Entscheidungsstichwort (Thema)
Getrennte Berechnung der Festsetzungsfrist für erstmalige Festsetzung und Änderung der Investitionszulage. regelmäßig keine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO aufgrund betriebsnaher Veranlagung. gerichtliche Entscheidungen als neue Tatsache oder rückwirkendes Ereignis
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die erstmalige Festsetzung der Investitionszulage besteht weder nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO noch nach § 170 Abs. 3 AO eine Anlaufhemmung. Es existiert nämlich keine Pflicht zur Abgabe einer Erklärung bzw. eines Antrags auf Investitionszulage.
2. Die Regelung des § 170 Abs. 3 AO hat zur Folge, dass die Festsetzungsfrist für die erstmalige Festsetzung der Investitionszulage und diejenige für eine Aufhebung oder Änderung der ursprünglichen Festsetzung nach Abgabe eines Antrags getrennt zu berechnen sind.
3. Eine betriebsnahe Veranlagung, der keine förmliche Prüfungsanordnung i.S. von § 196 AO zugrunde liegt, hemmt nicht den Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 4 AO.
4. Endet die Ablaufhemmung, bevor die regelmäßige Festsetzungsfrist abgelaufen ist, so kommt es zu keiner Verlängerung der Festsetzungsfrist. Der Ablauf der Festsetzungsfrist wird nur insoweit hinausgeschoben, als die Festsetzung oder Änderung ohne Eingreifen des Hemmungstatbestandes am Ablauf der Frist scheitern würde.
5. Urteile des BFH oder eines FG und darin enthaltene Gesetzesauslegungen sind grundsätzlich weder neue Tatsachen i. S. d. § 173 Abs. 1 AO noch ein Ereignis mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO.
6. Zivilgerichtliche Entscheidungen aufgrund einer Gestaltungsklage können – anders als Leistungs- und Feststellungsurteile – ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung im Sinne des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO darstellen, da sie in rechtsgestaltender Weise auf das Rechtsverhältnis einwirken.
Normenkette
AO § 170 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3, § 169 Abs. 1 S. 1, § 171 Abs. 4, §§ 196, 173 Abs. 1, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; InvZulG § 3 Abs. 1, §§ 6, 7 Abs. 1 S. 1
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Die Klägerin betreibt den Erwerb und die Sanierung von Immobilien. Sie stellte am 30. Juli 2002 für 1999 und am 18. September 2002 für 2000 beim Beklagten (dem Finanzamt X II, im Folgenden nur: Finanzamt) Anträge auf Investitionszulage nach § 3 InvZulG, u.a. für die Aufwendungen für die Sanierung der Wohnungen in der H Straße 7. Mit Prüfungsanordnungen vom 20. Oktober 2000 und 20. Juli 2004 ordnete das Finanzamt Y Außenprüfungen für die Investitionszulage 1995 und Körperschaftsteuer einschließlich gesonderter Feststellungen, Gewerbesteuer, gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts, einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer, jeweils für 2000 – 2002 an. Die Investitionszulage 1999 und 2000 ist jeweils nicht benannt (Betriebsprüfungsakte, Bl. 39, 77 f.).
Der Erwerber V trat mit Schreiben vom 23. Januar 2001 vom Kaufvertrag über die Wohnung Nr. 8, H Straße 7, zurück. Die Rücktrittserklärung des Erwerbers V ging der Klägerin am 25. Januar 2001 zu. Mit Urteil des LG Dresden, Az. 4-O-2678/07 vom 9. November 2004 wurde die Klägerin als Beklagte verurteilt, an den Erwerber V (Kläger) Zug um Zug gegen die Löschung von Grundschuld, Auflassungsvormerkung und Abtretung der Mietzinsansprüche 90.467,32 EUR zu zahlen. Das Urteil war für Kläger und Beklagte vorläufig vollstreckbar. Der Urteilstenor enthält keinen Ausspruch zur Wirksamkeit der Kündigung. In den Urteilsgründen führte das LG Dresden aus, dass der Erwerber V fristgerecht und begründet vom Vertrag zurückgetreten war. Die tenorierten Aussprüche ergaben sich aus § 346 BGB.
Mit Schreiben vom 2. Oktober 2002 teilte das Finanzamt der Klägerin mit: „Zur Feststellung der beantragten Investitionszulage 1999, 2000 sind noch folgende Punkte zu besprechen: Anspruchsvoraussetzungen, Verbleibensvoraussetzungen. Zu diesem Zweck wird Sie Herr F aufsuchen. Bei diesem Besuch handelt es sich nicht um eine Außenprüfung.” (Investitionszulageakte, Bl. 55). Der Prüfer der betriebsnahen Veranlagung stellte sodann fest, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Investitionszulage für 1999 und 2000 (auch für die H-Straße Nr. 7) wegen des Verstoßes gegen das Kumulationsverbot (§ 3 Abs. 1 Sätze 2 – 4 InvZulG) nicht vorliegen (Bericht über die betriebsnahe Veranlagung vom 14. Januar 2003, Investitionszulageakte, Bl. 62, 77). Mit Bescheiden vom 29. Januar 2003, aufgeben zur Post am gleichen Tag, setzte das Finanzamt die Investitionszulage für 1999 und 2000 jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Satz 1 AO) auf 0,– EUR fest. Den Bescheiden war je eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt. Die Klägerin legte keinen Einspruch ein.
Mit Schreiben vom 22. Februar 2008, eingegangen beim Finanzamt am 25. Februar 2008 beantragte die Klägerin unter Bezugn...