Rz. 41
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Wird ein > Grundlagenbescheid (§ 171 Abs 10 AO), dem Bindungswirkung für einen > Steuerbescheid zukommt, erstmals erlassen, aufgehoben oder geändert, so kann dieser Steuerbescheid ebenfalls erstmals erlassen, aufgehoben oder geändert werden (§ 175 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AO), jedoch nur, soweit die Bindung des Grundlagenbescheids es erfordert (BFH/NV 2001, 1007). Das gilt auch dann, wenn der Grundlagenbescheid sich nicht auf sämtliche Tatbestandsmerkmale erstreckt (BFH/NV 2019, 801). § 175 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AO gebietet die Änderung eines Steuerbescheids, wenn sich dessen Besteuerungsgrundlagen nicht mit den Feststellungen des entsprechenden Grundlagenbescheids decken (BFH/NV 2003, 1286).
Beispiel 1:
A ist an einer Grundstücksgemeinschaft beteiligt. Er hat in seiner ESt-Erklärung den auf ihn entfallenden Anteil der > Einkünfte aus > Vermietung und Verpachtung mit 1 000 EUR angegeben. Das FA hat dementsprechend die ESt-Veranlagung durchgeführt. Nach Unanfechtbarkeit des ESt-Bescheids ergeht ein Feststellungsbescheid für die Grundstücksgemeinschaft. Danach beträgt der auf A entfallende Anteil 2 000 EUR. Der Feststellungsbescheid ist > Grundlagenbescheid Rz 1. Der ESt-Bescheid des A ist deshalb nach § 175 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AO zu ändern.
Beispiel 2:
B hat im Februar 2021 beim Versorgungsamt beantragt, seinen Grad der Behinderung (GdB) von bisher 60 rückwirkend zu erhöhen. Gleichzeitig hat er beim FA die Berücksichtigung eines > Behinderten-Pauschbetrag (§ 33b EStG) im Rahmen der ESt-Veranlagung beantragt. Das FA hat (zunächst) nur den Pauschbetrag für einen GdB von 60 gewährt. Der ESt-Bescheid wird unanfechtbar. Danach bescheinigt das Versorgungsamt ab 2021 einen GdB von 80; die Bescheinigung ist > Grundlagenbescheid Rz 13. Der ESt-Bescheid ist entsprechend zu ändern (§ 175 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AO; H 33b – Allgemeines – EStH). Die Bindungswirkung der Bescheinigung eines GdB von 80 (Grundlagenbescheid) erstreckt sich auch auf den höheren Ansatz von Fahrtkosten nach § 9 Abs 2 Satz 3, 4 EStG (zu diesen Regelungen > Entfernungspasuchale Rz 105 ff).
Rz. 42
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Hatte B abweichend von Beispiel 2 in der ESt-Erklärung noch keinen > Behinderten-Pauschbetrag beantragt und war dieser Antrag vor Eintritt der Unanfechtbarkeit des ESt-Bescheids nicht gestellt worden, weil der Stpfl die Bescheinigung des GdB durch das Versorgungsamt erst später erhalten hat, so kann er im Zuge der Änderung des ursprünglichen Bescheids nachgeholt werden (BFH 145, 545 = BStBl 1986 II, 245; H 33b – Allgemeines – EStH). Ergänzend > Rz 44.
Rz. 43
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Wird bei Erlass eines Folgebescheids ein vorliegender Grundlagenbescheid übersehen, so wird dadurch der Erlass eines auf § 175 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AO gestützten Änderungsbescheids nicht unzulässig (BFH 165, 438 = BStBl 1992 II, 52 mwN). Das FA muss einen Folgebescheid so lange – ggf mehrfach – ändern, bis die Feststellungen aus dem Grundlagenbescheid zutreffend im Folgebescheid erfasst sind (BFH 181, 388 = BStBl 1997 II, 261). Dazu können Fehler, die bei der Auswertung eines Grundlagenbescheids unterlaufen sind, nachträglich richtiggestellt werden (BFH/NV 1994, 1), selbst wenn der Folgebescheid mehrfach geändert werden muss (BFH/NV 2005, 996). Die Verpflichtung zur vollen Anpassung des Folgebescheids an den Grundlagenbescheid besteht auch dann noch, wenn der Grundlagenbescheid geändert wird (BFH/NV 1994, 2; 2003, 1286). Zur korrekten Umsetzung des Inhalts eines Grundlagenbescheids im Folgebescheid vgl wegen weiterer Einzelheiten > Grundlagenbescheid Rz 1 mwN. Zur > Verjährung von Steueransprüchen > Grundlagenbescheid Rz 2.
Rz. 43/1
Stand: EL 128 – ET: 11/2021
Beachtet das FA einen bei ihm bereits vorliegenden Grundlagenbescheid nur versehentlich nicht, so ist dies eine > Offenbare Unrichtigkeit des Folgebescheids (BFH 203, 14 = BStBl 2003 II, 867). Beim Übersehen eines Grundlagenbescheids kann der Folgebescheid also ggf auch nach § 129 AO geändert werden; § 175 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AO geht dem § 129 AO nicht als lex specialis vor.