Entscheidungsstichwort (Thema)
"Nachträgliches Bekanntwerden" des Unterschreitens des Grenzbetrages aufgrund verfassungsgerichtlicher Entscheidung
Leitsatz (redaktionell)
Durch das nachträgliche Ergehen der Entscheidung des BVerfG, aufgrund der Sozialversicherungsbeiträge des Kindes von dessen eigenen Einkünften abzuziehen sind (BVerfG v. 11.1.2005 - 2 BvR 167/02, FR 2005, 706), ist im Sinne von § 70 Abs. 4 EStG "nachträglich bekannt geworden", dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 EStG in Einzelfall unterschreiten können. Die Kindergeldfestsetzung ist demgemäß zu ändern.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2, § 70 Abs. 4
Nachgehend
Tatbestand
I.
Streitig ist jetzt nur noch, ob die Kindergeldaufhebung gem. § 70 Abs. 4 Einkommensteuergesetz rückwirkend zu ändern ist, weil der Grenzbetrag im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz nunmehr auf Grund der nach der Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung zu berücksichtigenden Sozialversicherungsbeiträge unterschritten ist.
Mit Bescheid vom 21.5.2002 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind S. (geboren 25.7.1981) mit Wirkung ab dem Monat Januar 2002 auf, da dessen Einkünfte und Bezüge voraussichtlich den Grenzbetrag im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz übersteigen würden. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 22.12.2002 beantragte die Klägerin Kindergeld ab Januar 2002 für ihren Sohn S., der sich seit dem 1.9.1999 in einer Ausbildung zum KFZ-Mechaniker befand. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.3.2003 ab. Der dagegen am 8.4.2003 eingelegte Einspruch wurde von der Beklagten mit Einspruchsentscheidung vom 25.1.2004 als unbegründet zurückgewiesen, weil die Klägerin keine ausreichenden Angaben über die Einkünfte und Bezüge von S. machte.
Für den Zeitraum Januar bis Dezember 2002 unterschreiten die Ausbildungsvergütungen und Berufsausbildungsbeihilfe von S. den maßgeblichen Grenzbetrag im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz von 7.188,00 EUR nur wenn neben dem Arbeitnehmer-Pauschbetrag und der Kostenpauschale auch Sozialversicherungsbeiträge entsprechend des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 11. Januar 2005 Az.: 2 BvR 167/02 in Abzug gebracht werden.
Für den Zeitraum Januar bis einschließlich Juli 2003 wird der anteilige Grenzbetrag durch die Ausbildungsvergütung nach Abzug des anteiligen Arbeitnehmerpauschbetrages nicht überschritten. Bezüglich der unstreitigen Berechnung wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 25.4.2005 und 27.6.2005 (Blatt 62, 69 der Gerichtsakte) verwiesen.
Mit der am 27.2.2004 eingelegten Klage trägt die Klägerin vor, dass ihr Kindergeld zu gewähren sei, da S.s Einkünfte und Bezüge – zumindestens nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge – den maßgeblichen Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz nicht übersteigen würden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihr für das Kind S. Kindergeld
nach dem Einkommensteuergesetz für den Zeitraum Januar 2002 bis einschließlich Juli 2003 zu gewähren.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Sie meint, dass ein Kindergeldanspruch lediglich für den Zeitraum Juni 2002 bis einschließlich Juli 2003 bestünde. Einer nachträglichen Bewilligung des Kindergeldes für den Zeitraum Januar bis einschließlich Mai 2002 stände die Bestandskraft der Kindergeldaufhebung vom 21.5.2002 entgegen. Eine Korrektur nach § 70 Abs. 4 Einkommensteuergesetz auf Grund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes sei nicht möglich, weil eine Änderung der Rechtsauffassung durch die Rechtsprechung kein nachträgliches Bekanntwerden im Sinne dieser Vorschrift sei.
Entscheidungsgründe
II.
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung.
Die Klage ist begründet.
Für den Zeitraum Juni 2002 bis einschließlich Juli 2003 hat die Klägerin einen Anspruch auf Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 a Einkommensteuergesetz, da ihr Sohn S. für einen Beruf ausgebildet wird und seine Einkünfte und Bezüge nicht den anteiligen Grenzbetrag im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz überschreiten. Dieses ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Für den Zeitraum Januar bis einschließlich Mai 2002 ist der Kindergeldaufhebungsbescheid vom 21.5.2002 aufzuheben, da nachträglich bekannt geworden ist, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Einkommensteuergesetz unterschritten haben, § 70 Abs. 4 Einkommensteuergesetz.
Unerheblich ist, dass diese Grenze nur unterschritten wird, wenn entsprechend dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 11. Januar 2005 (a.a.O.) auch Sozialversicherungsbeiträge von den Einkünften und Bezügen des Kindes abgezogen werden. Insofern steht die Bestandskraft des Aufhebungsbescheides vom 21.5.2002 einer Änderung nach § 70 Abs. 4 Einkommensteuergesetz nicht entgegen. Diese Änderu...