Rz. 160
Stand: EL 126 – ET: 04/2021
Hat der gesetzliche Vertreter usw (> Rz 155) die Löhne im Vertrauen darauf ungekürzt ausgezahlt, er könne Steuerrückstände nach Behebung der Liquiditätsschwierigkeiten ausgleichen, so ist er damit bewusst das Haftungsrisiko eingegangen. Ist jedoch erst zwischen den Zeitpunkten der Lohnzahlung und der Fälligkeit der Steuerabzüge eine unvorhersehbare Verschlechterung der Liquidität eingetreten, kann es dem gesetzlichen Vertreter usw nicht als Verschulden angelastet werden, dass er die Löhne voll ausgezahlt hat (vgl BFH 163, 119 = BStBl 1991 II, 282; BFH/NV 1994, 142 mwN). Führt ein gesetzlicher Vertreter usw aber grob fahrlässig eine vorzeitige Kündigung der Kreditlinie der Bank herbei, so kann er sich nicht darauf berufen, im Zeitpunkt der Fälligkeit der LSt sei der Vermögensverfall der Gesellschaft für ihn unvorhersehbar gewesen (EFG 1998, 1303). Ein gesetzlicher Vertreter usw haftet außerdem nicht, wenn er darauf vertrauen konnte, dass die LSt-Schuld seinem Antrag entsprechend aus einem USt-Guthaben getilgt werde (BFH/NV 1987, 74); ebenso, wenn die LSt-Rückstände bereits getilgt wären, wenn das FA die vollstreckten Gelder entsprechend der Tilgungsreihenfolge des § 225 AO verbucht haben würde (EFG 1998, 914). Im Übrigen haftet der GmbH-Gf bei einer verspätet abgegebenen > Steuererklärung (zB > Lohnsteuer-Anmeldung) nur dann für die ausgefallene Steuer, wenn diese bei rechtzeitiger Abgabe der Steuererklärung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls hätte realisiert werden können (BFH/NV 2007, 1067). Zur Kontendeckung bei widerrufbarem Lastschrifteinzug vgl BFH/NV 2008, 922.
Rz. 161
Stand: EL 126 – ET: 04/2021
Einwendungen des gesetzlichen Vertreters usw (> Rz 155), er sei durch die (Mit-)Gesellschafter an der Erfüllung seiner Pflichten gehindert worden oder er habe sich auf Mitarbeiter verlassen (> Rz 163), sind idR unbeachtlich (BFH 205, 14 = BStBl 2004 II, 579; BFH/NV 2005, 827; 2010, 2227: ergänzend > Rz 2/1). Ebenso wenn er von "politischer Seite" bestärkt wurde, sein in der Krise befindliches Unternehmen fortzuführen (FG des Saarlandes vom 15.01.2008 – 2 K 2338/01 = HaufeIndex 1 934 379, NZB als unzulässig verworfen, BFH-Beschluss vom 14.8.2008 – VII B 44/08, nicht dokumentiert). Gleiches gilt für den Einwand, die angemeldete und bestandskräftig festgesetzte LSt-Schuld, also die Steuer, für die gehaftet werden soll, bestehe dem Grunde und der Höhe nach nicht (vgl EFG 1991, 3; vgl auch BFH 72, 468 = BStBl 1961 III, 171; BFH/NV 1996, 285; > Rz 170 f) oder das FA habe über einen längeren Zeitraum den LSt-Abzug nicht überwacht oder LSt nicht beigetrieben (kein Mitverschulden – BFH 125, 508 = BStBl 1978 II, 683; BFH/NV 1998, 1450). Nach § 166 AO müssen zudem diejenigen Personen, die als Vertreter oder Bevollmächtigte des Stpfl oder kraft eigenen Rechts den gegen den Stpfl erlassenen Bescheid hätten anfechten können, diesen gegen sich gelten lassen. Das gilt auch, wenn die Steuer angemeldet worden ist (BFH/NV 2003, 1540) oder wenn der gesetzliche Vertreter die Festsetzung kraft eigenen Rechts erfolglos angefochten hat (EFG 2007, 1050). Anders jedoch, wenn er nicht während der gesamten Dauer der Rechtsbehelfsfrist Vertretungsmacht und damit das Recht gehabt hat, namens der GmbH zu handeln (BFH 207, 5 = BStBl 2005 II, 127). Einwendungen gegen eine Haftungsschuld sind aber zulässig. So zB, die LSt-Schuld sei erloschen, ein anderer Haftungsschuldner habe die Steuerschuld getilgt oder seine Inanspruchnahme sei ermessensfehlerhaft (T/K/Krumm, § 166 AO Rz 8).
Rz. 162
Stand: EL 126 – ET: 04/2021
Befindet sich die vertretene Gesellschaft in einer wirtschaftlichen Krise, ist der gesetzliche Vertreter dazu verpflichtet, sich um die ordnungsgemäße Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten selbst zu kümmern (EFG 1998, 617). Fehlt eigene Sachkunde, ist ggf ein > Steuerberater beizuziehen, eine Auskunft des FA einzuholen (> Auskünfte und Zusagen des Finanzamts Rz 9 ff) oder möglicherweise eine > Außenprüfung der LSt oder eine > Lohnsteuer-Nachschau zu beantragen. Bei drohender Insolvenz der GmbH kann die Pflicht des GmbH-Gf zur Sicherung der Masse seine Verpflichtung zur Abführung der LSt allenfalls in den drei Wochen aufheben, die ihm ab Kenntnis der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der GmbH nach § 15a Abs 1 InsO eingeräumt sind, um die Sanierungsfähigkeit der GmbH zu prüfen und Sanierungsversuche durchzuführen. Nur in diesem Zeitraum kann das die Haftung nach § 69 AO begründende > Verschulden ausgeschlossen werden (BFH 216, 491 = BStBl 2009 II, 348). Die Funktion und der Schutzzweck des in § 69 AO normierten Haftungstatbestands schließen die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe aus. Deshalb entfällt die Haftung nicht dadurch, dass der Steuerausfall unter Annahme einer hypothetischen Anfechtung gedachter Steuerzahlungen durch den > Insolvenzverwalter ebenfalls entstanden wäre (BFH 217, 233 = BStBl 2008 II, 273 mwN; BFH 217, 209 = BStBl 2009 II, 622; aA Nacke, DStR...