Entscheidungsstichwort (Thema)
Entscheidungserheblichkeit neuer Tatsachen. Aktienbezugsrecht als Arbeitslohn. Höhe des Aktienbezugs. Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen und Ermittlungspflicht des Finanzamts bei offensichtlich wertmäßig erheblichen Besteuerungstatbeständen
Leitsatz (redaktionell)
1. Wusste das Finanzamt im Zeitpunkt der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung vom Bestehen eines Aktienbezugsrechts aus einem Wandeldarlehen, vom Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis des Steuerpflichtigen, dem Zeitpunkt der Ausübung des Bezugsrechts und dem Zeipunkt der Wandlung, so können die erst später bekanntgewordene Höhe des geldwerten Vorteils und die Anzahl der bezogenen Aktien gleichwohl neue Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sein.
2. Das spätere Bekanntwerden der Höhe des geldwerten Vorteils kann nicht als rechtserheblich für die ursprüngliche Veranlagung im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO qualifiziert werden, wenn die Änderung des Einkommensteuerbescheids darauf beruht, dass das Finanzamt hinsichtlich des Zuflusszeitpunktes zu einer anderen Rechtsauffassung gelangt ist.
3. Stellt das Finanzamt zur Höhe des geldwerten Vorteils keine Ermittlungen an, obwohl die extreme Kurssteigerung der Aktien, die der Steuerpflichtige infolge der Wandlung bezogen hat, allgemein bekannt war und die steuerliche Erheblichkeit sich damit aufdrängte, so verletzt es damit seine Ermittlungspflicht in einer Weise, die einer späteren, auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützten Änderung des Einkommensteuerbescheids nach Bekanntwerden der Höhe des geldwerten Vorteils entgegensteht.
4. Die Ermittlungspflichtverletzung des Finanzamts überlagert den Umstand, dass der Steuerpflichtige, der im Übrigen seiner Mitwirkungspflicht genügt hat, die Anzahl der bezogenen Aktien nicht von sich aus mitgeteilt hat.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, §§ 88, 90; EStG § 8 Abs. 1, § 11 Abs. 1, § 19 Abs. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tenor
1. Unter Abänderung der Änderungsbescheide vom 25. Februar 2002 und 13. Oktober 2003 sowie der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2007 wird die Einkommensteuer für 1999 auf 2.486,41 EUR (= 4.863 DM) herabgesetzt.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die nachträgliche Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 1999 wegen des Bekanntwerdens neuer Tatsachen rechtmäßig war.
Die Klägerin arbeitet als Schulbuchautorin und Lektorin. Als Lektorin war sie im Streitjahr 1999, wie bereits in den Vorjahren, bei der X GmbH, einer Tochtergesellschaft der TV AG nichtselbständig beschäftigt.
Die TV AG ist im Oktober 1997 an die Börse gegangen. Mit Vertrag vom 21. Oktober 1997 hat die Klägerin der TV ein Darlehen über 5.000 DM gewährt. Das mit 2 % verzinsliche Darlehen war mit dem Recht ausgestattet, erstmalig am 28. Oktober 1999 für maximal 50 % der Darlehenssumme eine Wandlung des Rückzahlungsanspruches in Aktien der TV AG im Nennbetrag von je 5 DM durchzuführen. Die Wandlung der weiteren 50 % konnte frühestens zum 28.10.2001 ausgeübt werden.
Die Klägerin hat ihre Steuererklärung für 1997, die sie ohne Zuhilfenahme eines steuerlichen Beraters erstellt hatte, im Dezember 1998 zunächst ohne Hinweis auf den Darlehensvertrag mit der TV AG und dem damit verbundenen Wandelungsrecht eingereicht. Die Einkommensteuerveranlagung 1997 war daraufhin mit Bescheid vom 15. Januar 1999 ohne Berücksichtigung von Einkünften, die mit dem Darlehen vom 21. Oktober 1997 verbunden sein könnten, erfolgt.
In einem Schreiben vom 14. Mai 1999 teilte die Klägerin dem Finanzamt (Eingang dort am 17. Mai 1999) unter dem Betreff „Berichtigung der Einkommensteuererklärung 1997 – Anlage N” mit, dass sie am 21. Oktober 1997 von der Möglichkeit der Zeichnung eines Wandeldarlehens Gebrauch gemacht habe. Sie verwies auf eine Mitteilung des Finanzvorstands der TV vom 7. Mai 1999, wonach sie mit der Zeichnung des Darlehens einen steuerpflichtigen Arbeitslohn in Höhe von 6.736,50 DM erzielt habe. Dem Schreiben der Klägerin war die Mitteilung des Finanzvorstands der TV AG vom 7. Mai 1999, ein Schreiben der Landesbank W vom 27. April 1999 zur Berechnung des Wandelschuldverschreibungspreises sowie der vollständige mit der TV AG abgeschlossene Darlehensvertrag vom 21. Oktober 1997 beigefügt. In diesem 5 Seiten umfassenden Vertrag sind die Einzelheiten beschrieben, in welcher Form das Wandlungsrecht auszuüben ist, wie es erlischt und wie sich der zu zahlende Wandlungspreis errechnet, wie sich dieser reduziert. Ebenso geregelt sind Bekanntgabepflichten und Ausnahmen zur Ermäßigung des zu zahlenden Wandlungspreises.
Auf...