Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestehenbleiben der Pflicht eines GmbH-Geschäftsführers zur Abführung von Lohnsteuer auch bei Schadensersatzpflicht bzw. bei theoretischer Möglichkeit der Anfechtung der Zahlung durch den Insolvenzverwalter
Leitsatz (redaktionell)
1. Die öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Geschäftsführers einer GmbH zur Steuerzahlung gem. § 69 AO entfällt nicht dadurch, dass sie (möglicherweise) mit Schadenersatzverpflichtungen gegenüber der GmbH gemäß §§ 43, 64 Abs. 2 GmbHG oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.mit § 266 StGB konkurriert.
2. Der Geschäftsführer einer GmbH haftet auch für die im Zeitraum der insolvenzrechtlichen Zahlungsunfähigkeit i.S. des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO nicht abgeführten Lohnsteuern, denn die bloße potentielle Anfechtungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters im hypothetischen Fall einer Insolvenzeröffnung befreit nicht bereits bei insolvenzrechtlicher Zahlungsunfähigkeit davon, die einbehaltene Lohnsteuer an das FA abzuführen.
3. Der Geschäftsführer einer GmbH haftet erst dann nicht mehr für die Steuerschulden der GmbH nach § 69 AO, wenn er nicht mehr über das Vermögen der GmbH verfügen kann, so dass ein Haftungszeitraum nicht bereits mit der Stellung des Insolvenzantrages endet.
Normenkette
AO §§ 69, 34 Abs. 1, 3, § 35; InsO § 130 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 38 Abs. 3 S. 1, § 41a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1; GmbHG §§ 43, 64 Abs. 2, § 35 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 2; StGB § 266
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger
Tatbestand
Der Kläger war seit 9. März 2000 Geschäftsführer der E.-R. C. Services Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Er war ebenfalls ab März 2000 alleiniger Gesellschafter der GmbH. Am 31. Januar 2001 trat der Kläger seine Geschäftsanteile an die Firma P., eine Aktiengesellschaft nach tschechischem Recht, zum Kaufpreis von l,00 DM ab. Zur neuen Geschäftsführerin wurde ebenfalls am 31. Januar 2001 Frau R. R. bestellt.
Auf Grund eines Fremdantrages der Krankenkasse vom 10. Januar 2001 wurde die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH geprüft. Nach dem vom Insolvenzgericht eingeholten Sachverständigengutachten vom 12. März 2002 waren die Insolvenzgründe der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung dem Grunde nach gegeben, jedoch eine die Verfahrenskosten deckende Masse nicht vorhanden. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde daher mit Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz vom 19. März 2002 abgewiesen. In diesem Beschluss ist weiterhin ausgeführt, dass nach Überzeugung des Gerichts der Kläger auch nach seiner Abberufung noch als faktischer Geschäftsführer anzusehen sei.
Die GmbH entrichtete unter anderem die angemeldete Lohnsteuer inkl. Folgesteuern und steuerlicher Nebenleistungen für das 3. und 4. Quartal 2000 nicht bzw. nur teilweise. Auf Grund der verspäteten bzw. unterlassenen Tilgung – auch der Lohnsteuer für das 2. Quartal 2000 – wurden Säumniszuschläge verwirkt, die ebenfalls nicht entrichtet wurden.
Der Beklagte nahm den Kläger mit Bescheid vom 29. November 2002 für die genannten Rückstände i.H.v. insgesamt 3.193,78 E. nach § 191 Abs. l AO i.V.m. §§ 69, 34 und 35 AO in Haftung. Am 13. Dezember 2002 legte der Kläger gegen diesen Bescheid Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, dass keine vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung seiner Geschäftsführerpflichten vorläge, da die GmbH über keine Vermögenswerte mehr verfügt habe. Übrige Gläubiger seien gegenüber dem Beklagten nicht bevorzugt worden. Mit Schreiben vom 3. Februar 2003 ergänzte der Kläger seinem Rechtsbehelf nochmals dahingehend, dass er im Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuer nicht Geschäftsführer der GmbH gewesen sei. Ferner bezweifelte er die Höhe der Lohnsteuer.
Das Steuerbüro, welches die Lohnsteueranmeldungen vornahm, teilte dem Beklagten mit, dass in den Lohnsteueranmeldungen für das 3. und 4. Quartal bis Oktober 2000 5 Arbeitnehmer, für November 2000 4 Arbeitnehmer und für Dezember 2000 3 Arbeitnehmer berücksichtigt worden seien. Die Lohnsteueranmeldungen seien aufgrund der in Kopie vorgelegten Arbeitsverträge und der mündlichen Angaben des Klägers erstellt worden.
Der Beklagte setzte mit Einspruchsentscheidung vom 29. November 2005 die Haftungsschuld auf 2.874,65 E. herab und wies den Einspruch im Übrigen zurück, da der Kläger, selbst wenn er als Geschäftsführer abgerufen worden sei, in Haftung zu nehmen sei, da er danach als faktischer Geschäftsführer aufgetreten sei. Auf die Einspruchsentscheidung wird verwiesen.
In seiner Klagebegründung trägt der Kläger vor, nicht mehr Geschäftsführer – auch kein faktischer – in dem fraglichen Zeitraum gewesen zu sein. Er sei mit Gesellschafterbeschluss vom 20. Oktober 2000 abberufen worden. Zudem sei die Haftung ausgeschlossen, weil Forderungen gegen den Kläger geltend gemacht würden, die er auf Grund der inkongruenten Deckung gemäß § 131 InsO nicht mehr an den Beklagten hätte zahlen dürfen. Dem Kläger sei es unmögl...