OFD Frankfurt, Verfügung v. 26.5.2010, S 2221 A - 8 - St 218
I. Erstattungen aufgrund einer tatsächlichen Überzahlung
Ist im Jahr der Erstattung von Sonderausgaben ein Ausgleich mit gleichartigen Aufwendungen nicht oder nicht in vollem Umfang möglich, so ist der Sonderausgabenabzug des Jahres der Verausgabung insoweit um eine nachträgliche Erstattung zu mindern (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO; vgl. BMF-Schreiben vom 11.7.2002, ESt-Kartei § 10 Fach 5 Karte 9). Diese Rechtsgrundsätze sind in allen noch offenen Fällen anzuwenden und beziehen sich auf alle Arten von Sonderausgaben. Für die Frage der Gleichartigkeit der Aufwendungen in diesem Sinne ist auf die Ähnlichkeit bzw. Unterschiedlichkeit des Sinn und Zwecks sowie der wirtschaftlichen Bedeutung und Auswirkung der Sonderausgabe für den Steuerpflichtigen abzustellen. Zur Feststellung der Gleichartigkeit bei Versicherungsbeiträgen kommt es auf die Funktion der jeweiligen Versicherung für den Steuerpflichtigen und das abgesicherte Risiko an (vgl. BFH-Urteil vom 21.7.2009, X R 32/07, BStBl 2010 II S. 38). Als gleichartige Versicherungsbeträge sind somit grundsätzlich solche anzusehen, die der jeweiligen Versicherungsart (Kranken-, Pflege-, Unfall-, Haftpflichtversicherung, gesetzliche Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Lebensversicherung) entsprechen. Jedoch ist es im Hinblick auf die Ähnlichkeit der Versicherungsfunktion und des abgesicherten Risikos z.B. gerechtfertigt, Krankentagegeld-, Kranken- und Pflegeversicherung als gleichartig anzusehen.
Soweit Einsprüche im Hinblick auf das anhängige BFH-Verfahren (X R 32/07) geruht haben, bitte ich die Bearbeitung wieder aufzunehmen und die Verfahren nunmehr unter Beachtung der oben dargestellten Grundsätze abzuschließen.
Übererstattungen ergeben sich insbesondere im Bereich der Kirchensteuer. In diesen Fällen ist zunächst mittels „I- und Z-Abfrage” zu ermitteln, für welche Jahre die Erstattung erfolgte und in welchen Jahren die nunmehr erstattete Kirchensteuer gezahlt wurde. Ein Aufgriff der Fälle erfolgt jedoch erst bei einem Erstattungsüberhang von mehr als 200 EUR (sog. Nichtaufgriffsgrenze, vgl. Mail-Vfg. vom 3.4.2003, O 2252 A – 20 – St II 2.09).
Kann der Erstattungsüberhang im Rahmen einer gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO durchgeführten Änderungsfestsetzung des Jahres der Verausgabung nicht vollständig berücksichtigt werden, weil das zu kürzende Kirchensteuervolumen geringer ist als der in Abzug zu bringende Erstattungsüberhang, ergibt sich der sog. Kaskadeneffekt.
Nach einem bundeseinheitlichen Beschluss der AO-Referatsleiter findet auch in derartigen Fällen § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO Anwendung.
Beispiel 1:
(Kaskadeneffekt)
Bei der Veranlagung 2004 des Stpfl. beträgt die gezahlte KiSt 4.000 EUR. Die erstattete KiSt beträgt 6.000 EUR. Sie besteht ausschließlich aus KiSt für den VZ 2002, die auch in 2002 gezahlt wurde (insgesamt 9.000 EUR). Aufgrund einer Verrechnung mit einer in 2002 erfolgten KiSt-Erstattung aus 2001 i.H.v. 8.000 EUR wurden jedoch nur 1.000 EUR im VZ 2002 als Sonderausgaben berücksichtigt.
Im VZ 2004 mindert der Erstattungsbetrag von 6.000 EUR aus Praktikabilitätsgründen die dort gezahlte KiSt von 4.000 EUR auf 0 EUR. Der verbleibende Erstattungsüberhang von 2.000 EUR ist in das Jahr der Zahlung, also in den VZ 2002 zurückzutragen. Der Rücktrag dient der Berücksichtigung der endgültigen wirtschaftlichen Belastung und hat insoweit Vorrang vor einer im Rücktragsjahr 2002 aus Praktikabilitätsgründen erfolgten Verrechnung. Die im VZ 2002 gezahlte KiSt i.H.v. 9.000 EUR ist daher vorrangig um den aus dem VZ 2004 stammenden Rücktrag (2.000 EUR) und erst hiernach um die aus dem VZ 2001 stammende KiSt-Erstattung (8.000 EUR) bis auf max. 0 EUR zu verrechnen. Die Verrechnung führt dabei zu einem erstmaligen Erstattungsüberhang im VZ 2002 von 1.000 EUR nicht verrechenbarer KiSt-Erstattung aus dem VZ 2001.
Der Stpfl. ist somit in Bezug auf die im VZ 2001 gezahlte KiSt rückwirkend i.H.v. 1.000 EUR wirtschaftlich nicht belastet. Der Erstattungsüberhang ist daher in den VZ 2001 zurückzutragen (Kaskadeneffekt). Die Einkommensteuerbescheide für die VZ 2002 und 2001 sind nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO mit der Maßgabe zu ändern, dass die bisher als Sonderausgaben berücksichtigten Beträge jeweils um 1.000 EUR zu mindern sind. Wurde im VZ 2001 gezahlte KiSt bereits mit erstatteter KiSt aus einem Vorjahr verrechnet, ergibt sich hieraus ggf. ein weiterer Kaskadeneffekt.
Beispiel 2:
Bei der Veranlagung 2004 des Stpfl. beträgt die im VZ 2004 gezahlte Kirchensteuer insgesamt 10.000 EUR und die erstattete Kirchensteuer insgesamt 30.000 EUR (22.500 EUR für 2003 und 7.500 EUR für 2002).
Für das Jahr 2003 wurden Kirchensteuervorauszahlungen i.H.v. 30.000 EUR geleistet. Für das Jahr 2002 wurden Vorauszahlungen i.H.v. 10.000 EUR geleistet.
Im Jahr 2004 mindert der Erstattungsbetrag die dort gezahlte Kirchensteuer (10.000 EUR) bis auf 0 EUR. Aus Vereinfachungsgründen ist davon auszugehen, dass der gezahlten Kirchensteuer...