Rz. 16
Stand: EL 131 – ET: 09/2022
Verträge mit anderen Staaten bedürfen der Umsetzung in unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht durch ein Zustimmungsgesetz (Art 59 Abs 2 GG; § 2 Abs 1 AO). Damit erlangen sie die Rechtsqualität eines "einfachen" Bundesgesetzes.
Ebenso wie andere Gesetze können auch DBA durch eine spätere andere Regelung ersetzt werden. Geschieht dies im Einvernehmen mit dem anderen Staat, zB durch ein Änderungsprotokoll zum DBA, ergeben sich insoweit keine Besonderheiten. Zulässig ist nach der Entscheidung BVerfG 141, 1 vom 15.12.2015 – 2 BvL 1/12 "Treaty Override" (DStR 2016, 359 = HaufeIndex 9 065 283) aber auch die einseitige Änderung des innerstaatlichen Rechts, abweichend von den Regelungen des DBA, weil spätere Gesetzgeber in der Lage sein müssen – mutmaßlich dem Wählerwillen entsprechend – frühere Rechtssetzungsakte zu revidieren. Eine solche Abkommensüberschreibung ("treaty override") ist zwar völkerrechtlich ein Vertragsbruch, führt aber dennoch zur innerstaatlichen Änderung des Rechts. Diese Rechtsfolge ist nach Ansicht des BVerfG auch deshalb erforderlich, weil es dem Gesetzgeber ggf verwehrt ist, ein DBA zu kündigen (vgl ergänzend BVerfG 68, 1 [88] vom 18.12.1984 – 2 BvE 13/83 "Atomwaffenstationierung, Pershing II, Nato-Doppelbeschluß", NJW 1985, 603).
In der Literatur wird dazu unter Hinweis auf das abweichende Sondervotum der Richterin König zum vorgenannten 2015er-Urteil des BVerfG die Auffassung vertreten, dass eine differenziertere Abwägung zwischen dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip der Vorzug zu geben sei, wobei dazu besondere Rechtfertigungsgründe zu entwickeln seien, die das Überschreiben eines Vertrages zuließen (vgl T/K/Drüen, § 2 AO Rz 56). Das BVerfG hat jedoch mit seiner Entscheidung dem Demokratieprinzip absoluten Vorrang vor dem Rechtsstaatsprinzip (das verlangt, dass Verträge einzuhalten sind) eingeräumt.
Rz. 17
Stand: EL 131 – ET: 09/2022
Der Grundsatz "pacta sunt servanda" ("Verträge sind einzuhalten") gilt nach Art 28 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge – WÜRV – (BGBl 1985 II, 926) auch für Verträge zwischen Staaten. Ist ein Vertrag in Kraft, so bindet er die Vertragsstaaten und ist von ihnen nach > Treu und Glauben zu erfüllen. Als Folge des Vertragsbruchs kann der andere Staat den Vertrag beenden oder ganz oder teilweise suspendieren, sofern die Vertragsverletzung als erheblich einzustufen ist (vgl Art 60 WÜRV). Einem einzelnen Stpfl erwachsen aus der Vertragsverletzung jedoch keine Rechte, da er selbst nicht Vertragspartei ist.
Rz. 18
Stand: EL 131 – ET: 09/2022
Nach § 2 Abs 1 AO haben DBA Vorrang vor den Steuergesetzen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass DBA höherrangig sind als die Steuergesetze, denn in beiden Fällen handelt es sich um einfache Bundesgesetze. Dies kann durch eine Bestimmung in der AO nicht geändert werden. Mit dieser Vorschrift bringt der Gesetzgeber jedoch zum Ausdruck, dass die Gültigkeitsregel für Rechtsnormen, wonach ein jüngeres Gesetz Vorrang vor einem älteren hat ("lex posterior derogat legi priori"), nicht im Verhältnis von Steuergesetzen zu DBA gelten soll. Der Gesetzgeber will weder bei jeder Steuerrechtsänderung prüfen müssen, ob dadurch eine Vereinbarung in einem DBA betroffen ist, noch in jedem Steuergesetz eine Vorbehaltsklausel aufnehmen. Dieser allgemeine Vorbehalt in § 2 Abs 1 AO bedeutet jedoch nicht, dass der Gesetzgeber nicht befugt wäre, durch ein Steuergesetz bewusst Regelungen eines DBA außer Kraft zu setzen (> Rz 16).
Rz. 19
Stand: EL 131 – ET: 09/2022
Randziffer einstweilen frei.