Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung eines Einkommensteuerbescheides wegen nachträglich geltend gemachter Aufwendungen nach § 35a EStG
Leitsatz (redaktionell)
1. Wenn eine unvollständige Steuererklärung allein auf einem Rechtsirrtum infolge mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften beruht, ist dies i.d.R. dem Steuerpflichtigen nicht als grobe Fahrlässigkeit anzulasten, wenn er nicht auf dem Gebiet des Steuerrechts tätig oder vorgebildet ist.
2. Einer ausgebildeten und in diesem Beruf tätigen Steuerfachgehilfin kann es als grob fahrlässig vorwerfbar sein, wenn sie in ihrer und der Einkommensteuererklärung ihres Ehemannes die Aufwendungen für die häusliche Pflege ihrer Mutter rechtsirrtümlich nicht angibt, obwohl sie den Pflegedienst beauftragt hatte, die Kosten jedoch vom Konto ihrer Mutter beglichen und angenommen hatte, die Kosten seien deshalb nicht berücksichtigungsfähig, weil diese vom Konto eines Dritten bezahlt würden. Es kommt dann darauf an, inwieweit entsprechende Erkenntnisquellen für solche Zweifelsfragen greifbar sind.
3. Allerdings müssen steuerfachlich vorgebildete Personen über das schlichte Ausfüllen des Einkommensteuererklärungsvordrucks hinaus unter Beachtung der dazu ergangenen Anweisungen auch weitergehende Nachforschungen zu einzelnen Problemfeldern aus ihnen zugänglichen Quellen anstellen. Dies ist der Fall, wenn das amtliche Einkommensteuer-Handbuch für das betreffende Veranlagungsjahr mit einem entsprechenden BMF-Schreiben bereits veröffentlicht worden ist und dieses die entscheidende Frage beantwortet.
4. Aufwendungen für Leistungen der häuslichen Pflege, die zwar vom Steuerpflichtigen mit der Folge seiner Zahlungsverpflichtung beauftragt, aber wegen des abgekürzten Zahlungsweges weder von ihm bezahlt werden noch ihm selbst zugutekommen, sind gem. § 35a EStG steuerlich begünstigt.
Normenkette
EStG § 35a; AO § 173 Abs. 1 Nr. 2
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob die Einkommensteuerfestsetzungen 2010 bis 2012 gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) geändert werden können.
Die Kläger sind verheiratet und werden für die Streitjahre zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin bezieht als Steuerfachangestellte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Ihre Halbtagstätigkeit in einer Steuerberatungskanzlei umfasst die Erstellung von Jahresabschlüssen und Steuererklärungen.
Die Mutter der Klägerin wurde während der Streitjahre in ihrem eigenen Haushalt gepflegt. Die Klägerin hatte für die Erbringung der Pflegeleistungen einen polnischen Pflegedienst beauftragt, der ihr dann die erbrachten Leistungen in Rechnung stellte. Danach fielen für die Pflege monatliche Zahlungen an den Pflegedienst in Höhe von 1.500 Euro an. Die Zahlungen wurden vom Konto der Mutter der Klägerin beglichen. Auf die vorgelegten Verträge (Blatt 50 ff der Gerichtsakte, zu den zu erbringenden Leistungen insbesondere Blatt 54), Rechnungen und Überweisungen (Blatt 33 ff der Einkommensteuerakte III 2012) wird Bezug genommen. Für 2010 fielen Aufwendungen für Pflegeleistungen in Höhe von 6.000 Euro (4 × 1.500 Euro) an, für 2011 in Höhe von 18.000 Euro (12 × 1.500 Euro) und für 2012 in Höhe von 17.951,60 Euro (11 × 1.500 Euro und 1 × 1.451,30 Euro).
In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre machten die Kläger die Aufwendungen zunächst nicht gem. § 35a Einkommensteuergesetz (EStG) geltend. Die aufgrund der Erklärungen ergangenen Einkommensteuerfestsetzungen für 2010 vom 31.03.2011, für 2011 vom 18.04.2012 und für 2012 vom 14.05.2013 wurden bestandskräftig.
Mit Antrag vom 05.05.2014 begehrten die Kläger die Berücksichtigung der o. a. Aufwendungen als haushaltsnahe Dienstleistungen gem. § 35a EStG. Die Berücksichtigung sei zunächst nicht beantragt worden, weil nicht bekannt gewesen sei, dass auch Kosten berücksichtigungsfähig seien, die vom Konto eines Dritten bezahlt würden. Weder im Gesetz selbst noch im Erklärungsformular oder der dazu gehörigen Anleitung sei ein Hinweis darauf enthalten, dass die Steuerermäßigung auch in diesen Fällen in Anspruch genommen werden könne.
Den Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 06.05.2014 ab. Der Einspruch der Kläger vom 16.05.2014, mit dem diese darauf hinwiesen, dass sie die Angaben zu den Pflegeleistungen mangels entsprechender Kenntnisse und wegen fehlender Hinweise auf die Rechtslage weder vorsätzlich noch grob fahrlässig erst nachträglich geltend gemacht hätten, blieb erfolglos. In seiner Einspruchsentscheidung vom 15.08.2014 führte der Beklagte aus, grobes Verschulden sei hier anzunehmen, da bereits zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärungen die Anerkennung haushaltsnaher Dienstleistungen auch bei abgekürztem Zahlungsweg gem. § 35a EStG möglich gewesen sei, und verweist dazu auf das BMF-Schreiben vom 15.02.2010 – IV C 4 – S 2296-b/07/0003 (2010/0014334) – Anhang 17b zum amtlichen Einkommensteuerhandbuch 2010. Die Klägerin als fachlich vorgebildete Person sei in der Lage und auch ...