Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitszimmer als Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung eines Vertriebsingenieurs
Leitsatz (redaktionell)
Das häusliche Arbeitszimmer kann den Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung eines Vertriebsingenieurs darstellen, der im Gegensatz zu einem typischen Vertriebsbeauftragten nicht mit der Verteilung einer fertigen Warengruppe befasst ist, sondern zunächst beim Kunden die gewünschte Anwendung der von seinem Arbeitgeber hergestellten Anlagen ermittelt und definiert, um anschließend in seinem Arbeitszimmer eine individuelle Problemlösung zu erarbeiten.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 Nr. 6b, § 9 Abs. 5
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung bildet.
Die verheirateten Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist für die Firma ... GmbH & Co. KG in ... als leitender Vertriebsingenieur nichtselbständig tätig. Er unterhält in seiner Wohnung das „Vertriebsbüro F “, das für ein Gebiet von S bis E zuständig ist.
Ein Arbeitsplatz am Sitz des Arbeitgebers steht ihm nicht zur Verfügung.
In seiner Einkommensteuererklärung machte er Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer i. H. v. 11.778 DM geltend, wovon das Finanzamt nur 2.400 DM im Einkommensteuerbescheid vom 6. 3. 1998 berücksichtigte und die Einkommensteuer auf 26.694 DM festsetzte.
Der Einspruch der Kläger wurde mit Einspruchsentscheidung vom 4. 12. 1998 zurückgewiesen; dabei wurde die Steuer hinsichtlich der Abziehbarkeit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer vorläufig nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden festgesetzt.
Hiergegen haben die Kläger Klage erhoben und im wesentlichen ausgeführt:
Zu Unrecht vergleiche das Finanzamt seine Tätigkeit mit der eines Vertriebsbeauftragten. Er - der Kläger - sei vielmehr als Vertriebsingenieur tätig, der kunden- und anwendungsspezifische Lösungen für den Einsatz von ...-anlagen projektiere. Die Arbeiten erledige er neben den Büro- und Verwaltungsarbeiten im häuslichen Arbeitszimmer. Diesem komme daher keine Hilfsfunktion für die Absatzförderung zu, sondern das häusliche Arbeitszimmer sei der eigentliche Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Aufgrund einer Zusammenstellung für die Zeit vom 24. 8. 1998 bis 23. 12. 1998 ergebe sich, daß er 57,7 % seiner A rbeitszeit im häuslichen Arbeitszimmer, 20,1 % für reine Fahrtzeiten und 22,1 % für Aufenthalte beim Kunden verwendet habe. Die vom Finanzamt herangezogene Rechtsprechung zu Versicherungsmaklern oder Vertriebsleiter träfen gerade nicht auf den Streitfall zu. Die Raumhöhe betrage ca. 235 cm.
Die Kläger haben beantragt, den Einkommensteuerbescheid vom 5. 10. 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. 12. 1998 dahingehend zu ändern, daß weitere Werbungskosten i. H. v. 9.378 DM bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers berücksichtigt werden.
Das Finanzamt hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Es hat im wesentlichen ausgeführt:
Die Aufstellungen des Klägers über die Verteilung seiner Arbeitszeit belege nur, daß dieser mehr als 50 v. H. seiner Tätigkeit in seinem Arbeitszimmer verrichte. Dies könne aber nur zu einer Anerkennung von 2.400 DM Werbungskosten führen. Es sei nicht erkennbar, daß das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung darstelle. Der Besuch der Kunden vor Ort zur Beratung und Betreuung nehme einen nicht unwesentlichen Teil der Gesamtarbeitszeit in Anspruch, so daß das Arbeitszimmer nicht mehr Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung sein könne.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Akten des Finanzamts und des Finanzgerichts Bezug genommen. Nach den Bauplänen in der EW-Akte beträgt die Höhe des Kellergeschosses (einschließlich Decke des Erdgeschosses) 2,58 m.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg. Das Finanzamt hat zu Unrecht die Aufwendungen für das Arbeitszimmer des Klägers nur in Höhe von 2.400 DM als Werbungskosten berücksichtigt.
Zu den Werbungskosten gehören bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer bei Arbeitnehmern, das so gut wie ausschließlich für berufliche Zwecke genutzt wird (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG). Die Aufwendungen sind nicht begrenzt, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung des Arbeitnehmers bildet und kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (§ 4 Abs. 5 Nr. 6 b i. V. m. § 9 Abs. 5 EStG).
Die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Nr. 6 b EStG ist eine Gewinnermittlungsvorschrift, die für die Überschußeinkünfte (§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2 EStG) sinngemäß Anwendung findet.
Der Mittelpunkt der gesamten beruflichen Tätigkeit eines Arbeitnehmers kann nur in Ausnahmefällen in seinem häuslichen Arbeitszimmer gelegen sein. Das Tatbestandsmerkmal „Mittelpunkt“ kann nach räumlichen und zeitlichen Kriterien oder nach der Bedeutung der an verschiedenen Orten ausgeü...