Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortgeltung einer erteilten Vollmacht bei Verlust der Prozessfähigkeit des Vollmachtsgebers. Pauschale Reisekostenerstattungen und pauschalierter Aufwendungsersatz sind nur bei Nachweis entsprechender Aufwendungen steuerfrei
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine wirksam erteilte Vollmacht wird durch den später eintretenden Verlust der Prozessfähigkeit des Vollmachtsgebers nicht berührt, und zwar unabhängig davon, ob diese Veränderung vor oder nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit der Klage eintritt. Die Prozessvollmacht berechtigt daher nicht nur zur Fortführung des einmal begonnenen Prozesses, sondern auch zur Klageerhebung nach Entfallen der Prozessfähigkeit.
2. Ein Vorrang des § 3 Nr. 16 EStG als Spezialregelung gegenüber § 3 Nr. 50 EStG besteht insoweit nicht, als den Vorschriften sich gegenseitig ausschließende Tatbestände zu Grunde liegen.
3. Allein der Umstand, dass keine Einzelabrechnung, sondern eine pauschale Abgeltung von Aufwendungen stattgefunden hat, widerspricht noch nicht einer Steuerbefreiung für Auslagenersatz nach § 3 Nr. 50 EStG, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass die Pauschale den tatsächlichen Aufwendungen im Großen und Ganzen entspricht.
4. Als Kostenvergütungen o. ä. bezeichnete Einkommensteile sind nicht als Reisekostenerstattungen nach § 3 Nr. 16 EStG von der Steuer zu befreien, wenn ihnen tatsächlich kein entsprechender Aufwand gegenübersteht oder aber nur ein Aufwand, der den Kosten der privaten Lebensführung zuzurechnen oder von ihnen nicht klar abzugrenzen ist.
Normenkette
EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Nrn. 50, 16, § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, S. 1, § 12 Nr. 1; FGO § 155; ZPO § 86
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Bei der Klägerin war K von Januar 1999 bis September 2002 als Arbeitnehmerin angestellt. Laut § 3 des am 21. Dezember 1998 zwischen der Klägerin, vertreten durch den damaligen Geschäftsführer U, und K geschlossenen Arbeitsvertrags sollte diese neben der monatlichen Vergütung eine „pauschale Abgeltung bis 300 km” für Dienstfahrten mit dem privaten Pkw erhalten.
Im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung bei der Klägerin stellte die Prüferin u.a. fest, dass der Arbeitnehmerin monatlich Fahrtkosten für 300 km steuerfrei erstattet worden sind (Monatsbeträge in 1999 und 2000: 300 × 0,52 DM = 156,– DM; in 2001: 300 × 0,58 DM = 174,– DM; in 2002: 300 × 0,30 EUR = 90,– EUR). Da keine entsprechenden Fahrtkostenabrechnungen vorgelegt wurden, sah die Prüferin die Zahlungen als Pauschalvergütungen ohne Bezug zu tatsächlich durchgeführten Fahrten an und behandelte diese als steuerpflichtigen Arbeitslohn. Die hierauf entfallende Steuer inkl. Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag beträgt 364,13 EUR in 1999, 354,77 EUR in 2000, 439,07 EUR in 2001 und 188,92 EUR in 2002 (vgl. Prüfungsbericht vom 16. März 2004, Blatt 133 ff der Lohnsteuerakte).
Aufgrund der Prüfungsfeststellungen erließ der Beklagte (das Finanzamt) am 19. März 2004 gemäß § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG) einen Haftungsbescheid betreffend den Zeitraum 1999 bis 2002 über insgesamt 8.005,01 EUR gegenüber der Klägerin (Blatt 155 der Lohnsteuerakte). Das hiergegen durchgeführte Einspruchsverfahren hatte nur insoweit Erfolg, als das Finanzamt hinsichtlich anderer – hier nicht streitiger Prüfungsfeststellungen – mit Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 5. August 2004 den Haftungsbetrag auf 5.334,23 EUR herabsetzte. Im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 17. Juli 2006). Im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens hatte die Klägerin für die streitigen Zeiträume – teilweise im Nachhinein aufgrund anderer Unterlagen erstellte – monatliche Übersichten „Kilometerabrechnung für dienstliche Fahrten mit privatem Pkw” vorgelegt, in denen jeweils das Datum der Fahrt, das Fahrtziel und die gefahrenen Kilometer angegeben waren. Als angefahrene Ziele waren dabei neben der Zulassungsstelle und anderen Motorrad-Firmen häufig Baumärkte, die Volksbank oder Post/Tankstelle (stets ohne konkrete Adresse) angegeben. Die sich danach ergebenden gefahrenen Kilometer betragen im Schnitt mehr als 300 km (vgl. Blatt 425 der Rechtsbehelfsakte). Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Aufstellungen verwiesen (Blatt 49 ff, 107 ff, 193 ff der Rechtsbehelfsakte). Vom Finanzamt angeforderte beispielhafte Belege für Fahrten zu Praktiker, Selgroß, Obi, Metro etc. weisen als Kaufgegenstände u.a. auch Gegenstände wie Milch, Wasser, Saft, Reinigungsmittel, Energiesparlampen oder Pflanzen aus (Blatt 157 ff der Rechtsbehelfsakte).
Während des Klageverfahrens erließ das Finanzamt am 3. Dezember 2007 einen nach § 130 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Haftungs- und Nachforderungsbescheid, in dem es den Haftungsbetrag auf nunmehr 5.264,20 EUR herabsetzte (Blatt 36 der FG-Akte). Die Änderung beruht auf der Rückgängigmachung der Versteuerung der Fahrtkostenerst...