Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BFH Beschluss VI B 95/13 vom 11. 3. 2014
Entscheidungsstichwort (Thema)
Für die Frage, ob erhöhte Werbungskosten nach § 9 Abs. 2 EStG zu berücksichtigen sind, kommt es allein auf die Festsetzung des GdB im Feststellungsbescheid des Versorgungsamts an, nicht auf den Inhalt des Schwerbehindertenausweises
Leitsatz (amtlich)
I. Eine Herabsetzung des Grads der Behinderung (GdB) eines schwerbehinderten Menschen auf unter 70 ist bei der Prüfung, ob erhöhte Werbungskosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gem. § 9 Abs. 2 S. 2 EStG geltend gemacht werden können, ab dem Zeitpunkt des Neufeststellungsbescheids zu berücksichtigen, auch wenn der Steuerpflichtige in der Folgezeit nach sozialrechtlichen Vorschriften während der Dauer des gegen die Herabsetzung des GdB gerichteten Widerspruchs- bzw. Klageverfahrens einen vorläufigen Schwerbehindertenausweis mit einem höheren GdB innehatte.
II. Eine Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens gem. § 74 FGO bis zum Abschluss eines Verfahrens vor dem Sozialgericht wegen der Höhe des GdB ist nicht erforderlich, wenn Ziel des sozialgerichtlichen Verfahrens die Feststellung eines GdB ist, der unter der nach § 9 Abs. 2 EStG erforderlichen Höhe liegen soll, und seitens des Klägers auf die Geltendmachung von Pauschbeträgen gem. § 33b EStG verzichtet wird.
III. Selbst wenn der konkrete Zeitpunkt der Absendung eines Bescheids nicht mehr feststellbar ist, kann das Gericht aus den Gesamtumständen die Überzeugung gewinnen, dass dieser Bescheid dem Steuerpflichtigen sicher vor einem bestimmten Zeitpunkt zugegangen ist.
IV. Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit der Durchführung eines sozialgerichtlichen Verfahrens wegen der Feststellung des GdB können nicht allein deshalb als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit berücksichtigt werden, weil der Steuerpflichtige aus der Feststellung eines - höheren – GdB Vorteile im Arbeitsleben ziehen könnte, da er auch Vorteile in Bereichen der privaten Lebensführung – u.a. bei der Festsetzung von Einkommensteuer – hätte. Kann keine Aufteilung der Aufwendungen erfolgen, müssen sie insgesamt als Kosten der privaten Lebensführung behandelt werden.
V. Ergeben sich aus dem Inhalt des Einspruchsschreibens und dem Vortrag des Steuerpflichtigen im außergerichtlichen Verfahren keine Hinweise darauf, dass mit dem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid auch die mit diesem Bescheid verbundene Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer angegriffen werden sollte, ist eine Klage gegen die Zinsfestsetzung mangels Durchführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens unzulässig.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1, § 9 Abs. 2 S. 2, § 33b Abs. 7;; SGB IX § 69 Abs. 1;; SGB X Abs. 2;; AO § 171 Abs. 10;; FGO § 44 Abs. 1, § 74
Nachgehend
Tatbestand
Streitig sind die einkommensteuerlichen Auswirkungen einer Herabsetzung des Grads der Behinderung (GbB), die Berücksichtigung von Anwaltskosten und die Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer.
Der Kläger war in den Streitjahren als Verwaltungsjurist bei der Landesversicherungsanstalt Speyer (LVA; heute: Deutsche Rentenversicherung) nichtselbständig beschäftigt. Bei dem Kläger war mit Bescheid des Versorgungsamts (später: Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung (im Folgenden: Landesamt)) vom 4. Mai 1994 wegen einer Blutkrankheit (Morbus Hodgkin) ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 festgestellt worden. Nach einer Überprüfung von Amts wegen ging das Landesamt davon aus, dass sich die Grunderkrankung nach Abschluss einer Chemotherapie im Dezember 1994 in Vollremission befunden habe und dass dies spätestens mit Ablauf des Dezember 1999 zu einer wesentlich geringeren Bewertung des GdB führe. Mit Bescheid vom 2. Dezember 1999 (Bl. 110 – 111 Prozessakte) stellte das Landesamt daher den GdB auf 20 fest; dieser Feststellung lag eine andere Erkrankung (Hauterkrankung) zu Grunde. Widerspruchs- und Klageverfahren gegen diese Feststellung blieben erfolglos. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 15. November 2004 wurde mit Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz (LSG) vom 4. Januar 2006 zurückgewiesen. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wies das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 30. November 2006 zurück (s. Bl. 13 – 22, 101 Prozessakte). Am 11. Januar 2007 stellte der Kläger einen Antrag gem. § 44 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) auf Rücknahme des Bescheids vom 2. Dezember 1999, den er damit begründete, dass bereits im Zeitpunkt des Bescheids vom 4. Mai 1994 lediglich die Voraussetzungen für einen GdB von 50 vorgelegen hätten und dass im Zeitpunkt des Bescheids vom 2. Dezember 1999 ebenfalls, wenn auch aus einem anderen Krankheitsbild heraus, ein GdB von 50 vorgelegen habe (s. Bl. 11 - 12 Prozessakte). Das Landesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 31. Januar 2007 ab. Widerspruchs- und Klageverfahren blieben erfolglos, die gegen das Urteil ...