Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtungsrechtlicher Begriff der „Rechtshandlung”. Aufrechnung von Steuerschulden gegen Vorsteuervergütungsanspruch des Insolvenzschuldners
Leitsatz (redaktionell)
1. Der anfechtungsrechtliche Begriff der „Rechtshandlung” meint jedes Handeln, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann. Dazu zählen neben Willenserklärungen auch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen und Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimisst.
2. Das Vorsteuerabzugsrecht aus Eingangsrechnungen führt erst dann zu einem erfüllbaren Vorsteuervergütungsanspruch, gegen den bei Vorliegen der übrigen Aufrechnungsvoraussetzungen die Aufrechnung mit Steuerforderungen erklärt werden kann, wenn sich aus der mit der Steueranmeldung vorzunehmenden Saldierung ein Guthaben des Steuerpflichtigen ergibt.
3. Für die Frage der Anfechtbarkeit kann nicht danach unterschieden werden, zu wessen Gunsten bei der Berechnung nach § 16 Abs. 2 UStG eine Zahllast entsteht.
4. Ob die Abgabe einer Umsatzsteuererklärung durch den Schuldner eine anfechtbare Rechtshandlung sein kann, konnte im Streitfall offenbleiben.
Normenkette
InsO § 96 Abs. 1 S. 3; UStG 1999 § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 16 Abs. 2 S. 1; AO § 226
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Aufrechnung eines Umsatzsteuervergütungsanspruches des Schuldners mit rückständigen Steuerschulden.
Der Kläger ist aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts D vom 01.03.2001 Insolvenzverwalter über das Vermögen des X e.V. (Schuldner).
Am 21.12.2000 stellte der Schuldner einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim Amtsgericht D. Mit Beschluss vom 29.12.2000 ordnete das Amtsgericht daraufhin die vorläufige Insolvenzverwaltung an. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners wurde mit Beschluss vom 01.03.2001 eröffnet. Der Beklagte meldete im Rahmen dieses Insolvenzverfahrens Forderungen i.H.v. 8.494,07 DM zur Tabelle an, die in der Folge vollumfänglich zur Tabelle festgestellt worden sind.
Am 03.07.2002 reichte der Kläger eine Umsatzsteuererklärung für den Zeitraum 01.01.2001 bis 28.02.2001 ein. Die Umsatzsteuererklärung für den Zeitraum 01.03.2001 bis 31.12.2001 ging beim Beklagten am 21.05.2004 ein.
Am 26.08.2004 erließ der Beklagte einen Umsatzsteuerbescheid für den Zeitraum 01.03. bis 31.12.2001 und setzte eine Umsatzsteuer i.H.v. 711,72 Euro fest. Für den Zeitraum 01.01.2001 bis 18.02.2001 erfolgte mit Datum vom 10.09.2004 zunächst eine Steuerberechnung, in der ein Vorsteuervergütungsanspruch i.H.v. 7.599,33 Euro ausgewiesen wurde. Der Beklagte wich hierbei von den Erklärungen ab, indem er als steuerfrei erklärte Umsätze als steuerpflichtig behandelte und den Vorsteuerabzug aus damit zusammenhängenden Eingangsumsätzen zuließ.
Laut Umbuchungsmitteilung vom 05.11.2004 verrechnete der Beklagte den Vorsteuervergütungsanspruch in voller Höhe mit offenen Steuerforderungen gegen den Schuldner. Hierüber erging am 13.05.2005 an den Kläger ein Abrechnungsbescheid.
Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte nur teilweise Erfolg. Im Rahmen der Einspruchsbearbeitung erging am 16.08.2007 zunächst ein Umsatzsteuerbescheid für den Zeitraum 01.01.2001 bis 18.02.2001, in dem ein Vorsteuervergütungsanspruch i.H.v. 7.599,33 Euro festgesetzt wurde. Dieser Bescheid ist mittlerweile bestandskräftig. Weiter erfolgte mit Bescheid vom 18.09.2007 eine Änderung des Abrechnungsbescheides vom 13.05.2005 dergestalt, dass nunmehr lediglich 3.368,79 Euro wie folgt verrechnet worden sind:
Lohnsteuer für November 2000 |
2.014,56 Euro |
Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer für November 2000 |
99,58 Euro |
Kirchensteuer zur Lohnsteuer für November 2000 |
0,21 Euro |
Umsatzsteuer für 2000 |
1.254,44 Euro |
Hierbei ermittelte der Beklagte aus der Differenz aus der Umsatzsteuer auf Lieferungen und Leistungen für den gesamten Besteuerungszeitraum 2001 i.H.v. 14.573,57 DM und der auf den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung entfallenden Vorsteuern i.H.v. 21.161,92 DM einen Vorsteuervergütungsanspruch in Höhe von 3.368,57 Euro, der vor Insolvenzeröffnung begründet und nicht durch Saldierung gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG verbraucht ist. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Begründung des Abrechnungsbescheides (Bl. 110 ff. der Rechtsbehelfsakte) Bezug genommen.
Der diesbezüglich aufrecht erhaltene Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 12.12.2007 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen hat sich der Kläger mit Klage vom 14.01.2008 gewandt.
Der Kläger ist der Auffassung, die Aufrechnung sei gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam, da der Beklagte die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt habe, und verweist hierzu auf das Urteil des BGH v. 22.10.2009 – IX ZR 147/06. Die Rechtshandlung bestehe in der Bestellung und ...