Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Nachweis des vollständigen Zugangs eines mehrere Blätter umfassenden Dokuments durch bloße Behauptung, dass Fehler im Druck- und Versandprozess ausgeschlossen seien
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Behörde kann den ihr obliegenden Nachweis der Vollständigkeit eines versandten Bescheides nicht allein durch den Vortrag erbringen, dass der Druck- und Versandprozess derart elektronisch überwacht sei, dass nach menschlichem Ermessen der Versand eines unvollständigen Bescheids ausgeschlossen werden könne, ohne Unterlagen zur Glaubhaftmachung dieses Vortrags vorzulegen.
2. Einer Annahme, durch die elektronische Überwachung eines Druck- und Versandprozesses sei der Versand eines unvollständigen Schriftstücks praktisch ausgeschlossen, steht es entgegen, wenn aus dem maschinellen Prozess z.B. zum Zwecke der Qualitätskontrolle entnommene Dokumente nach der Bearbeitung durch Mitarbeiter wieder in den Versandprozess eingeschleust werden.
3. Hat der Steuerpflichtige aus der Justizvollzugsanstalt heraus auf ein an die Adresse der Eltern geschicktes Finanzamtsschreiben geantwortet, dabei seinen Aufenthalt in der JVA mitgeteilt, aber nicht beantragt, dass das FA ihm den weiteren Schriftverkehr oder die Einspruchsentscheidung unter der Adresse der JVA bekannt zu geben habe, so durfte das FA weiterhin davon ausgehen, dass es die bisherige Postadresse bei den Eltern auch für den künftigen Kontakt mit dem Steuerpflichtigen nutzen konnte.
Normenkette
EStG § 70 Abs. 1, EStG § 70 Abs. 3; FGO § 79b Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Anspruch der Klägerin auf Kindergeld für ihren Sohn F für den Zeitraum 1. März – 31. Mai 2011 ausgeschlossen ist, weil gegen einen Aufhebungsbescheid nicht rechtzeitig Einspruch erhoben wurde.
Ausweislich der vorgelegten Kindergeldakte forderte die Beklagte die Klägerin am 18. März 2011 auf, Nachweise über die Einkünfte ab März 2011 des am 22. Februar 1993 geborenen Kindes F vorzulegen. Mit Bescheid vom 11. Mai 2011 lehnte die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld ab 1. März 2011 ab, da die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei. Auf der Aktenausfertigung des Bescheids ist handschriftlich neben der Datumsangabe vermerkt "nichts zu finden, auch nicht im Archiv". Die Aktenausfertigung besteht aus 3 Blättern, die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung ist auf Blatt 2, die Rechtsbehelfsbelehrung auf Blatt 3 des Bescheides enthalten (Bl. 3 – 5 Kindergeldakte).
Mit Schreiben vom 13. Dezember 2011 forderte die Beklagte die Klägerin "zur Klärung der Anspruchsvoraussetzungen für die Weiterzahlung von Kindergeld" auf, einen Antrag auf Zahlung von Kindergeld und Unterlagen hierzu vorzulegen (Bl. 6 Kindergeldakte). Nachdem die Klägerin dieser Aufforderung teilweise nachgekommen war, forderte die Beklagte sie am 27. Januar 2012 auf, weitere Angaben zu machen, "um Ihren Anspruch von März 2011 bis Dezember 2011 überprüfen zu können". In ihrem Antwortschreiben vom 11. Februar 2012 verwies die Klägerin auf ein vorangegangenes "nicht so nettes Gespräch" (Bl. 17 Kindergeldakte), das in der vorgelegten Kindergeldakte nicht dokumentiert ist.
Im Bescheid vom 8. März 2012 (s. Bl. 33 – 35 Kindergeldakte) setzte die Beklagte auf Grund des Antrags der Klägerin Kindergeld ab 1. Juni 2011 fest. Den Anspruch für den Zeitraum März – Mai 2011 lehnte sie ab. Insoweit bestehe ein geregelter Zeitraum, in den nicht mehr eingriffen werden könne, da ein bestandskräftiger Bescheid vorliege. Gegen den Aufhebungsbescheid vom 11. Mai 2011 sei kein Einspruch eingelegt worden.
Mit ihrem Einspruch vom 17. März 2012 rügte die Klägerin die Nichtberücksichtigung des Kindergelds für März – Mai 2011. Als Begründung werde ein bestandskräftiger Bescheid benannt, dem sie hätte widersprechen sollen. Ihr sei aber von der Hotline geraten worden, die kompletten Unterlagen erst 2012 einzureichen, da sie sonst bei Überzahlung das komplette Kindergeld zurückzahlen müsse. Dieses Gespräch habe nach dem Bescheid vom 11. Mai 2011 stattgefunden, davor habe es ein weiteres gegeben. Sie habe gefragt, ob sie wirklich das Kindergeld für 2011 erst in 2012 beantragen könne, dies sei bejaht worden. Da ihr später eingefallen sei, dass sie nicht wegen des Familienzuschlags nachgefragt habe, habe sie nochmals angerufen. Auch da sei sie nicht darauf hingewiesen worden, dass sie schriftlich Einspruch einlegen müsse. Man habe sie im Glauben gelassen, dass das im Nachhinein berücksichtigt werden könne. Sie habe der Beklagten zur Absicherung eine Aktennotiz über das letzte Gespräch zukommen lassen, die jetzt als unauffindbar gelte. Das Einspruchsschreiben wurde mittels Einschreiben mit Rückschein versandt, der Briefumschlag trägt einen Poststempel vom 19. März 2012 (Bl. 36 Kindergeldakte). In der Anlage legte sie eine Kopie eines auf den 28. Mai 2011 datierten Schreibens an die Beklagte vor, in dem sie unter der Überschrift "Aktennotiz Gesprächsnotiz" erklärte:
"Für meinen Sohn F (über 18 Jahre alt) wurde die Bezahlung des Kindergelds vorü...