Rz. 1
Stand: EL 112 – ET: 05/2017
Steuern dürfen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) festgesetzt werden, solange das FA den Fall nicht abschließend geprüft hat (§ 164 Abs 1 AO). Das beschleunigt die Bearbeitung, weil die Steuer idR ohne nähere Prüfung nach der Steuererklärung festgesetzt wird. Das FA darf jedoch auch bei einer Steuerfestsetzung unter VdN von der Steuererklärung abweichen (BFH 139, 137 = BStBl 1984 II, 6). Die Steuerfestsetzung unter dem VdN unterscheidet sich von einer vorläufigen Steuerfestsetzung (§ 165 AO; > Vorläufigkeit) besonders dadurch, dass der VdN stets den ganzen Regelungsinhalt des Steuerbescheids erfasst. Der VdN ist zulässig, wenn der Steuerfall im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids noch nicht abschließend geprüft ist (> Bekanntgabe von Steuerverwaltungsakten). Das FA muss eine abschließende Prüfung bei Festsetzung unter VdN jedoch weder beabsichtigen noch tatsächlich durchführen.
Rz. 2
Stand: EL 112 – ET: 05/2017
Es handelt sich um eine Ermessensvorschrift (> Ermessen). Anwendungsbereich des § 164 AO sind alle Festsetzungen, für die die Vorschriften über das Steuerfestsetzungsverfahren gelten, also Steuerbescheide (auch Freistellungsbescheide) und diesen gleichgestellte Bescheide über Steuervergütungen, Zulagen, gesonderte Feststellungen, Steuermessbeträge und Zinsen (vgl AEAO zu § 164 Nr 2), aber auch Bescheide über die Festsetzung von Wohnungsbau-Prämien und ArbN-Sparzulage (> Vermögensbildung der Arbeitnehmer). Haftungsbescheide ergehen demnach nicht unter dem VdN; denn sie sind keine Steuerbescheide, sondern sonstige Verwaltungsakte (> Haftung für Lohnsteuer Rz 191).
Rz. 3
Stand: EL 112 – ET: 05/2017
Der Vorbehalt ist im Bescheid ausdrücklich anzugeben, wenn er nicht kraft Gesetzes gilt wie bei der Feststellung der > Lohnsteuerabzugsmerkmale (§ 39 Abs 1 Satz 4 EStG; ergänzend > Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren Rz 25), bei > Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer (§ 164 Abs 1 Satz 2 AO) und bei der > Lohnsteuer-Anmeldung (§ 168 AO). Der kraft Gesetzes für eine Steueranmeldung geltende VdN entfällt, wenn das FA nach Eingang der Steuererklärung erstmals einen Steuerbescheid ohne Nachprüfungsvorbehalt erlässt (BFH 190, 288 = BStBl 2000 II, 284).
Rz. 4
Stand: EL 112 – ET: 05/2017
Der VdN verhindert den Eintritt der materiellen Bestandskraft der Steuerfestsetzung. Deshalb darf das FA den Bescheid, solange der VdN wirksam ist – beschränkt lediglich durch § 176 AO – jederzeit aufheben oder ändern (§ 164 Abs 2 AO; > Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten Rz 5, 6). Der VdN kann auch in Einspruchsentscheidungen aufrechterhalten oder – als Verböserung – erstmals aufgenommen werden (BFH 139, 135 = BStBl 1984 II, 85). Hebt das FA den VdN während des Einspruchsverfahrens auf, so wird der Bescheid, mit dem der VdN aufgehoben wird, Gegenstand des Einspruchsverfahrens (BFH 199, 482 = BStBl 2003 II, 112). An die in einem vorhergegangenen Rechtsbehelfsverfahren getroffene Gerichtsentscheidung ist das FA jedoch uE gebunden, soweit diese reicht. Ergeht der Änderungsbescheid erneut unter dem VdN, soll darauf der Klarheit halber vermerkt werden, ob der Bescheid weiterhin unter VdN steht oder dieser aufgehoben wird (AEAO zu § 164 Nr 6). Fehlt ein derartiger Vermerk, bleibt der Vorbehalt gleichwohl bestehen (BFH 141, 492 = BStBl 1984 II, 788; BFH 143, 299 = BStBl 1985 II, 448; BFH 175, 391 = BStBl 1995 II, 2; ergänzend > Rz 5). Der VdN gilt auch bei Änderung der Steuerklasse ohne ausdrücklichen Hinweis fort (BFH/NV 2006, 547). Nach Bekanntgabe der Aufhebung des VdN kann die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung – vorbehaltlich §§ 172 ff AO – nicht mehr auf § 164 Abs 2 AO gestützt werden. Auch wenn der Erstbescheid, zB auf einer Schätzung beruhend, ohne Vorbehaltsvermerk ergangen ist und nachträglich die Steuererklärung eingereicht wird, darf der daraufhin ergehende Änderungsbescheid nur mit Zustimmung des Stpfl unter dem VdN ergehen (BFH 132, 5 = BStBl 1981 II, 150).
Rz. 5
Stand: EL 112 – ET: 05/2017
Das FA kann den VdN – soweit er nicht kraft Gesetzes wirkt (> Rz 3) – jederzeit, auch ohne abschließende Prüfung oder Anhörung des Stpfl (BFH 186, 9 = BStBl 1998 II, 502), aufheben (§ 164 Abs 3 AO). Die Aufhebung des VdN bedarf keiner Begründung (BFH 181, 5 = BStBl 1997 II, 5). Der Aufhebungsbescheid wird schriftlich oder elektronisch erteilt und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen (§ 164 Abs 3 iVm § 157 Abs 1 Satz 1, 3 und § 87a Abs 4 AO). Da die Aufhebung des VdN wie ein Steuerbescheid behandelt wird, ist gegen ihn der Einspruch gegeben (> Rechtsbehelfe Rz 6). Gegen die Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts in der Einspruchsentscheidung ist die Klage gegeben (BFH 139, 135 = BStBl 1984 II, 85). Mithin fällt der VdN (außer bei Erlöschen wegen Zeitablaufs, > Rz 7) nur weg, wenn er ausdrücklich aufgehoben worden ist. Eine Steuerfestsetzung bleibt deshalb auch dann unter dem VdN, wenn bei einem (zB auf Grund eines Einspruchs) geänderten Steuerbescheid der Vorbehaltsvermerk nicht wiede...