Grobes Verschulden bei nur teilweise beantragtem Schuldzinsenabzug?
Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind bestandskräftige Steuerbescheide zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekannt geworden sind, die zu einer niedrigen Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen erst nachträglich bekannt werden.
Fall beim FG Münster: Unachtsamkeit
Im Rahmen eines Klageverfahrens vor dem FG Münster wurde eine Einkommensteuererklärung in elektronisch authentifizierter Form abgegeben. Der Kläger besitzt ein Vermietungsobjekt.
Nach Bestandskraft des Steuerbescheides bemerkte der steuerliche Berater, dass er lediglich die Schuldzinsen bei der O-Bank erfasst hat, nicht aber wie im Vorjahr auch die der B-Bank. Die Bescheinigung der B-Bank hat bei Erstellung der Steuererklärung vorgelegen; er sei aber Unachtsam gewesen.
Finanzamt lehnte Änderungsanträge ab
Der Berater beantragte daher wegen Vorliegens einer offenbaren Unrichtigkeit die Änderung nach § 129 AO. Nach der Ablehnung durch das Finanzamt beantragte der Berater auch die Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.
Auch dies lehnte das Finanzamt mit der Begründung ab, dass dem Kläger bzw. dessen Berater ein grobes Verschulden hinsichtlich des nachträglichen Bekanntwerdens der tatsächlich angefallenen Schuldzinsen treffe. Es seien die zumutbaren Sorgfaltspflichten in nicht entschuldbarer Weise verletzt worden, weil im Erklärungsformular ausdrücklich nach Schuldzinsen gefragt worden sei.
Grobes Verschulden nach der BFH-Rechtsprechung
Nach Auffassung des BFH (Urteil v. 10.2.2015, IX R 18/14) ist der Begriff des Verschuldens nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bei elektronisch gefertigten Steuererklärungen in gleicher Weise auszulegen wie bei schriftlich gefertigten Erklärungen. Allerdings seien Besonderheiten der elektronischen Steuererklärung hinsichtlich ihrer Übersichtlichkeit bei der notwendigen Beurteilung des "individuellen Verschuldens" des Steuerpflichtigen oder seines Beraters ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass am Computerbildschirm ein Überblick über die ausfüllbaren Felder der elektronischen Steuererklärung mitunter schwieriger zu erlangen sei, als in einer Steuererklärung in Papierform.
Dabei können Nachlässigkeiten entstehen, die ggf. als unbewusste – mechanische – Fehler, die jederzeit bei der Verwendung eines Steuerprogramms unterlaufen können (welches den Finanzämtern die mechanische Erfassungsarbeit von Steuererklärungsdaten abnehme), anzusehen sind.
FG Münster gewährt Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
Das FG Münster sieht zwar keine Änderungsmöglichkeit nach § 129 oder § 173a AO, wohl aber nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (FG Münster, Urteil v. 10.8.2021, 2 K 1117/19 AO, rechtskräftig). Grobes Verschulden liegt danach vor, wenn der Steuerpflichtige, der sich einen Pflichtverstoß seines Beraters als eigenen zurechnen lassen muss, vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Grob fahrlässig handelt, wer die ihm persönlich zuzumutende Sorgfalt in außergewöhnlichen Maße in nicht entschuldbarer Weise verletzt.
Abzugrenzen sei die grobe Fahrlässigkeit aber von der leichten Fahrlässigkeit, d.h. von Nachlässigkeiten, mit denen immer gerechnet werden muss und die üblicherweise vorkommen und selbst bei sorgfältiger Arbeit nicht vermieden können, wie z. B. bei unbewussten, mechanischen Fehlern, etwa bei Übertragungs- und Eingabefehlern.
Unbewusster Übertragungsfehler
Hier habe die Pflichtverletzung darin gelegen, dass der Berater des Klägers die Schuldzinsen aus dem Darlehen der B-Bank nicht als weitere Werbungskosten (neben den darüber hinaus angefallenen Schuldzinsen bei der O-Bank) erklärt hat, obgleich eine entsprechende Bescheinigung über die angefallenen Zinsen zu diesem Zeitpunkt bereits vorgelegen hatte. Dieses Versäumnis in Form eines Versehens bzw. unbewussten Übertragungsfehlers stellt nach Auffassung des FG aber keine grobe Fahrlässigkeit im Sinne einer außergewöhnlichen, nicht entschuldbaren Pflichtverletzung dar.
Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass an den Steuerberater erhöhte Anforderungen an die von ihm zu erwartende Sorgfalt bei der Erstellung einer Steuererklärung gestellt werden, handele es sich lediglich um eine Nachlässigkeit, mit der im alltäglichen Betrieb immer gerechnet werden muss. Dass bei der Erstellung einer Steuererklärung - auch in einfach gelagerten Fällen - vom Ersteller ein vorliegender Beleg übersehen und deshalb ein falscher Wert eingetragen wird, lasse sich auch bei ansonsten sorgfältiger Herangehensweise nicht in jedem Fall vermeiden. Jedenfalls könne ein derartiges Alltagsversehen nicht als eine außergewöhnliche und nicht entschuldbare Pflichtverletzung angesehen werden.
Von einer groben Fahrlässigkeit könne nach der Rechtsprechung des BFH in einem derartigen Fall nur dann ausgegangen werden, wenn in einem Steuerformular gestellte Fragen bewusst nicht beantwortet oder beachtet werden. Hier habe der Berater indes weder Fragen noch Hinweise ignoriert, vielmehr war ihm offensichtlich bewusst, dass bei den Vermietungseinkünften Werbungskosten in Form von Schuldzinsen angefallen und zu erklären waren. Dementsprechend hat er Angaben zu den Schuldzinsen gemacht, dabei lediglich die an die B-Bank gezahlten versehentlich nicht mit eingetragen.
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