Rz. 26
Stand: EL 135 – ET: 08/2023
Ermessensfehler können darin bestehen, dass die FinBeh kein Ermessen ausübt, obwohl das Gesetz dieses vorschreibt (Ermessensnichtgebrauch), sowie darin, dass ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt. Werden die gesetzlichen Grenzen der Ermessensausübung – des Ermessensspielraums – nicht beachtet, ist der > Verwaltungsakt, der auf der Ermessensentscheidung beruht, wegen Ermessensfehlgebrauchs (Ermessensüberschreitung oder Ermessensmissbrauch) rechtswidrig.
Beispiel 2:
Der Stpfl B hat seine ESt-Erklärung für den VZ 2021 zehn Tage verspätet abgegeben, weil er erkrankte. Das FA setzt daraufhin einen > Verspätungszuschlag in Höhe von 25 EUR fest und begründet dies mit der Formulierung: "Weil Sie Ihre Steuererklärung verspätet abgegeben haben, war ein Verspätungszuschlag in Höhe von 25 EUR festzusetzen."
Sowohl die (lediglich allgemeine) Formulierung der Begründung, als auch der Umstand, dass das FA den Verspätungszuschlag bei einer nur kurzfristigen Verspätung festgesetzt hat, sprechen dafür, dass kein Ermessen ausgeübt wurde und die Festsetzung des Verspätungszuschlags somit rechtswidrig ist.
Beispiel 3:
Die frühere ArbN C ist seit dem 01.01.2021 Rentenempfängerin und aufgrund einer Äußerung "ihres" Sachbearbeiters im FA in dem Glauben, ihre Rente sei so gering, dass sie keine ESt zahlen müsse. Die Aufforderung des FA, bis zum 20.10.2022 eine > Steuererklärung für den VZ 2021 abzugeben, wird von ihr deshalb auch zunächst ignoriert. Erst nachdem das FA androht, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen (> Schätzung), gibt sie am 10.01.2023 eine Steuererklärung ab. Die für den VZ 2022 festzusetzende ESt beträgt 96 EUR. Gleichzeitig mit dem > Steuerbescheid setzt das FA einen > Verspätungszuschlag iHv 100 EUR fest.
Die Festsetzung des Verspätungszuschlags ist rechtswidrig, weil das FA den Ermessensspielraum nicht eingehalten hat. Ein Verspätungszuschlag darf bei der geringen Steuerschuld höchstens in Höhe von 25 EUR pro angefangenen Monat der Säumnis festgesetzt werden. Wurde ein(e) Stpfl von der FinBeh erstmals nach Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist zur Abgabe einer Steuererklärung innerhalb einer dort bezeichneten Frist aufgefordert und konnte sie/er bis zum Zugang dieser Aufforderung davon ausgehen, keine Steuererklärung abgeben zu müssen, so ist der Verspätungszuschlag nur für die Monate zu berechnen, die nach dem Ablauf der in der Aufforderung bezeichneten Erklärungsfrist begonnen haben. Der Verspätungszuschlag darf somit nur für die Säumnis vom 20.10.2022 bis 10.01.2023, das sind knapp 3 Monate, also nur in Höhe von (3 × 25 EUR) = 75 EUR festgesetzt werden.
Rz. 27
Stand: EL 135 – ET: 08/2023
Insoweit kann die Ermessensausübung der Finanzbehörde im Rechtsbehelfsverfahren gegen den > Verwaltungsakt gerichtlich überprüft werden (§ 102 FGO; > Rechtsbehelfe). Die FinBeh muss die für die Ermessensausübung maßgebenden Gründe in ihrer Entscheidung darlegen (zu einem Anwendungsfall > Haftung für Lohnsteuer Rz 200 ff [204/207]). Fehlt bei einer Ermessensentscheidung jegliche Begründung, ist dies ein Indiz für einen Ermessensnichtgebrauch.
Eine Ermessensentscheidung muss spätestens in der Einspruchsentscheidung begründet werden, anderenfalls ist sie idR fehlerhaft (vgl BFH 155, 243 = BStBl 1989 II, 219; BFH 200, 200 = BStBl 2003, 160). Zur Begründung des Auswahlermessens hat der BFH jedoch erkannt, dass es einer besonderen Begründung der Ermessensbetätigung nicht bedarf, wenn die Ermessensentscheidung im Falle einer vorsätzlichen Steuerstraftat derart vorgeprägt ist, dass die Inanspruchnahme des Täters billig und gerecht sowie eine andere Auswahlentscheidung ermessensfehlerhaft wäre (vgl BFH 224, 306 = BStBl 2009 II, 478; BFH/NV 2007, 1822).
Die FinBeh kann ihre Ermessenserwägungen noch bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz (FG) vertiefen, verbreitern oder verdeutlichen. Sie ist jedoch nicht befugt, ihre Ermessenserwägungen erst beim FG anzustellen, die Ermessensgründe auszuwechseln oder vollständig nachzuholen (BFH 205, 14 = BStBl 2004 II, 579). Für das FG ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der (letzten) Verwaltungsentscheidung maßgebend (BFH 134, 79 = BStBl 1981 II, 740). Das gilt nach hM auch für Verpflichtungsklagen, es sei denn, es liegt eine gebundene Entscheidung vor, bei der auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des FG abzustellen ist (BFH 122, 376 = BStBl 1977 II, 706; BFH 210, 265 = BStBl 2006 II, 184; BFH 236, 283 = BStBl 2012 II, 477). H/H/Sp/Wernsmann, § 5 AO Rz 235 ff will dagegen bei Verpflichtungsklagen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht abstellen. Wird ein > Verwaltungsakt, der wegen eines Ermessensfehlers rechtswidrig ist, nicht durch > Rechtsbehelfe angefochten, wird er bestandskräftig (> Bestandskraft) und damit wirksam.
Rz. 28
Stand: EL 135 – ET: 08/2023
Stellt das Finanzgericht einen Ermessensfehlgebrauch fest, hebt es den angefochtenen Verwaltungsakt auf. Es ist nicht berechtigt, nach seinem Ermessen zu entscheiden, ob...