescheid vom 12. Dezember 2016 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung i.H.v. 69.146 EUR fest und legte dabei Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus Beteiligungen i.H.v. insgesamt 79.790 EUR, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. ./. 3.226 EUR, einen Gesamtbetrag der Einkünfte i.H.v. 79.636 EUR und einen Erstattungsüberhang aus Kirchensteuer i.H.v. 62.459 EUR (= Kirchensteuererstattung i.H.v. 62.612 EUR ./. gezahlte Kirchensteuer i.H.v. 153 EUR) zu Grunde.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2016 legte die Klägerin dagegen Einspruch ein und wandte sich gegen die Höhe der angesetzten Sonderausgaben. Der Ansatz des Finanzamts für die Kirchensteuererstattung beinhalte zu Unrecht erstattete Kirchenkapitalertragsteuer i.H.v. 1.350,48 EUR und zu Unrecht gezahlte Kirchenkapitalertragsteuer i.H.v. 152,76 EUR. Vorgelegt wurde hierzu eine Bestätigung des […] Kirchensteueramtes vom 20. Januar 2017 […].
Das Finanzamt half dem Einspruch ab und erließ mit Datum vom 7. Februar 2017 einen gemäß § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid für 2015, legte dabei einen Erstattungsüberhang aus Kirchensteuer i.H.v. 61.109 EUR (= Kirchensteuererstattung i.H.v. 61.262 EUR ./. gezahlte Kirchensteuer i.H.v. 153 EUR) zu Grunde und setzte die Einkommensteuer i.H.v. 68.579 EUR fest. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
Mit Bescheid vom 10. Februar 2017 hob das Finanzamt den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
Mit Schreiben vom 17. Januar 2018 teilte die Klägerin dem Finanzamt mit, dass aufgrund geänderter Feststellungsbescheide 2015 für die Beteiligungen der Klägerin eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 2015 erforderlich sei. Der Gesamtbetrag der Einkünfte betrage ./. 43.866 EUR. Insoweit werde in voller Höhe ein Verlustrücktrag in das Jahr 2014 beantragt.
Mit Datum vom 8. Januar 2019 erließ das Finanzamt einen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für 2015 und setzte die Einkommensteuer i.H.v. 36.089 EUR fest. Dabei legte das Finanzamt Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. insgesamt ./. 49.006 EUR, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. ./. 4.461 EUR, einen negativen Gesamtbetrag der Einkünfte i.H.v. ./. 48.322 EUR, sowie einen Erstattungsüberhang Kirchensteuer i.H.v. 61.109 EUR zu Grunde. Nach dem negativen Gesamtbetrag enthielt der Bescheid folgende Zeile: „Berücksichtigung als Verlustrücktrag/-vortrag 48.322 EUR.” Das zu versteuernde Einkommen wurde mit 42.355 EUR ausgewiesen.
Mit Bescheid vom 8. Januar 2019 änderte das Finanzamt außerdem die Einkommensteuerfestsetzung 2014 gemäß § 10d Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) und berücksichtigte dabei einen Verlustrücktrag aus 2015 i.H.v. 48.322 EUR.
Gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 8. Januar 2019 legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Einkünfte seien richtig angesetzt worden und der Gesamtbetrag der Einkünfte belaufe sich auf ./. 48.322 EUR. Diesen Betrag neutralisiere das Finanzamt jedoch über die Zeile „Berücksichtigung als Verlustrücktrag/-vortrag”. Eine derartige Zeile finde sich jedoch nicht im Berechnungsschema R 2. „Umfang der Besteuerung” EStR.
Mit Einspruchsentscheidung vom 16. Juli 2019 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück. Zur ...