Rz. 1
Stand: EL 135 – ET: 08/2023
Das FA hat den für die Besteuerung maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (§ 88 Abs 1 AO; vgl dazu im Einzelnen AEAO zu § 88); wegen der Prüfungsgrundsätze bei der > Außenprüfung vgl § 199 AO. Dies gilt für das gesamte Besteuerungsverfahren, dh auch bei Entscheidungen iRd > Billigkeit. Das FA bestimmt nach eigenem pflichtgemäßen > Ermessen (§ 5 AO) Art und Umfang der Ermittlungen und ist an das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten nicht gebunden. Das bedeutet jedoch nicht, dass das FA Anträge und Hinweise der Beteiligten unberücksichtigt lassen darf, sondern nur, dass es von solchen Anträgen nicht abhängig ist. Das FA kann sich vielmehr aller Beweismittel bedienen, die es nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich hält. Dabei hat es jedoch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, nach dem das eingesetzte Mittel zur Ermittlung des Sachverhalts geeignet und erforderlich sein muss. Geeignet ist ein Mittel, wenn es den gewünschten Erfolg erreicht oder befördert. Erforderlich ist es, wenn es kein anderes Mittel gibt, das gleich wirksam und dabei für den Stpfl weniger belastend ist (vgl BFH 239, 19 = BStBl 2014 II, 220; BFH 276, 555 = BFH/NV 2022, 1266, dazu zB Hilbert, NWB 2022, 2945 und Schwindt/Blesius, DStR 2023, 1459).
Rz. 2
Stand: EL 135 – ET: 08/2023
Das FA ist nicht verpflichtet, den Sachverhalt auf alle Eventualitäten hin zu erforschen. IdR kann davon ausgegangen werden, dass die Angaben in der > Steuererklärung vollständig und richtig sind (BFH 151, 333 = BStBl 1987 II, 415). Eindeutigen Erklärungen des Stpfl braucht das FA nicht mit Misstrauen zu begegnen (BFH 206, 303 = BStBl 2004 II, 911; BFH/NV 2005, 501). Dies gilt auch dann, wenn die Angaben des Stpfl eine Mischung von Tatsachen und rechtlicher Würdigung enthalten zB bei Erklärung von Abfindungszahlungen, die ermäßigt zu versteuern sind (BFH 214, 319 = BStBl 2006 II, 835; BFH/NV 2005, 834). Sich widersprechende Behauptungen eines Stpfl muss das FA jedoch aufklären (vgl BFH 145, 549 = BStBl 1986 II, 486). Das FA verletzt seine Ermittlungspflicht auch dann, wenn es ausdrücklich auf die Abgabe einer > Steuererklärung verzichtet und den Stpfl lediglich auffordert, bestimmte Informationen zu geben (vgl BFH 260, 306 = BStBl 2018 II, 419). Die Grenzen der Ermittlungspflicht liegen dort, wo die Aufklärung einen nicht mehr zumutbaren Aufwand an Zeit und Arbeit erfordern würde (zu Zweckmäßigkeitserwägungen vgl BVerfG vom 20.06.1973 – 1 BvL 9/71, 1 BvL 10/71, BStBl 1973 II, 720). Das FA verletzt aber seine Aufklärungspflicht, wenn es Tatsachen oder Beweismittel außer Acht lässt und Zweifeln nicht nachgeht, die sich ihm den Umständen nach aufdrängen mussten (BFH/NV 2006, 1445; 2007, 1632). Bei der erstmaligen Steuerfestsetzung hat das Bedeutung für die Änderung von Steuerbescheiden, zB aufgrund neuer Tatsachen; dazu > Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten Rz 14ff (AEAO zu § 173 Tz 4).
Rz. 3
Stand: EL 135 – ET: 08/2023
Die Unzumutbarkeit weiterer Sachverhaltsaufklärung durch das FA kann auch darauf beruhen, dass der Beteiligte das ihm zumutbare Maß an Mitwirkung nicht erfüllt (§ 90 AO). Das gilt besonders bei Auslandssachverhalten, bei denen die Beteiligten wegen der rechtlichen Beschränkungen für staatliche Ermittlungshandlungen erweiterte > Mitwirkungspflichten haben (vgl § 90 Abs 2 AO). Bei Verletzung der Mitwirkungspflicht ist uU eine > Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) zulässig (BFH 145, 502 = BStBl 1986 II, 318). Nicht erforderlich ist, dass das FA zuvor versucht hat, die Mitwirkung zu erzwingen (> Erzwingungsmaßnahmen). Liegen sowohl eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das FA als auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Stpfl vor, sind die beiderseitigen Pflichtverstöße grundsätzlich gegeneinander abzuwägen (BFH/NV 2004, 1502).
Rz. 4
Stand: EL 135 – ET: 08/2023
Im Rahmen der Ermittlungspflicht ist das FA auch gehalten, die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen (§ 88 Abs 2 AO; vgl auch § 199 Abs 1 AO). Dabei sollen Anträge oder Erklärungen zugunsten der Stpfl in Fällen angeregt werden, die offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis nicht gestellt oder unrichtig abgegeben wurden (§ 89 AO). Ist zB ein Einspruchsschreiben eines Stpfl auslegungsbedürftig, muss das FA die bestehenden Unklarheiten durch Rückfrage beim Stpfl klären (EFG 1981, 113). Das FA soll – soweit erforderlich – die Stpfl über ihre Rechte und Pflichten belehren. Die "Auskunftserteilung" darf aber nicht zu einer allgemeinen Steuerberatung führen, die den steuerberatenden Berufen vorbehalten ist (> Hilfe in Steuersachen, > Lohnsteuer-Hilfevereine, > Steuerberater). Wegen der besonderen Anrufungsauskunft in Lohnsteuersachen (§ 42e EStG) durch das > Betriebsstätten-Finanzamt vgl > Auskünfte und Zusagen des Finanzamts Rz 9 ff. Ergänzend vgl AEAO zu § 89.
Rz. 5
Stand: EL 135 – ET: 08/2023
Durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.07.2016 (BG...