Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung der Umsätze von Prostituierten
Leitsatz (redaktionell)
- Eine Prostituierte erbringt mit sexuellen Dienstleistungen gegen Entgelt steuerpflichtige sonstige Leistungen i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG.
- Zu den Anforderungen der Durchsetzung des Gleichheitssatzes gemäß Art. 3 GG im Steuerrecht.
- Soweit die Besteuerung bei manchen Prostituierten unterlassen oder nur lückenhaft durchgeführt wird, rechtfertigt dies nicht, im Fall anderer Prostituierter von einer Besteuerung abzusehen.
- Es ist nicht davon auszugehen, dass bei der Besteuerung der Umsätze aus sexuellen Dienstleistungen Prostituierter eine durch Vollzugsmängel hervorgerufene Belastungsungleichheit besteht, die zu einer gleichheitswidrigen Benachteiligung führt.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1
Streitjahr(e)
2002, 2003, 2004, 2005, 2006
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin war mit der Erbringung sexueller Dienstleistungen als Unternehmerin selbständig tätig.
Für die Streitjahre hatte sie keine Steuererklärungen abgegeben. Im Rahmen eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wurden auf ihrem Computer Aufzeichnungen über ihre Einnahmen sichergestellt. Der Beklagte schätzte die Besteuerungsgrundlagen der Klägerin auf Grundlage der Auswertungen dieser Aufzeichnungen und setzte die Umsatzsteuer für die Streitjahre mit Umsatzsteuerbescheiden vom 19. November 2007 fest. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein und gab für die Streitjahre 2002–2005 Steuererklärungen ab. Der Beklagte folgte den Steuererklärungen, wobei er die Vorsteuern um die im Schreiben des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen vom 26. Mai 2008 aufgeführten Beträge kürzte und setzte die Umsatzsteuer entsprechend fest. Für das Streitjahr 2006 beließ er es bei der Schätzung, da keine Steuererklärung abgegeben war. Mit Einspruchsbescheid vom 30. Oktober 2008 setzte der Beklagte die Umsatzsteuer für die Streitjahre 2002–2005 entsprechend herab und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Hiergegen richtet sich die Klage.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Besteuerung ihrer Umsätze wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) aufgrund eines strukturellen Vollzugsdefizits im Bereich der Besteuerung von Prostitutionsleistungen verfassungswidrig sei. Die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens werde in ihrem Fall verfehlt, da der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden könne. Der Steuergesetzgeber habe das materielle Steuergesetz nicht dergestalt in ein normatives Umfeld eingebettet, dass die tatsächliche Lastengleichheit der Steuerpflichtigen gewährleistet sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien hinreichende Grundlagen für die Feststellung einer im Gesetz strukturell angelegten Ungleichmäßigkeit der Rechtsanwendung bereits dann gegeben, wenn sich aufgrund einer Analyse der verfahrensrechtlichen Strukturen des Besteuerungsverfahrens und aufgrund von empirischen Erkenntnissen über die Veranlagungspraxis ausreichend zuverlässig beschreiben lasse, dass bestimmte Einkünfte materiell-rechtlich zutreffend nur bei einer qualifizierten Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen erfasst werden könnten und ein Fehlverhalten bei der Erklärung ohne ein praktisch bedeutsames Entdeckungsrisiko möglich bleibe. Entsprechende Feststellungen ergäben sich im Tätigkeitsbereich der Klägerin auf dem Gebiet der Prostitution aus dem Bericht des Bundesrechnungshofes 2003 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes, wonach insgesamt weniger als 1 % aller Prostituierten steuerlich erfasst würden, da sich „das übliche Verfahren der Einzelveranlagung zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer in der Regel als nicht angemessen und erfolglos” erweise. Auch aus den weiteren Begründungen des Bundesrechnungshofs ergäben sich Einzelheiten, die diese Aussage stützten. Ein weiteres Indiz für ein strukturelles Vollzugsdefizit ergäbe sich aus der seit 2002 zunehmenden Anwendung des sogenannten Düsseldorfer Verfahrens, das deutlich mache, dass die Erhebungsnormen bei der Besteuerung von Prostituierten nicht geeignet seien, den gleichmäßigen Vollzug sicher zu stellen. Das Düsseldorfer Verfahren werde bisher bereits in sieben Bundesländern angewandt und solle auch in anderen Bundesländern eingeführt werden. Diesem als Vorauszahlungsverfahren für Steuerbeträge ausgestalteten Verfahren komme faktisch eine Abgeltungswirkung zu, da die Finanzbehörden bundesweit auf eine Nacherhebung verzichteten oder im Vorfeld sogar ausdrücklich eine Abgeltungswirkung zusagen würden. Exemplarisch ergäbe sich dies aus dem Schreiben des Ministeriums der Finanzen Rheinland-Pfalz vom 16. August 2004, auf das Bezug genommen werde sowie aus dem Musteranschreiben der rheinland-pfälzischen Finanzbehörden an Betroffene, z.B. in einem Schreiben vom 5. März 2008, auf das ebenfalls verwiesen werde. Weitere Indizien ergäben ...