Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufwendungen für Unterbringung in Seniorenheim als außergewöhnliche Belastung nach § 33 Abs. 1 EStG
Leitsatz (redaktionell)
- Im Falle einer Heimunterbringung kann der Tatbestand des § 33 EStG erfüllt sein, wenn der Aufenthalt ausschließlich durch eine Krankheit veranlasst ist. Eine Unterscheidung zwischen „normalen&” und alterbedingten Erkrankungen ist hierbei nicht vorzunehmen. Auch häufig im Alter auftretendende Krankheiten können eine krankheitsbedingte Unterbringung rechtfertigen.
- Der Aufenthalt in einem Seniorenheim kann auch dann krankheitsbedingt sein, wenn eine ständige Pflegebedürftigkeit (noch) nicht gegeben ist.
- Der Höhe nach sind Aufwendungen jedoch nicht über den Betrag berücksichtigungsfähig, der rechnerisch auf eine übliche Wohnfläche in einem Seniorenheim von 30 qm entfällt.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 2, 1, § 35a Abs. 3, 2
Streitjahr(e)
2015
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen im Zusammenhang mit der Unterbringung der Klägerin in einer Seniorenresidenz als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG.
Die am 5. Oktober 1929 geborene Klägerin bewohnt seit dem 15. November 2014 ein Apartment in einer Seniorenresidenz. Aus dem Wohnvertrag entstanden der Klägerin im Streitjahr für die ca. 63,70 qm große mit einer Küchenzeile, 2 Balkonen, 2 Bädern und einem Kellerraum ausgestattete 2-Zimmer-Wohnung Aufwendungen in Höhe von 33.883,50 € für Miete mit Nebenkosten. Die Klägerin war nicht im Pflegebereich des Altersheims untergebracht, auch bezog sie keine Pflegeleistungen.
Mit Bescheid des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie vom 26. Januar 2017 wurde für die Klägerin rückwirkend ein Grad der Behinderung von 50 ohne zusätzliche Merkzeichen festgestellt. In der Begründung zur Entscheidung werden als Funktionsbeeinträchtigung eine Osteoporose-Kalksalzminderung des Knochens mit Wirbelkörperbruch, chronischer Schmerz sowie eine chronische Bronchitis genannt.
Nach einem Attest ihres Hausarztes vom 15. Juni 2017 ist die Klägerin aufgrund ihrer diversen Krankheiten seit dem 1. Oktober 2014 derart in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt, dass sie sich nicht mehr im eigenen Haushalt selbst versorgen kann. Eine Unterbringung in einem Senioren- und Pflegeheim sei daher aus ärztlicher Sicht ab diesem Zeitpunkt dauerhaft unumgänglich, da es sich um chronische Krankheitsbilder handele und eine Verbesserung sich nicht mehr einstellen werde. Nach einem vom Gericht im Klageverfahren eingeholten weiteren Attest desselben Arztes vom 9. April 2018 litt die Klägerin an einer schweren Osteoporose, einer fortgeschrittenen verschleißbedingten Veränderung der gesamten Wirbelsäule sowie der Knie- und Hüftgelenke und daraus resultierend schwersten Schmerzen im Bereich des Rückens und der Beine. Die Schmerzen seien teilweise so ausgeprägt gewesen, dass die Klägerin gelähmt gewesen sei. Zudem habe eine mittelgradige Depression bestanden. Die Klägerin habe bereits, als sie noch in ihrer Wohnung gelebt habe, eine private Hilfe zur Pflege und Haushaltsführung engagiert, trotzdem seien ihre gesundheitlichen Probleme so stark geworden, dass ein Verbleib in der Wohnung nicht mehr möglich gewesen sei. Der Umzug in das Pflegeheim habe letztlich zu einer erheblichen Erleichterung der Situation der Klägerin geführt.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Stellungnahmen des behandelnden Arztes Dr. med. S vom 15. Juni 2017 und vom 9. April 2018 Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 5. Oktober 2016 wurde die Klägerin zur Einkommensteuer für 2015 veranlagt, wobei die Beklagte, das Finanzamt (FA), die als außergewöhnliche Belastung gem. § 33 EStG geltend gemachten Aufwendungen für die Seniorenresidenz nicht berücksichtigte, weil sie nicht außergewöhnlich im Sinne des § 33 EStG seien. Den Einspruch hiergegen wies das FA mit Bescheid vom 4. September 2017 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, Aufwendungen eines nicht pflegebedürftigen Steuerpflichtigen für seine altersbedingte Unterbringung in einem Alters- oder Pflegeheim seien als typische Kosten der Lebensführung nicht zwangsläufig und keine außergewöhnliche Belastung. Der fehlende Ausweis des Merkmals H für Hilfslosigkeit in der Feststellung der Schwerbehinderung lasse darauf schließen, dass für die Klägerin keine Notwendigkeit für eine fremde Hilfe für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens bestanden habe. Die in der Begründung des Landesamtes genannten drei Funktionsbeeinträchtigungen reichten für die Beurteilung des Vorliegens eines krankheitsbedingten Aufenthaltes in einem Seniorenheim nicht aus. Aus der Pauschalangabe „diverser Krankheiten&” in dem ärztlichen Attest, lasse sich keine Notwendigkeit einer krankheitsbedingten Unterbringung in der Seniorenresidenz herleiten. Auch die weitere allgemeine Aussage einer eingeschränkten Alltagskompetenz sei ohne sachliche Konkretisierungen er...